Publiziert am: 16.02.2024

«Jedes Produkt soll perfekt sein»

TESSANDA – Das Handwerk des Handwebens wird in der Manufaktur in Val MĂŒstair in GraubĂŒnden noch gepflegt und zelebriert.Das Heute gleicht dem Damals – Webtechniken und WebstĂŒhle haben sich erhalten seit 1928. Es entstehen mit viel Herzblut, PrĂ€zision, FingerspitzengefĂŒhl und Geduld schöne Artikel fĂŒr KĂŒche, Tisch und Bad – notabene 100 Prozent Schweizer QualitĂ€t.

Tac-tac-tac-tac-tac-tac – das warm-hölzerne Klacken der WebstĂŒhle ist im grosszĂŒgigen Verkaufsraum und draussen auf der Via Val MĂŒstair gut zu hören. Rhythmische KlĂ€nge, die einen erfassen und einem in eine andere Zeit versetzen, jenseits von Hektik und Trubel. Die Tessanda-WebstĂŒhle sind teilweise ĂŒber hundertjĂ€hrig. «Bei uns sind 28 hölzerne WebstĂŒhle im Einsatz. Der Ă€lteste dĂŒrfte rund 120 Jahre alt sein. Da-rauf weben wir Gewebe fĂŒr KĂŒche, Tisch, Bad, Wohnen sowie auch Accessoires. Traditionell sind es funktionale, langlebige Artikel», erklĂ€rt Maya Repele, GeschĂ€ftsleiterin der Handweberei in Val MĂŒstair. Sie ist eine Macherin und das Herz der Handweberei Tessanda. Vor fĂŒnf Jahren verliess die Powerfrau ZĂŒrich und zog in eines der abgelegensten TĂ€ler in der Schweiz, um die uralte Tradition des Handwebens zu neuem Glanz zu verhelfen – mit Erfolg. «Als ich 2017 in den Stiftungsrat gewĂ€hlt wurde, interessierte mich vor allem die betriebswirtschaftliche Herausforderung, die Tessanda zu sanieren und sie wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Aber heute liegen mir das Handwerk und die 18 Mitarbeiterinnen sehr am Herzen.»

In der rund 100-jĂ€hrigen Geschichte der Tessanda gab es einige Krisen – auch lebensbedrohende – zu bewĂ€ltigen. Die letzte grosse Herausforderung war 2017. «Seit der Reorganisation im 2018 setzen wir konsequent auf Textilen aus 100 Prozent natĂŒrlichen Garnen, die wie anno dazumal auf traditionellen WebstĂŒhlen handgewoben werden.» Die qualitativ hochwertigen Produkte werden sorgfĂ€ltig designt und gefallen auch urbanen Menschen. «Wir fĂŒhren unseren Betrieb nach modernen betriebswirtschaftlichen Prinzipien. Wir mĂŒssen erfolgreich geschĂ€ften, damit wir langfristig eine Überlebenschance haben», erklĂ€rt Repele.

«Bei uns sind28 hölzerne WebstĂŒhle im Einsatz. Der Ă€lteste dĂŒrfte rund 120 Jahre alt sein.»

Die Tessanda will das Handweben wertschĂ€tzen, es lebendig halten, fördern und es für alle Interessierten facettenreich erlebbar machen. «Das bedeutet unter anderem, dass wir jungen Frauen – als einer von nur noch fĂŒnf Betrieben schweizweit – ermöglichen, bei uns auch die dreijĂ€hrige Lehre als Gewebegestalterin EFZ (frĂŒher Handweberin) zu absolvieren», konkretisiert Repele. Zudem werden FĂŒhrungen durch die WebrĂ€ume angeboten, um Jung und Alt das schöne Handwerk nĂ€herzubringen. «Wir organisieren auch Web- und Filetstickkurse.»

Echte Handwerkerinnen

Die Tessanda ist dank ihrer langjĂ€hrigen Geschichte und dem raren Handwerk des Handwebens ein wichtiges Kulturgut fĂŒr das BĂŒndner Tal. Wie es einst ein Einheimischer treffend ausdrĂŒckte, «gehört die Tessanda zur Val MĂŒstair wie die Butter aufs Brot». Heute beschĂ€ftigt die Tessanda 18 Frauen und ist eine wichtige Arbeitgeberin – insbesondere fĂŒr Frauen – im von der Abwanderung betroffenen BĂŒndner Tal. «Wir sind zudem auch eine Tourismus-Attraktion und tragen nicht unbedeutend zur lokalen Wertschöpfung bei.» Die Tessanda befindet sich seit 1958 in einer alten, schönen Liegenschaft direkt an der Hauptstrasse in Sta. Maria Val MĂŒstair. Im Erdgeschoss sind das LadengeschĂ€ft, der Web-Schauraum sowie das eigene NĂ€hatelier untergebracht. Auf drei weiteren Etagen wird gewoben. Am Anfang steht das Einrichten des Webstuhles, das eine aufwendige Arbeit ist, die viel Erfahrung, Sorgfalt und Konzentration erfordert. «FĂŒr ein Gewebe in einer Breite von 160 cm, zum Beispiel eine Tischdecke, benötigt die Weberin rund 40 Stunden allein fĂŒr das Einrichten des Webstuhls. Erst dann kann sie mit dem eigentlichen Weben beginnen», erklĂ€rt Repele. Ein erfahrener Schreiner aus dem Dorf pflegt und hegt die alten WebstĂŒhle.

Handweben mit langer Tradition

Je nach Art des Gewebes – breit/schmal, dickes/dĂŒnnes Garn, heikles/robustes Material – webt eine erfahrene Weberin 80 bis 6400 cm pro Tag. «Das ist nur die reine Webzeit, hinzu gerechnet mĂŒssen anteilsmĂ€ssig das Einrichten des Webstuhls sowie die NĂ€harbeiten fĂŒr die Fertigstellung der Produkte», so Repele. Beim Handweben werden – vereinfacht gesagt – zwei Arten von FĂ€den im rechten Winkel miteinander verwoben: Die bis zu 3000 KettfĂ€den werden auf den Webstuhl straff aufgezogen, im Schiffchen wird ein einziger Schussfaden durch die KettfĂ€den geschossen. So entsteht Schuss um Schuss ein Gewebe. Die Weberin muss den schweren Webladen immer genau gleich fest anschlagen – jede noch so kleinste UnregelmĂ€ssigkeit in der IntensitĂ€t des Anschlages ist im Gewebe sichtbar. Verwendet werden unterschiedliche Garne – alle sind 100 Prozent natĂŒrlich: Beispielsweise Baumwolle, Schaf-, Alpaka-, Cashmere- und Merinowolle, Seacell, Ziegengarn, Leinen, Seide, Jute, Hanf und Papiergarn. «Die Ursprungsherkunft ist gĂ€nzlich unterschiedlich, je nach den klimatischen Gegebenheiten.» Die Ingredienzien des Erfolgs und der WettbewerbsfĂ€higkeit sind QualitĂ€t, AuthentizitĂ€t, Innovationsfreudigkeit und grosser Einsatz, verfeinert mit einer guten Prise Herzblut.

«Jedes Produkt soll perfekt sein.» So ist es nicht verwunderlich, dass die Tessanda schon einige Auszeichnungen gewonnen hat. Dazu gehört der erste Preis in der Kategorie Textiles Handwerk im «European Textile & Craft Award 2024» (vgl. Kasten).

Zu der Kundschaft gehören Privatpersonen, aber auch Firmen, die es schĂ€tzen, echtes, traditionelles und lokal hergestelltes Handwerk zu kaufen, das natĂŒrlich auch seinen Preis hat. Zu den regelmĂ€ssigen grossen AuftrĂ€gen gehören die TeppichauftrĂ€ge nach Mass. «Sehr gefreut hat uns eine grosse Bestellung des Messerherstellers Victorinox», so die innovative GeschĂ€ftsleiterin. Die Produkte sind im eigenen LadengeschĂ€ft in Sta. Maria, im Online-Shop tessanda.ch sowie im Maistra Concept Store in Pontresina erhĂ€ltlich.

Auch der Nachwuchs hat eine grosse Bedeutung – regelmĂ€ssig werden Lernende ausgebildet, aktuell eine im 3. Lehrjahr. Dazu Repele:» «Das Handweben ist ein Beruf, der viel FingerspitzengefĂŒhl, Sorgfalt und ein grosses Fachwissen erfordert. Die Weberin muss nicht nur alle komplexen Arbeitsschritte von A bis Z beherrschen, sondern auch die unterschiedlichen Materialien mit ihren Eigenheiten kennen.» Das Handweben in der Schweiz wird immer ein Nischenberuf sein. «Es braucht ein paar wenige, dafĂŒr aber motivierte Berufsfrauen, die ihren Beruf mit Herzblut ausĂŒben», erklĂ€rt Repele und ergĂ€nzt: «In den letzten Jahren bildeten wir meist junge Frauen aus dem Unterland aus, die nach Abschluss der Lehre wieder in ihre Heimat zurĂŒckkehrten. Nun haben wir uns entschieden, Frauen aus der Region den Vorzug zu geben, damit wir auch in Zukunft auf gut ausgebildete Weberinnen zĂ€hlen können.»

Die Tessanda hat fĂŒr die nĂ€chsten Jahre grosse PlĂ€ne. Geplant ist ein Neubau – die Finanzierung muss allerdings noch sichergestellt werden. «Wir sind ĂŒberzeugt, mit dem Neubau unsere bestehenden Produkte noch attraktiver prĂ€sentieren zu können und gleichzeitig neue Angebote wie Web- und Stickkurse, fĂŒr die wir heute keinen Platz haben, im Hause anbieten zu können», sagt Repele. Corinne Remund

www.tessanda.ch

EUROPEAN TEXTILE & CRaFT AWARD für die Handweberei Tessanda

Grosse WertschĂ€tzung fĂŒr traditionelle textile Handwerkskunst

Die Handweberei Tessanda aus Sta  Maria V.M. gewinnt den ersten Preis in der Kategorie Textiles Handwerk im «European Textile & Craft Award 2024». Sie wird fĂŒr ihre SchĂŒrze «Maurus», fĂŒr ihren Einsatz fĂŒr das Webhandwerk und die Schaffung von ArbeitsplĂ€tzen fĂŒr Frauen, fĂŒr ihre mutigen ZukunftsplĂ€ne und das lĂ€nder- und talĂŒbergreifende Generations- und Handwerksprojekt gewĂŒrdigt.

Die ausgehĂ€ndigte TrophĂ€e des European Textile & Craft Award beinhaltet ein StĂŒck Originalstoff der Arc-de-Triomphe-VerhĂŒllung von 2020 der VerhĂŒllungskĂŒnstler Christo (1935–2020) und Jeanne-Claude (1935–2009). FĂŒr die komplette VerhĂŒllung des Triumphbogens wurden insgesamt 25 000 Quadratmeter wiederverwertbares, blau-silbernes Polypropylen-Gewebe und 3000 Meter rotes Seil verwendet. Maya Repele, GeschĂ€ftsleiterin, und Lisa Frank, Chef-NĂ€herin und Mitgestalterin der «Maurus»-SchĂŒrze, sind zusammen mit dem ganzen Tessanda-Team sehr glĂŒcklich: «Nur schon die Nomination fĂŒr diesen Award war eine Überraschung und grosse Freude. Dass wir nun den ersten Preis in diesem internationalen Wettbewerb gewonnen haben, ist einfach nur grossartig! Wir sind stolz und dankbar fĂŒr diese grosse WertschĂ€tzung unserer Arbeit.»CR

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