Publiziert am: 04.10.2024

Reformen sind möglich – und nötig

EINSPRACHEN – Das Verbandsbeschwerderecht ist unter demokratischen Gesichtspunkten bedenklich. Umweltverbände können damit teilweise gar die Umsetzung von Urnenentscheiden blockieren, zum Beispiel den Ausbau der erneuerbaren Energien. Welche Lösungen gibt es, um das zu verhindern?

Die klimaneutrale Stromerzeugung muss ausgebaut werden – dies dürfte inzwischen Konsens sein. Doch bei der Umsetzung hapert es. Eines der Hindernisse sind die vielfältigen Einsprachemöglichkeiten, darunter gehört auch das Instrument des Verbandsbeschwerderechts. Es erlaubt anerkannten Organisationen, insbesondere Umwelt- und Naturschutzverbänden, in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren Einsprache oder Beschwerde zu erheben, auch wenn sie selbst nicht direkt betroffen sind.

«Allzu oft richtet sich die Blockade gegen infrastrukturprojekte im Bereich Energie, die uns dem Netto-Null-Ziel näherbringen sollen.»

Allzu oft richtet sich die Blockade dabei gegen Energieinfrastrukturprojekte, die uns dem Netto-Null-Ziel näherbringen sollen. Der Vorwurf ist rasch zur Hand, dass Umweltverbände am Abstimmungssonntag jeweils das hohe Lied der Energiewende singen, nur um am Montag gegen konkrete Umsetzungsprojekte Einsprache einzulegen. Durch langwierige Rechtsverfahren können Projekte um Jahre verzögert werden, oder es werden namhafte Zugeständnisse abgerungen, was beides letztlich zu erheblichen Kostensteigerungen führt. Dies beeinträchtigt aus Sicht eines investitionswilligen Unternehmens die Planungssicherheit und macht das Projekt weniger attraktiv. Die politisch angestrebte Energiewende wird so zur Makulatur.

Temporäre Aussetzung

Das Verbandsbeschwerderecht ist auch unter demokratischen und föderalistischen Gesichtspunkten bedenklich. Umweltverbände können damit Entscheidungen von gewählten Behörden und Gerichten, ja teilweise auch die Umsetzung von Urnenentscheiden blockieren. Die Verbände handeln gemäss ihrem Zweck und nicht auf Grundlage einer demokratischen Wahl. Zudem vertreten sie oftmals keine direkten lokalen Interessen, die sich allenfalls sogar für ein Projekt einsetzen.

Neben der offensichtlichen, aber wohl nicht mehrheitsfähigen Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts könnte es auch bezogen auf einzelne Nutzungen temporär ausgesetzt werden. So zum Beispiel für den Ausbau der Energieinfrastruktur für die nächsten zehn Jahre. Dies wäre noch lange kein Freipass für Investoren, denn die Genehmigungsverfahren bieten bereits heute ein hohes Schutzniveau zugunsten öffentlicher Güter.

Klare Zulassungskriterien

Weitere Reformvorschläge wären: Erstens die Einführung von klareren Zulassungskriterien für klageberechtigte Verbände. So könnte festgelegt werden, dass nur besonders qualifizierte und spezialisierte Verbände, die sich nachweislich intensiv mit dem betroffenen Themengebiet auseinandersetzen und mit einem klaren öffentlichen Interesse handeln, Beschwerde einlegen dürfen. Ausserdem sollten nur Klagen zugelassen werden, die eindeutig im Zusammenhang mit dem festgeschriebenen Verbandszweck stehen.

Zweitens könnte die Möglichkeit, Beschwerde einzulegen, regional stärker eingeschränkt werden, um sicherzustellen, dass nur Verbände klagen, die tatsächlich direkt von den Auswirkungen der Entscheidung betroffen sind. Und schliesslich könnten drittens gegen einen Verband Sanktionen verhängt werden, wenn er wiederholt erfolglos oder offensichtlich unbegründete Beschwerden einreicht. Sanktionen könnten etwa die temporäre Entziehung des Beschwerderechts oder höhere Verfahrenskosten sein.

Parlamentarische Initiative

Dass Reformen möglich sind – aber einen langen Schnauf brauchen – beweist die im März 2019 eingereichte parlamentarische Initiative «Kein ‹David gegen Goliath› beim Verbandsbeschwerderecht». Dank der Vorlage sollen Wohnbauprojekte bis zu 400 Quadratmeter, welche sich innerhalb der Bauzone befinden, vom Verbandsbeschwerderecht ausgenommen werden. Denn bislang konnten Umweltverbände (Goliath) gegen den Bau zum Beispiel eines Einfamilienhauses eines privaten Bauherren (David) Einsprache einlegen. Dies soll nun nicht mehr möglich sein. Zu betonen ist, dass aber alle anderen Beschwerdemöglichkeiten weiterhin bestehen bleiben.

Für Investoren in Energieinfrastrukturprojekte bleiben heute als Alternative zum gerichtlichen Weg realistischerweise oft nur eine verstärkte Mediation und das Anstreben einer aussergerichtlichen Lösung. So können teilweise Einigungen erzielt werden, bevor langwierige Verfahren notwendig werden. Zusatzkosten fallen aber auch hier an, die letztlich von allen Stromkonsumenten getragen werden müssen.

Patrick DĂĽmmler, Ressortleiter sgv

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