Publiziert am: 04.10.2024

«Weltweit im Rampenlicht»

BUNDESRAT GUY PARMELIN – «Es freut mich riesig», sagt der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) zu den sensationellen Erfolgen der jungen Schweizer Berufsleute an den WorldSkills in Lyon. Dank der Berufsbildung stünden viele Karriere­wege offen.

Schweizerische Gewerbezeitung: Das 45-köpfige SwissSkills-National- Team brillierte an den WorldSkills 2024 in Lyon. Es holte 15 Podestplätze, die Schweiz war die erfolgreichste Nation Europas. Sie waren vor Ort: Was sagen Sie zu diesem hervorragenden Resultat?

Bundesrat Guy Parmelin: Es freut mich riesig, dass das Schweizer Team an den WorldSkills einmal mehr sein Können unter Beweis gestellt und Spitzenleistungen erbracht hat. Gratulation! Der Medaillensegen zeigt, dass die Schweizer Berufsleute zur internationalen Spitze gehören. Ihre Erfolge haben die Stärken der Schweizer Berufsbildung weltweit ins Rampenlicht gerückt. Bei meinem Besuch in Lyon habe ich festgestellt, dass im Schweizer Team ein sehr guter Teamgeist herrscht. Man spürt, dass die Betriebe, die Experten, SwissSkills und viele andere hinter unseren Teilnehmenden stehen. Das alles erfüllt mich mit Stolz und Freude.

Zum Erfolgsmodell der Schweiz gehört unter anderem das duale Berufsbildungssystem. Was sind seine grössten Stärken?

Die enge Verbindung von Theorie und Praxis. Unsere Berufsbildung ist arbeitsmarktorientiert. Die Anforderungen an die einzelnen Abschlüsse der beruflichen Grundbildung und der höheren Berufsbildung werden von der Wirtschaft festgelegt. Ausgebildet werden Fähigkeiten, die in der Arbeitswelt gebraucht werden. Die Jugendlichen erlernen Berufe, für die es durch die Unternehmen wirklich eine Nachfrage gibt. In Lyon hat sich einmal mehr gezeigt, dass auch Soft Skills wie Flexibilität, Pünktlichkeit oder Problemlösungskompetenz für den Erfolg wichtig sind. Genau das lernt man in der Betriebspraxis.

Die welsche Schweiz ist allerdings enttäuscht. Die fünf Teilnehmer holten «nur» eine goldene Medaille. Hat die Berufsbildung in der Romandie einen anderen Stellenwert als in der Deutschschweiz?

In der Schweiz haben wir je nach Region unterschiedliche Ausbildungstraditionen. Wichtig ist, dass unser Land am Ende über gut ausgebildete Nachwuchskräfte verfügt. Wir bleiben am Ball und fördern die Berufsbildung auch in der Westschweiz weiter. Mit den EuroSkills 2029 in Genf werden wir in der Romandie quasi ein Heimspiel haben.

Was sind Ihre Ansätze, damit sich die Akteure in der Westschweiz stärker für die Unterstützung der für die Schweizer Wirtschaft so wichtigen Berufslehre einsetzen?

Erfolg haben wir dann, wenn sich die Verbundpartner in allen Landesteilen Hand in Hand für die Berufsbildung einsetzen. Dazu zähle ich auch die vielen Berufsverbände. Die Berufsbildung erlebt in der Schweiz eine Renaissance. Verschiedene Kantone, gerade auch in der Westschweiz, haben spezielle Programme lanciert, um die Berufsbildung zu stärken und bekannter zu machen. Die Berufsbildung bietet vielfältige Karrieremöglichkeiten, doch das muss den Jugendlichen und Erwachsenen auch bewusst werden. Wir wollen zudem nicht nur Jugendliche, die vor der Berufswahl stehen, und deren Eltern erreichen, sondern auch Erwachsene, die selbst einen ersten Berufsabschluss oder den Wechsel in einen anderen Beruf anstreben. Hier kommt der Berufsinformation und -beratung in den Kantonen eine wichtige Aufgabe zu.

Der Bund unterstützt regionale Berufsmessen sowie die Berufsmeisterschaften. Davon profitieren auch Berufsverbände.

«Die Berufsbildung bietet viele Karrieremöglichkeiten. doch das muss den Jugendlichen und Erwachsenen auch bewusst werden.»

Sie selbst haben Ihre Berufslehre in der Deutschschweiz absolviert. Wieso haben Sie sich dafür entschieden?

Mein Vater und mein Bruder waren in der Landwirtschaft tätig. Nach dem Gymnasium wollte ich den gleichen Weg einschlagen und mir neben dem theoretischen Wissen auch praktisches Können aneignen. Ich entschied mich deshalb für eine dreijährige Berufslehre als Landwirt. Meine Mutter wünschte, dass ich ein Jahr davon im deutschsprachigen Teil des Kantons Freiburg absolvierte, um meine Deutschkenntnisse zu verbessern. Dieser Weg hat sich gelohnt, ich kann ihn allen jungen Leuten wärmstens empfehlen.

Weshalb sollten junge Menschen heute eine Berufslehre antreten?

Eine Stärke der Berufsbildung ist, dass sie allen eine Perspektive bietet – sowohl den leistungsstärkeren wie auch den weniger «guten» Schulabgängern. Aber auch bei den Erwachsenen ist das der Fall: Manche konnten in ihrer Jugend keinen Berufsabschluss erreichen oder sie wollen jetzt in einen neuen Beruf wechseln oder einen höheren Bildungsabschluss erreichen. Das Spektrum der Berufe ist so breit, dass fast jede Person etwas Passendes findet. Nach einer Berufslehre stehen alle Bildungswege offen: die vielfältigen Angebote der höheren Berufsbildung, ein Studium an einer Fachhochschule dank der Berufsmaturität oder der Zugang zu einer Universität über die Passerelle. Viele Kaderleute von kleinen und mittleren Unternehmen und sogar gewisse CEOs von Konzernen sind mit einer Berufslehre ins Erwerbsleben gestartet.

Die Schweizer Hochschulen – Unis und Fachhochschulen – zählen rund eine Viertel Million Studenten. Welche Auswirkungen hat die zunehmende Akademisierung auf die Berufslehre?

Die Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren stark verändert, die Anforderungen an die Angestellten sind gestiegen. Das zeigt sich daran, dass immer mehr Menschen über einen tertiären Bildungsabschluss verfügen. Dazu gehören nicht nur Hochschulabschlüsse, sondern auch die Abschlüsse der höheren Berufsbildung. Der optimale Mix macht es aus: Es ist wichtig, dass wir ein wohlabgestimmtes und durchlässiges Bildungssystem haben, das auf allen Stufen qualifizierte Fach- und Führungskräfte für unsere Wirtschaft bereitstellt.

Die Unternehmen haben zum Teil Mühe, ihre Lehrstellen zu besetzen. Wie kann der Fachkräftemangel verringert werden?

Hier sind wir alle gefordert. Die betroffenen Branchen engagieren sich, indem sie für ihre Berufe werben und attraktive Stellenangebote bereitstellen. Bund und Kantone sorgen für gute Rahmenbedingungen: Um die höhere Berufsbildung zu stärken, haben wir direkte Bundesbeiträge für Personen eingeführt, die sich auf eine eidgenössische Berufs- oder höhere Fachprüfung vorbereiten. Sie werden dadurch finanziell entlastet; pro Jahr summieren sich diese Beiträge auf über 100 Millionen Franken. Bund und Kantone unterstützen zudem Berufsabschlüsse für Erwachsene oder auch Weiterbildungskurse für wichtige Grundkompetenzen, von der Sprache über Mathematik bis zur IT-Anwendung.

Die höhere Berufsbildung ist eine «offene Türe» nach der Berufslehre. Welche Bedeutung hat sie für den Werkplatz Schweiz?

Die höhere Berufsbildung ist für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen zentral. Da es die Berufs- und Branchenverbände sind, die die erforderlichen Kompetenzen bestimmen, ist die höhere Berufsbildung auf die Bedürfnisse der praktischen Arbeitswelt abgestimmt. Dieser Punkt ist für die Wirtschaft entscheidend und erklärt die hohe Nachfrage nach diesen Abschlüssen. Jedes Jahr schliessen schweizweit rund 27 000 Berufsleute eine höhere Berufsbildung ab. Sie machen so einen wichtigen Schritt in ihrer beruflichen Weiterentwicklung und Karriere.

Die höhere Berufsbildung soll mit der Einführung der Titelzusätze «Professional Bachelor» und «Professional Master» gestärkt werden. Derzeit endet die Vernehmlassung zu dieser Vorlage. Wie sieht danach der Fahrplan aus?

Die neuen Titelzusätze sollen den Bekanntheitsgrad und die Anerkennung der höheren Berufsbildung stärken, besonders in der öffentlichen Wahrnehmung, im In- und Ausland. Das ist wichtig, um auch die berufliche Grundbildung attraktiver zu machen. Zurzeit wird die Vernehmlassung ausgewertet. Mein Ziel ist es, dass der Bundesrat den Gesetzesentwurf möglichst rasch dem Parlament übergibt. Wenn es keine schwerwiegenden Einwände gibt, sollte das spätestens bis Mitte 2025 realistisch sein. Ab dann entscheidet das Parlament über den weiteren Zeitplan.

Die Initiative «Berufsbildung 2030» hat das Ziel, die duale Berufsbildung und die Weiterbildung zu stärken. Im Fokus steht die Arbeitsmarktfähigkeit. Weshalb ist diese Initiative wichtig?

Wir wollen, dass den Unternehmen auch in Zukunft geeigneter Nachwuchs zur Verfügung steht. Und wir wollen jungen Menschen attraktive Berufsperspektiven bieten. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Berufsbildung quasi laufend selbst weiterbildet: Sie muss mit den aktuellen Anforderungen der Arbeitswelt Schritt halten und absehbare Neuerungen, zum Beispiel Entwicklungen bei der künstlichen Intelligenz, aufnehmen. Dank «Berufsbildung 2030» konnte der Bund verschiedene Projekte, wie zum Beispiel «TopAusbildungsbetriebe» zur Förderung der Ausbildungsqualität, voranbringen.

Interview: Corinne Remund

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