Publiziert am: 07.06.2024

«Wenig Sparwillen vorhanden»

SIMON MICHEL – Der Solothurner FDP-Nationalrat fordert eine temporäre Wehrsteuer für die Aufrüstung der Armee – bezahlt von den Unter­neh­men. «Viele unserer Waffensysteme sind veraltet, und im Cyberbereich haben wir grossen Aufholbedarf», sagt der Geschäftsführer und Verwaltungs­rat der Ypsomed Gruppe.

Schweizerische Gewerbezeitung: Als Unternehmer und Major leisten Sie mit 47 Jahren immer noch Dienst im militärstrategischen Stab. Woran mangelt es der Schweizer Armee heute?

Simon Michel: Seit Beendigung des Kalten Krieges in den 1990er-Jahren leben wir von der Friedensdividende. Viele unserer Waffensysteme sind veraltet und müssen in den 2030er-Jahren ersetzt werden. In der Artillerie sind heute noch dieselben M109-Panzerhaubizen im Einsatz wie vor 30 Jahren, als ich in der Rekrutenschule war – und damals waren sie schon alt. Im Cyberbereich haben wir grossen Aufholbedarf, ebenfalls im Nachrichtenverbund. Zudem fehlt der Schweiz ein effektives Luftabwehrsystem. Israel hätte ohne den Iron Dome am 14. April verheerende Schäden hinnehmen müssen.

Aus der Armeebotschaft 2024 geht klar hervor, wie das Fähigkeitsprofil der Schweizer Armee angepasst werden muss. Unser Land muss aufrüsten. Dafür braucht es die entsprechenden finanziellen Mittel. Die Armeebotschaft sieht einen Zahlungsrahmen 2025 bis 2028 von 25,8 Milliarden Franken vor. Mit Sparen allein werden wir diese Mittel in den kommenden Jahren nicht sprechen können.

Sie fordern für die Aufrüstung der Armee eine temporäre Wehrsteuer. Das kommt im bürgerlichen Lager nicht überall gut an. Der Ruf nach Steuererhöhungen ertönt sonst meist von Links. Hat sich SP-Chef Cédric Wermuth schon bei Ihnen bedankt?

Der Begriff «Wehrsteuer» kann polarisieren. Effektiv geht es um die Schaffung eines zweckgebundenen Rüstungsfonds. Die Linke möchte diesen Fonds mit Mitteln für den Wiederaufbau in der Ukraine erweitern, also einen «Fonds für Sicherheit und Frieden in Europa» schaffen. Das ist nicht grundfalsch, denn unser Land kommt nicht drum herum, sich am Wiederaufbau in der Ukraine zu beteiligen. Auch Politikerinnen und Politiker aus der GLP und der Mitte hegen Sympathien für das Konzept. Ich erhalte auch Zustimmung von Bürgerlichen, die hier eine Chance sehen, Unternehmen in ein besseres Licht zu rücken. Sie fordern nicht nur, sie sind auch bereit, einen Beitrag zu leisten.

Können Sie Ihre Idee in ein paar wenigen Sätzen umreissen?

Der Bundesrat wird beauftragt, eine Verfassungsänderung vorzulegen, um den Satz der Bundessteuern für juristische Personen während zehn Jahren um ein Prozent (von 8,5% auf 9,5%) zu erhöhen und diese Mehreinnahmen einem neu zu bildenden, befristeten «Fonds für Sicherheit» zuzuweisen. Dieser Fonds darf sich vorübergehend verschulden, soll zweckgebunden eingerichtet werden und unterstützt ausschliesslich die Finanzierung der zusätzlichen Investitionen für Rüstungsgüter. Damit ermöglichen wir das neue Ausgabenziel der Armee von mindestens einem Prozent des BIP.

Der Truppenbestand nimmt laufend ab. Salopp gefragt: Müsste nicht auch da angesetzt werden? Denn neue Geräte bringen nichts, wenn sie niemand bedient.

Der Sollbestand liegt bei 100 000 Armeeangehörigen. Da erfahrungsgemäss nicht alle Eingeteilten einem Aufgebot Folge leisten, liegt der erforderliche Effektivbestand bei 140 000. Dieser ist aber unter Druck. Die Armee hat Massnahmen eingeleitet, die Alimentierung auch in Zukunft sicherzustellen. Persönlich bin ich der Meinung, dass wir langfristig nicht umhin kommen, das Zivildienstsystem anzupassen und auch Frauen zu verpflichten.

Zurück zur «Wehrsteuer»: Sie sind erfolgreicher Unternehmer. Überladen Sie mit einer solchen neuen Steuer nicht das Fuder? Immerhin führt die Schweiz auch noch die OECD-Mindeststeuer für Grosskonzerne ein.

Die grossen Unternehmen ab 750 Millionen Franken Umsatz bezahlen über die Hälfte der juristischen Bundessteuern. Die allermeisten von ihnen haben heute in der Schweiz eine Gesamtsteuerbelastung von unter 14 Prozent. Aufgrund der OECD-Mindeststeuer werden sie ab 2025 auf 15 Prozent «hochbesteuert» werden. Man nennt das eine Ergänzungssteuer. Die Wehrsteuer von einem Prozent verringert diese Ergänzungssteuer. Effektiv werden die Konzerne nicht mehr als 15 Prozent bezahlen müssen. Die paar Kantone mit den meisten grossen Steuerzahlern erhalten einfach ein leicht kleineres «OECD-Geschenk», denn drei Viertel der OECD-Ergänzungssteuer soll an die Kantone fliessen.

Wie und welche KMU würden von dieser neuen Steuer zusätzlich belastet?

Die allermeisten von unseren KMU haben von der STAF ab 2020 steuerlich profitiert. Der eine Prozentpunkt wäre eine moderate Erhöhung. Ich glaube nicht, dass ein Unternehmen deshalb Stellen verlagern oder Investitionen stoppen würde. Es ist keine Gebühr, bloss eine Steuer, wenn wir Gewinn schreiben. Wenn also ein durchschnittliches Gewerbe mit drei Millionen Franken Jahresumsatz 250 000 Franken Gewinn macht, dann sind das 2500 Franken pro Jahr, welche für die «ultimative» Versicherung zusätzlich bezahlt werden müssten. Das muss es uns wert sein!

Sie argumentieren unter anderem mit der steuerlichen Entlastung im Rahmen der STAF-Vorlage. Diese führte auch zu einer Erhöhung der Lohnprozente an die AHV, welche die Unternehmen hälftig bezahlen. Wie soll diese Rechnung aufgehen?

Es ist mir bewusst, dass die Erhöhung der Teilbesteuerung von privaten Dividendeneinnahmen auf 70 Prozent bei der Bundessteuer und mindestens 50 Prozent bei den Kantons- und Gemeindesteuern sowie die Erhöhung der AHV-Beitragssätze um 0,15 Prozent den STAF-Steuereffekt für viele Unternehmen egalisiert hat. Unter dem Strich aber profitiert die Mehrheit der Unternehmen in der Schweiz durch die niedrigeren Steuersätze.

«langfristig kommen wir nicht umhin, das Zivildienstsystem anzupassen und auch Frauen zu verpflichten.»

Ihr Vorstoss sorgt für viel Wirbel, bis mitten in Ihre Partei, die FDP: Mit Ihrem Vorpreschen nähmen Sie Druck aus dem Kessel für Sparbemühungen. «Temporäre» Steuern, wie Sie sie hier vorschlagen, würden bekanntlich immer verlängert. Die Aufrüstung der Armee könne nicht alleinige Aufgabe der Unternehmen sein. Was antworten Sie Ihren Kritikern?

Wir haben fünf Optionen, um die Finanzierung der Armee sicherzustellen: 1. Sparen, 2. Lockerung der Schuldenbremse, 3. Erhöhung der Mehrwertsteuer (MwSt.), 4. Einführung einer Wehrsteuer oder 5. neue Steuern wie Finanztransaktions- oder Erbschaftssteuern. Letzteres ist nicht mehrheitsfähig. Die Schuldenbremse zu lockern, wäre ein Dammbruch und darf nicht passieren. Sparen ist der logische Ansatz. Aber nach sechs Monaten im Parlament bin ich diesbezüglich eher ernüchtert.

Bei uns im Betrieb würden wir immer zuerst Dinge stoppen oder streichen, aber sicherlich nicht noch mehr draufladen. Bislang war im Parlament wenig Sparwillen vorhanden. Die Linke, oft zusammen mit der Mitte, und je nachdem noch mit den Landwirten, will alles andere als sparen. Jeder Sparvorschlag in den vergangenen sechs Monaten wurde abgelehnt: Migration, Asylzentren, ETH, Innovation, Bahnanschlüsse, Zuckerrüben usw. Ergo braucht es einen Plan B.

Und noch zur Behauptung, dass temporäre Steuern immer verlängert würden: Die befristete MwSt.-Erhöhung zur IV-Sanierung lief Ende 2017 wie geplant aus. Und die Eidgenössische Wehrsteuer aus den Kriegsjahren 1941 bis 1945 wurde zwar 1983 in eine Bundessteuer überführt, wurde jedoch nie mit Verfassungsbestimmung zeitlich limitiert, sondern 1941 direkt vom Bundesrat eingeführt. Deshalb sieht mein Vorschlag eine zeitliche Befristung auf Verfassungsstufe vor. Ohne erneute Zustimmung der Bevölkerung wäre eine Verlängerung der Zahlungen in den Rüstungs-fonds nicht möglich.

Das letzte Wort zu Ihrer Idee hätten Volk und Stände. Sie glauben an eine Mehrheit. Zugleich wollen Sie damit das Image der Wirtschaft verbessern. Hand aufs Herz: Haben Sie dabei auch die Abstimmung über das Verhandlungsmandat mit der EU im Hinterkopf?

Der Bundesrat hat es mit den Bilateralen III leider verpasst, auch ein Sicherheitspaket mit der EU zu schnüren. Die Schweiz ist keine Insel, und wir sind nicht autark. Wir beziehen einen Grossteil unserer Saatgut- und Düngemittel aus der EU, wir beziehen Elektrizität aus der EU, und wir beziehen eben auch Waffen und Munition aus der EU.

Die Bedrohungslage nimmt in Europa zu, und wir könnten plötzlich allein dastehen. Wir müssen jetzt mit der Modernisierung der Armee beginnen und die technischen Verbindungen zu unseren Nachbarn – im Rahmen unseres Neutralitätsverständnisses – stärken und ausbauen, unabhängig davon, ob die Bilateralen stabilisiert und weiterentwickelt werden oder nicht.

Was fordern Sie vom Bundesrat im Rahmen dieser Verhandlungen?

Das Verhandlungsmandat wurde überwiesen. Es präzisierte in einigen Punkten das Resultat der Sondierungsgespräche. Wünschenswert ist eine Ventil-Klausel oder eine Kontingentregelung beim Freizügigkeitsabkommen, also dass wir selber die Zuwanderung aus dem Schengenraum steuern dürfen, wenn die Zuwanderung aus Sicht der Schweiz zu hoch ist. Am Ende ist es ein innenpolitischer Entscheid. Die grosse Mehrheit der SVP ist aus Prinzip gegen die Bilateralen. Also muss ein Paket mit Links geschnürt werden, um die Mehrheit im Rat und in der Bevölkerung gewinnen zu können, wie das schon 1999 und 2004 der Fall war.

Interview: Rolf Hug

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