Schweizerische Gewerbezeitung: Am 22. September kommt die Biodiversitätsinitiative an die Urne. Als Präsident des Schweizer Bauernverbands bekämpfen Sie dieses Anliegen vehement. Kurz zusammengefasst: Weshalb?
Markus Ritter: Die Initiative ist unnötig. Mit Artikel 78 in der Bundesverfassung haben wir für den Natur- und Heimatschutz bereits jetzt eine sehr detaillierte Verfassungsbestimmung.
Diese Initiative löst kein Problem, aber schafft viele neue. Sie will Landschaften und Ortsbilder als praktisch unantastbare Schutzobjekte deklarieren. Weiter will sie die Nutzung der Flächen und das baukulturelle Erbe auch ausserhalb der Schutzobjekte einschränken. Damit würde der Einfluss des Verbandsbeschwerderechtes in der Rechtsprechung nochmals deutlich gestärkt. Aus unserer Sicht geht das Verbandsbeschwerderecht aber bereits heute weit genug.
«Mit der Biodiversitätsinitiative steigen die Importe, was unseren ökologischen Fussabdruck verschlechtert.»
Und sie verlangt, mehr Flächen für die Biodiversität auszuscheiden. Letzteres schränkt die einheimische Produktion von Lebensmitteln, aber auch von erneuerbarem Strom oder Holz ein. In der Folge steigen die Importe, was unseren ökologischen Fussabdruck verschlechtert.
Sie haben selbst viele Jahre einen Biobetrieb geführt. Den Hof haben Sie mittlerweile Ihren Söhnen übergeben. Was tut die Schweiz – und im Speziellen die Landwirte – bereits heute für die Biodiversität?
Viel! Vor knapp 30 Jahren fand in der Landwirtschaft mit der Einführung der Direktzahlungen eine Trendwende statt. Jeder Bauernhof muss seither mindestens sieben Prozent seiner Fläche für die Förderung der biologischen Vielfalt einsetzen. Heute sind es auf freiwilliger Basis gar 19 Prozent. Das entspricht fast der Fläche des Kantons St. Gallen. Von diesen Flächen weisen über 44 Prozent eine wertvolle Pflanzenvielfalt auf, und 81 Prozent sind vernetzt. Damit haben wir die Ziele deutlich übertroffen.
Mit dem Kauf von Labelprodukten kann zudem jede Schweizerin und jeder Schweizer gezielt eine Landwirtschaft fördern, die besonders viel für die Biodiversität tut.
Die Initiative fordert mehr Flächen und Mittel für die Biodiversität. Von wie viel mehr sprechen wir hier im Vergleich zu heute? Können Sie ein paar Zahlen nennen?
Die Initiative selbst nennt keine Zahl, die Initianten hingegen schon. Ihnen schwebt vor, 30 Prozent der Landesfläche zu schützen, und das auch in den kantonalen Richtplänen entsprechend auszuscheiden. Gleichzeitig schauen sie aktuell acht Prozent als ausreichend geschützt an. Sprich, sie streben zusätzlich 22 Prozent unserer Landesfläche an! Hier würden uns rund 900 000 Hektaren oder die Fläche der Kantone Bern, Freiburg, Neuenburg und Solothurn fehlen. Der Bundesrat geht von zusätzlichen Kosten für die öffentliche Hand von 375 bis 440 Millionen Franken pro Jahr aus. Wir geben aber bereits heute vom Bund rund 600 Millionen Franken für die Biodiversität aus. Das ist viel Geld.
Welche Auswirkungen hat die Initiative auf die Bauern und die inländische Nahrungsmittelproduktion?
Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass grosse Teile der zusätzlich geschützten Fläche aufs Landwirtschaftsgebiet fallen würden. Wo auch sonst? Jede Hektare weniger Land ist auch eine Hektare weniger Lebensmittel. Wir gehen davon aus, dass die pflanzliche Produktion in der Schweiz um gut einen Sechstel sinken würde. Bei den Kartoffeln beispielsweise entspricht das dem Konsum von 1,3 Millionen Schweizerinnen und Schweizern. Da der Bedarf ja nicht sinkt, müssten wir entsprechend mehr importieren. Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz mit Lebensmitteln liegt bereits heute unter 50 Prozent. Jedes Jahr geht er um ein weiteres Prozent zurück.
Im Juni hat das Schweizer Volk für den Ausbau der erneuerbaren Energien gestimmt. Weshalb wäre dieser Ausbau bei einem Ja zur Biodiversitätsinitiative am 22. September gefährdet?
Der zusätzliche Schutz der Flächen und die hohen Ansprüche an den Landschaftsschutz würden auch den Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremsen. Eine Annahme der Biodiversitätsinitiative zöge dem Stromgesetz abrupt den Stecker. Denn die Initiative würde strikte Vorgaben und strenge Spielregeln festlegen, welche die vielen Ausbauprojekte für mehr Winterstrom zum Stillstand bringen.
Die Initiative beinhaltet auch Aspekte, die wenig mit Biodiversität zu tun haben. Sie fordert zum Beispiel einen stärkeren Schutz von Ortsbildern. Welche Folgen hätte das?
Ja, der Ausbau der Baukultur, sprich Denkmalschutz, und der stärkere Schutz von Ortsbildern sowie der Erhalt des baukulturellen Erbes sind wichtige Elemente dieser Initiative. Mit Biodiversität haben diese nichts zu tun. Die Folge wären zusätzliche Auflagen, noch längere Bewilligungsverfahren und höhere Kosten. Das Bauen und damit das Wohnen würde noch teurer.
Es ist auch interessant, dass diese Punkte im Initiativtext in den Buchstaben a und b noch vor der Biodiversität geregelt werden.
Wie sind KMU von der Biodiversitätsinitiative betroffen, und warum braucht es auch seitens «der Wirtschaft» ein überzeugtes NEIN?
Von dieser Initiative profitieren höchstens Unternehmen, die vom Natur- oder Denkmalschutz leben. Das dürfte auf wenige Gewerbebetriebe zutreffen. Der ländliche Raum generell und die Tourismusregionen speziell könnten sich kaum mehr weiterentwickeln. Das lokale Gewerbe wäre davon stark betroffen! Diese Initiative ist eine eigentliche Verhinderungsinitiative, die unserer Wirtschaft noch mehr Fesseln anlegen würde.
Anderes Thema: Am 24. November stimmt das Volk über sechs sehr gezielte Projekte ab, mit denen neuralgische Engpässe auf den Nationalstrassen behoben werden sollen. Sie unterstützen die STEP-Vorlage. Wieso braucht es dazu ein JA?
Der Bauernverband hat seine Parole zu dieser Vorlage noch nicht gefasst.
Ich selbst habe im Parlament zugestimmt. Die Probleme mit Verkehrsüberlastungen gehören auf unseren Nationalstrassen an vielen Orten zum täglichen Geschehen. Die damit verbundenen Stau- und Ausfallstunden sind für unsere Betriebe und Mitarbeitenden eine enorme Belastung. Kann man den Zeitplan einhalten? Erreiche ich trotz den massiv überlasteten Strassen sicher mein Ziel? Dieser enorme Druck belastet unsere Chauffeure, aber auch den privaten Verkehr. Der Handlungsbedarf ist offensichtlich.
Inwiefern ist ständiger Stau und die chronische Überlastung der Autobahnen auch für die Bauern als Lebensmittelproduzenten ein Problem?
Die Bauern beziehen viele Produktionsmittel, die mit den Lastwagen angeliefert werden. Auch verkaufen wir Milch, pflanzliche Produkte und auch Tiere, die mit dem Lastwagen abgeholt werden. Wir haben ein grosses Interesse daran, dass diese Transporte funktionieren, zeitgerecht ausgeführt werden und auch preislich im Rahmen gehalten werden können. Der tägliche Stau auf den Nationalstrassen trägt dazu nichts bei.
Einzelne Projekte erfordern, dass einige Bauern Land abtreten müssen. Sie werden dafür zwar entschädigt, dennoch führt dies mancherorts zu Unmut. Wieso überwiegen die vielen Vorteile dieser Vorlage in Ihren Augen?
Landwirtschaftsland ist bei uns sehr knapp. Dazu kommt, dass bei einem Projekt vor allem einzelne Betriebe viel Land verlieren. Deshalb ist es für die Landwirtschaft wichtig, dass Bauprojekte sparsam mit dem wertvollen Land umgehen und dass wir aufhören, für ökologische Kompensationen weiteres Landwirtschaftsland zu beanspruchen.
«Der Handlungsbedarf bei den Nationalstrassen ist offensichtlich.»
Wir haben mit dem ASTRA sehr genau geklärt, wie viel Landwirtschaftsland für diese Projekte benötigt wird, und ob alle Massnahmen für eine Minimierung des Kulturlandverlustes ausgeschöpft worden sind. Diese Aspekte sind für die Meinungsbildung der Bauern sehr wichtig. Wir werden mit einer Güterabwägung aufzeigen, dass der Bundesrat beziehungsweise die zuständigen Ämter ihre Aufgabe – auch im Sinne der Landwirtschaft – sehr ernst genommen haben.
Für die Bevölkerung auf dem Land – gerade auch für die Landwirte – dürfte es ein grosser Gewinn sein, wenn der Verkehr auf den Nationalstrassen fliesst, und Städte und Dörfer entlang der Autobahnen von Ausweichverkehr entlastet werden. Weshalb dann der Widerstand aus links-grünen Kreisen?
Es dürfte eine rein ideologische Betrachtung von dieser Seite sein. Es soll nur der öffentliche Verkehr ausgebaut werden. Aus unserer Sicht braucht es aber beides.
Welche Folgen hätte ein Nein zur Engpassbeseitigung auf den Nationalstrassen langfristig?
Leistungsfähige Verkehrsverbindungen sowohl im öffentlichen Verkehr als auch im Individualverkehr sind ein wichtiger Erfolgsfaktor für ein Land. Wenn wir nicht imstande wären, drängende Probleme in diesem Bereich zu lösen, würde uns dies bereits mittelfristig bezüglich Wettbewerbsfähigkeit schaden.
Interview: Rolf Hug
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