Wir erinnern uns: Die Schweiz stand vorletzten Winter vor einer drohenden Strommangellage. Die Preise für Gas und in dessen Zuge auch für Strom schossen in die Höhe. Inzwischen hat sich die Lage stabilisiert, die Preise sind zurückgegangen. Doch die langfristigen Aussichten bleiben weiter getrübt, denn der Strom bleibt knapp. Die Defossilisierung unserer Gesellschaft wird den Strombedarf massiv erhöhen, die Erhöhung der Produktionskapazitäten halten mit der Nachfrage kaum Schritt.
Zwar hat das Parlament den Handlungsbedarf erkannt, aber ob all die Erlasse wirklich zu einer Beschleunigung des Ausbaus der neuen Erneuerbaren wie Solar und Wind führen werden, ist heute nicht gesichert. Auch beim Ausbau der Wasserkraft harzt es, obwohl 16 Projekte definiert und mit vielen NGOs abgesprochen wurden. Es findet sich immer ein Rekurrent, der ein Bauvorhaben verunmöglicht oder mindestens verzögert. Nicht umsonst ist unsere fünfte Landessprache die Einsprache.
Der grosse Elefant im Raum
Während die 16 Wasserkraftprojekte – sofern denn alle (aus-)gebaut würden – etwas über zwei TWh Strom pro Jahr liefern sollen, bleibt der grosse Elefant im Raum die Kernkraft. Die vier noch laufenden Kernkraftwerke (KKW) der Schweiz lieferten letztes Jahr 23,3 TWh Strom – zehnmal mehr, als der Ausbau der Wasserkraft dereinst beisteuern soll! Gemäss den heute geltenden Gesetzen sollen die KKW so lange betrieben werden dürfen, wie sie sicher sind. Dies bedingt regelmässige Nachrüstungen, um den steigenden Sicherheitsvorschriften zu genügen. Der Entscheid für eine Abschaltung kann deshalb nicht nur aus Sicherheits-, sondern auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit erfolgen. So erachtete die BKW die zusätzlichen Investitionskosten in die Sicherheit als zu hoch, um Mühleberg auch in Zukunft wirtschaftlich betreiben zu können. Ende 2019 gingen deshalb rund fünf Prozent der Schweizer Stromerzeugung für immer vom Netz.
Die verbliebenen vier KKW steuerten letztes Jahr einen Drittel zur gesamten Strommenge bei. Wie sie dereinst bei einer Abschaltung ersetzt werden sollen, wird unterschiedlich beurteilt. Links-grüne Kreise favorisieren weitere Subventionen, um den Ausbau von Solar und Wind zu beschleunigen. Doch bereits heute sind die entsprechenden Zuschläge zum Strompreis hoch und belasten Unternehmen und Haushalte. Wie also die Stromversorgung sichern? Eine Antwort liefert die Volksinitiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)», zu der der Bundesrat kürzlich Stellung genommen hat. Er lehnt das Begehren ab, will aber einen Gegenvorschlag ausarbeiten. Dies ist zu begrüssen.
Neuer Gestaltungsspielraum
Kern der Initiative und des diskutierten Gegenvorschlags ist die Streichung von Artikel 12a des Kernenergiegesetzes: die Aufhebung des Verbots der Erteilung von Rahmenbewilligungen für die Erstellung neuer KKW. Heute können die bestehenden KKW nicht ersetzt werden, die Kernkraft würde deshalb langfristig aus unserem Energiemix verschwinden. Doch die Ablösung mit Solar und Wind bedingt hohe Investitionen, da nicht nur zusätzliche Solarpaneele und Windräder in die Landschaft gestellt werden müssen, sondern auch entsprechende Speichermöglichkeiten und die Netze. Denn Sonne und Wind sind nicht immer zur Stelle, wenn der Strombedarf am höchsten ist. Die Systemkosten – die Kumulation von Produktion, Speicher und Netzausbau – der neuen Erneuerbaren sind hoch.
Der Fokus auf alle klimafreundlichen Stromerzeugungsarten – zu der auch die Kernkraft gehört – eröffnet der Energiepolitik neuen Gestaltungsspielraum, um die Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit unserer Stromversorgung zu gewährleisten. Zu achten ist beim Gegenvorschlag insbesondere darauf, dass die Bewilligungsverfahren, wie bei Solar und Wind, für den Bau von KKW gestrafft werden. Die Möglichkeit, eine Rahmenbewilligung zu erteilen, nützt nichts, wenn die Umsetzung bei jedem Projektfortschritt torpediert werden kann.
Patrick DĂĽmmler, Ressortleiter sgv