Publiziert am: 09.08.2024

Versorgungssicherheit würde gestärkt

ENERGIE – Die Schweiz verhandelt derzeit mit der EU eine Paketlösung. Teil davon ist auch ein neues Stromabkommen. Dieses wird in der Verhandlung eine wichtige, aber wohl nicht die ausschlaggebende Rolle spielen. Der Souverän wird eineGesamtabwägung des Ergebnisses vornehmen müssen.

Eigentlich ist es einfach: Wir brauchen für das Netto-Null-Ziel rund 50 Prozent mehr Strom. Doch bereits beim nächsten Schritt wird es kompliziert: Wie viel des zusätzlich benötigten Stroms produzieren wir selbst, wie viel kaufen wir aus dem Ausland dazu? Eine Schweizer Insellösung – wir stellen sicher, dass zu jeder Zeit genügend inländisch hergestellter Strom zur Verfügung steht – ist die volkswirtschaftlich teuerste Lösung. Ein vollständiger Bezug aus dem Ausland schafft eine Abhängigkeit, die nicht wünschbar ist. Es bleibt letztlich eine politische und wirtschaftliche Abwägung, welches Verhältnis an in- und ausländisch produziertem Strom in der Schweiz fliessen soll.

Vernünftig erscheint der Ansatz, den Anteil des Eigenversorgungsgrades hoch anzusetzen. Dies bedingt den Ausbau unserer Stromproduktion. Mit dem Ja des Stimmvolkes am 9. Juni zum «Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung» wurden die Weichen gestellt. Doch schon länger torpedieren mehrere Umweltorganisationen den geplanten Ausbau. Dies führt zu Mehrkosten und Verzögerungen. Der grosse Befreiungsschlag für die Erreichung des Netto-Null-Ziels wird so kaum gelingen.

Schweiz war mittendrin

Umso wichtiger ist es, dass sich die Schweiz mit ihren Nachbarländern abspricht. Nicht im Sinne eines Plan B, sondern ergänzend zum inländischen Ausbau. Sich gegenseitig mit Elektrizität aushelfen, das hat in Europa eine lange Tradition. Und die Schweiz war mittendrin: Der sogenannte «Stern von Laufenburg» schloss 1958 erstmals die Netze Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz zusammen. Fortan war der Stromaustausch über Ländergrenzen hinweg technisch möglich und wirtschaftlich tragbar.

Die fehlende Stromproduktion infolge Unterhaltsarbeiten an mehreren Kraftwerken konnte durch den Import von Strom ausgeglichen werden. Auch kurzfristige Bedarfsspitzen – zum Beispiel über Mittag, wenn in den Küchen die Herdplatten eingeschaltet werden – konnten durch den transnationalen Stromaustausch abgedeckt werden. Die Schweizer Wasserkraft verdiente jahrzehntelang gutes Geld damit, am Mittag Wasser für den Stromexport zu turbinieren, um es in der Nacht mit günstigem französischem Atomstrom wieder in den Stausee zu pumpen.

Zum Beobachter abgestiegen

So ist es keine Überraschung, dass die Schweiz eine führende Rolle im europäischen Strommarkt einnahm und Gründungsmitglied vieler technischer Gremien war. Doch heute steht ihr Stuhl vor den Sitzungszimmern. Was ist passiert? Da die EU in den letzten rund 20 Jahren einen europäischen Strombinnenmarkt schuf, wurde unser Land zum Drittstaat und rechtlich ausgeschlossen. Dies kontrastiert mit dem Fakt, dass bis heute kein Land Europas über mehr Grenzkoppelstellen mit dem Ausland verfügt als die Schweiz. In der europäischen Stromlandschaft ist unser Land schrittweise vom prägenden Akteur zum an der Seitenlinie stehenden Beobachter abgestiegen.

Dies hat vor allem zwei konkrete wirtschaftliche Folgen: Erstens kämpft die nationale Netzgesellschaft Swissgrid mit einer steigenden Zahl an ungeplanten Stromflüssen. So führt ein Stromhandel zwischen zum Beispiel Deutschland und Frankreich dazu, dass die Elektrizität durch die Schweiz fliesst. Strom folgt dem Weg des geringsten physikalischen Widerstands und hält sich nicht an nationale Grenzen. In der Folge muss Swissgrid reagieren und von Partnerkraftwerken innert Minuten fordern, je nachdem ihre Produktion hochzufahren oder zu drosseln, um das Schweizer Netz zu stabilisieren. Geschieht dies nicht, bricht es zusammen: Blackout. Kurzfristig abgefragter Strom ist in der Regel die teuerste Elektrizität. Wir alle bezahlen letztlich mit unserer Stromrechnung dafür. Trost spendet immerhin die Gewissheit, dass eine Insellösung für die Schweiz noch viel teurer wäre.

Zweitens legt die EU-Regulierung fest, dass spätestens ab 2025 mindestens 70 Prozent der grenzüberschreitenden Kapazitäten des Netzes eines Mitgliedlandes für andere Mitgliedländer reserviert werden muss. Dies bedeutet für das Drittland Schweiz eine rechtliche Beschränkung der Importkapazitäten. In einem Szenario einer längeren Kälteperiode im Winter könnte die Schweiz nicht mehr die benötigte Strommenge importieren. Dies erhöht das Risiko einer Kontingentierung oder von ungeplanten Stromabschaltungen.

Manches gefällt, anderes nicht

Abhilfe schaffen soll das zurzeit mit der EU diskutierte Stromabkommen. Es würde es der Schweiz ermöglichen, am Strombinnenmarkt teilzunehmen. Mehrere rechtliche Fragen würden geklärt und die Versorgungssicherheit gestärkt. Gleichzeitig erhielten unsere Stromerzeugungsunternehmen die Möglichkeit, gleichberechtigt am europäischen Markt teilzunehmen. Gerade unsere Pumpspeicherkraftwerke könnten ihre Stärke als Batterie für Europa ausspielen, indem sie deutsche Solar-Produktionsspitzen nutzen, um günstig Wasser hochzupumpen, und erst dann turbinieren, wenn in Deutschland Dunkelflaute herrscht.

Doch ein Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU wird es nicht allein geben, sondern nur im Rahmen der Bilateralen III. Dabei ist es wie so oft bei Paketlösungen: Manches gefällt, anderes nicht. Der Souverän wird eine Gesamtab-wägung vornehmen müssen. Das Stromabkommen wird dabei eine wichtige, aber wohl nicht die ausschlaggebende Rolle spielen.

Patrick DĂĽmmler, Ressortleiter sgv

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