Publiziert am: 20.09.2024

Mit der Planierraupe in die Unfreiheit

WERBEVERBOTE – Das Bundesgericht stützt ein Verbot von kommerziellen Plakaten, selbst wenn diese auf privatem Grund stehen. Es liege im öffentlichen Interesse, «visuelle Verschmutzung zu bekämpfen». Was kommt als Nächstes? Ein Verbot von knalligen T-Shirts?

Manchmal kommt man aus dem Staunen über gewisse Urteile des Bundesgerichts gar nicht mehr heraus. Da ist zum Beispiel jenes zum kantonalen Mindestlohn in Neuenburg. Das Schweizer Höchstgericht etikettierte diesen plötzlich als sozialpolitische Massnahme, konkret zur Bekämpfung von Armut. Dass Mindestlöhne die Firmen vorsichtiger bei der Einstellung von Personal machen und die Arbeitslosigkeit somit erhöhen könnten: Solche Überlegungen spielten für die Richter anscheinend keine grosse Rolle.

«Sozialpolitisch», das tönt halt so gut und edel. Vor allem für Staatsangestellte, die solche Massnahmen nicht bezahlen müssen, sondern dank der damit einhergehenden Aufblähung der Verwaltung viel eher davon profitieren.

Zauberwort «verhältnismässig»

Den gleichen (Un)Geist atmet der jüngste Streich aus Lausanne. Das Bundesgericht stützt ein Verbot von kommerzieller Plakatwerbung in der Genfer Gemeinde Vernier. Neu sollen Plakate, die von öffentlichem Grund aus einsehbar sind, verboten sein. Das betrifft wohl die meisten Plakate, auch diejenigen auf Privatgrund: Werbung, die niemand sehen kann, macht schlicht keinen Sinn.

Das Verbot ziele darauf ab, das Ortsbild zu schützen, die Bewegungsfreiheit der Menschen im öffentlichen Raum zu verbessern, «visuelle Verschmutzung zu bekämpfen» und der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, sich unerwünschter Werbung zu entziehen, schreibt das Gericht zum Urteil. Und weiter: «Dabei handelt es sich um umwelt- und sozialpolitische Zielsetzungen, die im öffentlichen Interesse liegen.»

Das Verbot sei grundrechtskonform und der damit verbundene Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit und in die Eigentumsgarantie zulässig. Zudem sei es – Achtung – «verhältnismässig». Der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismässigkeit ist eine wichtige Errungenschaft, aber er bietet auch viel Ermessensspielraum und dient vermehrt als juristisches Zauberwort, um auch Unsinn einen vernünftigen Anstrich verleihen zu können.

Eine saloppe Geschmackssache

Doch zurück zur Begründung: Das Bundesgericht sieht den Schutz der Bürger vor «visueller Verschmutzung» als umwelt- und – schon wieder – sozialpolitische Zielsetzung im öffentlichen Interesse. Freiheitsliebende Bürger dürften bei einer solchen Erklärung kurz leer schlucken. Die Richter degradieren Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie zur saloppen Geschmackssache. Es stellt sich die Frage, was als Nächstes eine «visuelle Verschmutzung» darstellt. Würde das Gericht auch ein Verbot von knalligen T-Shirts stützen? Oder von allzu farbigen Frisuren?

Auch bezüglich Anwendungsbereich des Verbots stellen sich Fragen: So bleiben Plakate für sportliche und kulturelle Veranstaltungen weiterhin erlaubt. Das gilt selbst für Werbung für Taylor-Swift-Konzerte, wie der Stadtpräsident von Vernier, Martin Staub (SP), in der «NZZ» zugeben musste. Ohne eine Wertung vorzunehmen: Aber was bitte schön soll denn – wendet man dieselbe Lesart an – «kommerzieller» sein als Mega-Konzerte von Weltstars?

Eine Ausnahme gilt ebenso für Abstimmungen. Und natürlich auch für Politiker im Wahlkampf, und seien sie noch so schlecht gekleidet.

Google und Tiktok profitieren

Beim Verbot in der Stadt Vernier handelt es sich um einen gezielten Angriff auf die KMU und die Privatwirtschaft. Der lokale Metzger und der Bäcker dürfen künftig keine Plakate mehr aufstellen und für ihre Angebote werben. Das gilt generell für die Firmen der Privatwirtschaft. Lokalen KMU nützt auch das Internet eher wenig für ihre Werbung. Sie sind auf visuelle Sichtbarkeit im Quartier angewiesen.

Apropos Internet: Folge des Urteils wird sein, dass Werbegeld grösserer Unternehmen künftig vermehrt dorthin abwandert. Sofern nicht noch jemand auf die Idee kommt, selbst das Internet abzustellen, um vollständig sicher zu gehen, dass ja niemand «kommerzieller» Werbung ausgesetzt sein wird.

Diese Abwanderung bedeutet auch: Weniger Einnahmen im Zusammenhang mit Werbung für hiesige KMU und mehr Geld für ausländische Grossfirmen wie Google, Meta und Tiktok. Ist dieser Umstand den Befürwortern von Werbeverboten klar oder ist das gar deren Ziel? Auf jeden Fall ist es widersprüchlich.

Der Feldzug gegen Werbung – einem Grundpfeiler für das reibungslose Funktionieren der Wirtschaft – ist in vollem Gange. In der Stadt Zürich sollen digitale Werbescreens verboten werden, in Bern ist ein vollständiges Verbot von Werbeplakaten auf dem Tapet und der Bund will zunehmend Werbung für vermeintlich ungesunde Produkte eindämmen. Das Urteil des Bundesgerichts macht mit der Planierraupe den Weg frei für weitere Schritte in Richtung Verbotskultur und Unfreiheit. Eine höchst ungute Entwicklung. Rolf Hug

Weiterführende Artikel

Meist Gelesen