Publiziert am: 19.04.2024

Missbrauch wird Tür und Tor geöffnet

SAMMELKLAGE – Vor dem Hintergrund des Klimaschutz-Urteils aus Strassburg erhält die Sammelklage neue Brisanz. Die Gefahr der Populärbeschwerde und das Missbrauchspotenzial zulasten der Wirtschaft scheinen gross. Der Schweizerische Gewerbeverband sgv lehnt die Einführung dieses neuen Instruments deshalb ab.

Mit einer weiteren Revision der Zivilprozessordnung (ZPO) will der Bundesrat die bestehende Verbandsklage – landläufig als Sammelklage bezeichnet – ausbauen und künftig auch die Geltendmachung von Ersatzansprüchen ermöglichen. Weil nach heutigem Recht in der Schweiz grundsätzlich jede Person ihre Rechtsansprüche individuell einklagen muss – auch wenn eine Vielzahl von Personen gleich oder gleichartig geschädigt ist –, schlägt der Bundesrat die Ausweitung der Verbandsklage vor. Sie soll insbesondere der Durchsetzung von Ersatzansprüchen bei sogenannten Massen- und Streuschadensfällen dienen, da gemäss Bundesrat Geschädigte gerade bei geringem Schaden oft auf die Durchsetzung ihrer Rechte verzichten.

Beim kollektiven Rechtsschutz geht es um zwei Schadens- beziehungsweise Anspruchstypen. Streuschäden umfassen eine Vielzahl von in gleicher oder gleichartiger Weise betroffenen Personen, wobei das Individuum wertmässig einen beschränkten Schaden erleidet. Beim Massenschaden ist eine Vielzahl von Personen in gleicher oder ähnlicher Weise betroffen. Unter dem Titel eines «verbesserten Rechtszugangs» sollen neue zivilprozessuale Sammelklage-Instrumente eingeführt werden.

Geringe Hürde für ein Klagerecht

Mit dem Gruppenvergleich wird es Geschädigten ermöglicht, über einen Verein eine Entschädigung mit Wirkung für eine Vielzahl von Geschädigten einzugehen. Mit der Verbandsklage soll Geschädigten auch ermöglicht werden, auf ein individuelles Gerichtsverfahren zu verzichten, weil sie das Kostenrisiko tragen müssten.

«Sammelklagen provozieren eine Verfahrensflut.»

Profitieren werden Konsumentenschutzorganisationen und NGO. Damit ein Verband klagen kann, darf er nicht gewinnorientiert sein und muss seit mindestens einem Jahr existieren. Bereits zehn natürliche oder juristische Personen können einen Verband zur Klage ermächtigen. Dem Missbrauch wird Tür und Tor geöffnet. Das Nachsehen haben die Gewerbetreibenden.

Grundlegende Überprüfung nach Strassburger Urteil

Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR sollte eigentlich die Menschenrechtskonvention anwenden. Stattdessen hat er im Fall des kürzlich erfolgten Klimaschutzurteils die Menschenrechte neu definiert. Wenn nun die Hürde für die Aktivlegitimation eines Vereins wie im Klimaschutzurteil (Verein Klimaseniorinnen) so tief angesetzt wird, muss die Verbandsklage erst recht kritisch überprüft werden.

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates verlangt vor dem Hintergrund des jüngst ergangenen Urteils des EGMR nun weitere Abklärungen seitens der Verwaltung. Zu beurteilen ist, welche direkten oder indirekten Folgen dieser Entscheid für die Ausgestaltung von Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes haben kann.

sgv fordert Nichteintreten

Wesentliches Erfolgselement des Wirtschaftsstandortes Schweiz ist die Rechtssicherheit. Stabile Rahmenbedingungen sind für unsere Unternehmen von zentraler Bedeutung. Die vom Bundesrat vorgesehenen Sammelklagen würden vor dem Hintergrund des Klimaurteils erst recht einen Paradigmenwechsel im schweizerischen Recht bewirken.

Sammelklagen sind in unserem Rechtssystem sachfremd, schaffen eine Kultur des Misstrauens, werden zum Anziehungspunkt einer Klageindustrie und provozieren eine Verfahrensflut. Der Schweizerische Gewerbeverband fordert, auf die Vorlage des Bundesrates gar nicht erst einzutreten.

Dieter Kläy, Ressortleiter sgv

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