«Der Zeitgeist fegt die Schulnoten weg», will uns die Tagespresse weismachen. Neben vielen Eltern und Lehrpersonen würde selbst «die Wirtschaft» am Sinn des heute üblichen Bewertungssystems zweifeln. Es stellt sich die Frage, wer hier mit «Wirtschaft» überhaupt gemeint ist. Der Schweizerische Gewerbeverband sgv jedenfalls, der grösste Dachverband der Schweizer Wirtschaft und Vertreter von rund 600 000 KMU im Land, ist es in diesem Fall nicht.
Die Diskussion um Sinn und Nutzen von Schulnoten ist wohl so alt wie die Schulnoten selbst. Seit den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird ihr Nutzen immer und immer wieder hinterfragt. Heute sollen sie – der «Zeitgeist» lässt grüssen – nicht mehr «zeitgemäss» sein.
Doch eines war und bleibt klar: Die fachspezifischen Leistungen einer Schülerin oder eines Schülers in einem bestimmten Fach müssen während einer gewissen Periode beurteilt werden. Darum kommt auch der oft bemühte – und immer wieder bemühende – «Zeitgeist» nicht herum. Die Gesamtleistungen werden in einer Note dargestellt, die ausdrückt, inwieweit eine Schülerin oder ein Schüler während eines Semesters die angestrebten Lernziele erreicht hat oder eben nicht.
Klar ist, dass Noten über ganze Schulkarrieren entscheiden können. Im Einzelfall können schlechte Noten tatsächlich einschneidende Folgen haben. Allerdings muss man sich auch fragen, weshalb es Noten überhaupt gibt. Noten mit bilanzierenden und lernzielorientierten Aussagen helfen, die Leistungsfähigkeit einzuordnen. Das muss aber nicht heissen, dass sie das Recht auf alleinige Aussagekraft der Leistungsfähigkeit für sich reklamieren dürfen.
Man darf davon ausgehen, dass in unserem Land nach wie vor eine Mehrheit der Eltern hinter dem Notensystem steht. Zumindest legen Umfrageergebnisse diesen Schluss nahe. Auch die Politik ist dem heutigen Notensystem gegenüber nicht so negativ eingestellt, wie manche es darstellen – oder sollte man besser sagen: «gerne hätten»? So hat sich z. B. der Zürcher Kantonsrat im Jahr 2022 dafür ausgesprochen, dass Noten mit Ausnahme des ersten Schuljahres nicht einfach abgeschafft werden können, sondern die Lehrerinnen und Lehrer zwingend Noten erteilen müssen. Auch die Berufsbildungskommission des KMU- und Gewerbeverbands Kanton Zürich hat sich klar für die Beibehaltung der Schulnoten ausgesprochen.
Gerade die Wirtschaft muss in irgendeiner Art und Weise an der Schnittstelle zum Übertritt ins Berufsleben die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler, die in die Berufsbildung übertreten, feststellen. Es braucht einen fairen Selektionsprozess mit vergleichbaren und aussagekräftigen Beurteilungen. Notenzeugnisse widerspiegeln auch die Erwartungen von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie ermöglichen eine allgemein verständliche Aussage über die erbrachten Leistungen. Die Beurteilung anhand von Zeugnisnoten ist nun einmal tief in der Gesellschaft verankert.
Auch wenn die Notengebung, wie wir sie kennen, zu Frustrationen führen kann, ist keine bessere und schon gar nicht einfachere Alternative in Sicht. Eine leistungsorientierte Gesellschaft fragt nun mal nach einer einfachen und messbaren Aussage über die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Schliesslich wollen die Lehrbetriebe wissen, woran sie sind, wenn sie Lernende einstellen und ausbilden.