Publiziert am: 05.07.2024

Die Arbeit beginnt erst

ENERGIEPOLITIK – Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit: Nur so kommt die Schweiz künftig in Sachen Energie über die Runden. Entsprechend ist eine technologieneutralere Politik gefragt als bis anhin – und ein breiterer Energiemix. Dadurch bleibt die auch für die Wirtschaft entscheidende Resilienz erhalten.

Mit dem deutlichen Ja des Schweizer Souveräns zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien ist es nicht getan. Die Weichen sind gestellt, aber die Arbeit beginnt erst. Denn um Versorgungssicherheit herzustellen, muss das Angebot an einheimisch produziertem Strom um 50 bis 75 Prozent wachsen. Geschuldet ist dies der Umstellung mehrerer Millionen Fahrzeuge auf Elektromobilität sowie der Installation Hunderttausender von Wärmepumpen. Der Zeithorizont dafür beträgt noch 25 Jahre, 2050 soll unser Land klimaneutral sein.

Schweizer Energie-Trilemma

Die Zuwachsraten insbesondere bei PV-Anlagen ist exponentiell, im aktuellen Jahr sollen erstmals rund zehn Prozent des hiesigen Strombedarfs von der Sonne gedeckt werden. Hinzu kommen nun – dank dem Ja des Souveräns – 16 Wasserkraftanlagen, die neu- oder ausgebaut werden können. Dennoch wird all dies kaum reichen. Mehrere Gründe sprechen gegen eine rasche Lösung des Schweizer Energie-Trilemmas:

Versorgungssicherheit bedeutet nicht nur Ausbau der Energieproduktion, sondern auch die jederzeitige Verfügbarkeit von Strom in der gewünschten Menge. Mit immer mehr erneuerbarem PV- und Windstrom im Energiemix nimmt die fluktuierende Einspeisung zu. Im Gegensatz zur Wasserkraft ist die Energie nicht abrufbar. Bei Windstille, Nebel oder in der Nacht sackt die Produktion der neuen Erneuerbaren ab. Es genügt deshalb nicht, eine PV-Anlage zu installieren; es braucht auch Speicher, um die Energie dann nutzen zu können, wenn sie gebraucht wird.

Zu einem gewissen Grad helfen der Schweiz hier die zahlreichen Pumpspeicherkraftwerke. Dank ihnen kann bei einem Stromüberschuss das Wasser vom unteren Reservoir in den Stausee zurückgepumpt werden, sodass es bei Bedarf ein zweites Mal turbiniert werden kann. Eine elegante Lösung, doch sie wird nicht reichen. Das Volumen ist zu begrenzt, um den zukünftig anfallenden PV- und Windstrom aufzunehmen. Kommt hinzu, dass die erwähnten 16 Wasserkraftprojekte per Volksabstimmung im Gesetz verankert sind, aber einzelne Umweltverbände ihr juristisches Spiel der Blockade weitertreiben – auch beim notwendigen Netzausbau. Die Erhöhung der Versorgungssicherheit wird so kaum gelingen.

Energie soll bezahlbar sein

Eine weitere Dimension des Energie-Trilemmas ist die Wirtschaftlichkeit; Energie soll bezahlbar sein. Die Preisausschläge der letzten zwei Jahre in Europa für Gas und Strom hallen nach, so bekunden beispielsweise Stahlhersteller in der Schweiz Mühe. Dies ist kein Argument für eine Industriepolitik (vgl. sgz vom 7. Juni), aber für eine umsichtige Energiepolitik. Die wirtschaftliche Versorgung der Schweiz bedingt den Wettbewerb verschiedener Technologien zur Energieerzeugung und -nutzung. Eine einseitige politische Ausrichtung auf die neuen Erneuerbaren oder die Elektromobilität verzerrt den Wettbewerb und schafft neue Abhängigkeiten.

Defossilisierung, nicht Dekarbonisierung

Die Nachhaltigkeit markiert die dritte Seite des Energie-Trilemmas. Doch was bedeutet dies? Kein Gramm CO2 mehr auszustossen? Diese absolute Haltung führt in die Irre. Entscheidend ist, dass wir keine fossilen Energieträger mehr verbrennen, die neu aus der Erde geholt werden. Dies bedeutet eine Defossilisierung und nicht eine Dekarbonisierung unserer Wirtschaft. Ein Beispiel: Kürzlich nahm ein Schweizer Unternehmen eine Anlage in Betrieb, um durch Solarwärme synthetisches Rohöl zu produzieren. Der benötigte Kohlenstoff stammt dabei aus bestehenden Quellen. Der so gewonnene Energieträger stösst bei der Verbrennung CO2 aus, aber nur so viel, wie bereits vorher in der Atmosphäre war. Er ist somit klimaneutral.

Resilienz dank Energiemix

Unsere Energiepolitik sollte technologieneutraler sein, als sie es heute ist. Ein breiter Energiemix – dazu gehören auch Gas-/Wasserstoffkraftwerke oder die Kernkraft – schafft eine höhere Resilienz. Ausserdem muss unser Strommarkt der Zukunft stärkere Anreize schaffen, um systemdienliches Verhalten zu belohnen. Dazu gehören Investitionen in eine intelligente Nutzung des Stroms, die z. B. ein Fahrzeug dann laden, wenn mehr als genügend Strom im Netz ist. Nur so kann die Schweiz im Energie-Trilemma ein neues Gleichgewicht finden.

Patrick Dümmler, Ressortleiter sgv

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