Schweizerische Gewerbezeitung: Zu Beginn: Übermorgen stimmen wir über sechs gezielte Projekte ab – davon zwei im Kanton Bern –, um Engpässe auf den Nationalstrassen zu beheben. Weshalb ist ein JA gerade für die Berner KMU wichtig?
Ernst Kühni: Mit den Erweiterungen «Wankdorf – Schönbühl» auf acht Spuren und «Schönbühl – Kirchberg» auf sechs Spuren liegen gleich zwei der insgesamt sechs Teilprojekte in den verschiedenen Landesregionen quasi direkt vor unserer Haustüre. Wenn die KMU Tag für Tag im Stau stecken bleiben, dann ist das extrem frustrierend. Wie sollen so die Tage effizient organisiert und die Kunden pünktlich bedient werden?
Jede einzelne Stauminute verursacht aber auch einen massiven wirtschaftlichen Schaden für den Kanton Bern und die ganze Schweiz. Letztes Jahr betrug dieser sage und schreibe über eine Milliarde Franken.
«Die Baubewilligungsverfahren werden in unserer Branche zum Spiessrutenlauf.»
Nur wenn der Verkehr auf unseren Hauptverkehrsachsen wieder fliesst, können wir den schädlichen Ausweichverkehr eindämmen. Davon profitieren alle: das Gewerbe und die Kunden, aber auch der öffentliche Verkehr und die Pendler, die Dörfer und Quartiere, die Velofahrer, die Fussgänger und die Schulkinder.
Doch nicht nur Stau ist ein Problem. Berner KMU, der Gewerbeverband des Kantons Bern, hat zum fünften Mal den Berner KMU-Barometer durchgeführt. Die Bürokratie hat dabei den Fachkräftemangel als Sorgenthema Nummer 1 abgelöst. Was konkret macht den Berner KMU das Leben schwer?
Ja genau. Aktuell und neu kostet die Unternehmen die wachsende Behördenbürokratie – und hier insbesondere die Formularflut und die zeitaufwendigen Bewilligungsverfahren – am meisten Zeit und Nerven. Unsere Mitglieder wünschen sich unter anderem wieder mehr Eigenverantwortung, und dass die Behörden mehr als Dienstleister für das Gewerbe agieren und nicht als Gegenspieler.
Sie führen ein Holzbau-KMU, das Sanierungen, Renovationen, Neu- und Umbauten anbietet. Wie macht sich in Ihrem Betrieb die gestiegene Bürokratie bemerkbar?
Der Zeitaufwand ist immens, und es wird jedes Jahr schlimmer mit den Vorschriften. Die Baubewilligungsverfahren werden in unserer Branche zum Spiessrutenlauf. Niemand kann abschätzen, wie lange es dauert, bis eine gültige Bewilligung vorliegt. Die neue Bauarbeiterverordnung fordert Sicherheiten auf der Baustelle, die zum Teil gar nicht eingehalten werden können. Hier wird die ganze Verantwortung auf die Unternehmen abgeschoben.
«2024 sind wieder deutlich mehr Betriebe zuversichtlich, eine geeignete Nachfolgelösung zu finden.»
Unnötige Regulierungen sind ein Ärgernis und ein grosser Kostenfaktor für KMU. Sie können keine Experten beschäftigen, um diese zu bewältigen. Sind Regulierungen im Kanton Bern ein besonders grosses Problem, oder ist das schweizweit etwa ähnlich?
Ich denke, dass dies ein schweizweites Problem ist. Dies belegen ja auch die stets wachsenden Verwaltungsstellen beim Bund, die mir zunehmend Sorgen bereiten. Der Zeitaufwand, auch im Zusammenhang mit Aufträgen der öffentlichen Hand, hat überall stark zugenommen.
Was muss getan werden, dass die Bürokratie nicht immer mehr überhandnimmt, und wer kann oder muss hier Gegensteuer geben?
Ich wünsche mir kürzere Entscheidungswege – und wieder mehr Selbstbestimmung. Bei Baubewilligungsverfahren muss das Beschwerderecht eingeschränkt werden. Die Zusammenarbeit zwischen den KMU-Unternehmen und den Behörden sollte auf ein partnerschaftliches Niveau gehoben werden. KMU sind es gewohnt, Resultate mit schlanken Lösungen zu erreichen. Behörden sollten als Dienstleister agieren und nicht als Bürokratiemonster, welche dann zusätzliche und oft unnötige Mehraufwände an KMU delegieren.
Sorgenthema bei den Berner KMU ist zudem der Fachkräftemangel. Wie äussert sich dieser in Ihrem Kanton?
Genau. Er ist neben dem Bürokratiefrust immer noch das Sorgenthema Nummer 2. Der Gewerbeverband Berner KMU unterstützt deshalb wo immer möglich Berufsbildungsprojekte und führt vom 11. bis 15. März zusammen mit verschiedenen Berufsverbänden wieder die Berner Erlebnistage Berufsbildung «Rendez-vous Job» durch.
Sie beschäftigen über 170 Mitarbeiter, davon 30 Lehrlinge. Was ist Ihr Erfolgsrezept, dass Sie so viele Lernende gefunden haben?
Wir bieten Schnupperlehren an, machen Schulbesuche und stellen den Achtklässlern die verschiedenen Berufe vor. Den akuten Fachkräftemangel können wir nur in den Griff bekommen, indem wir KMU möglichst alle selber Lehrstellen anbieten. Von unseren aktuell 170 Mitarbeitenden haben 60 Prozent eine Lehre oder eine Weiterbildung bei uns absolviert.
Öffnen wir ein wenig den Blick: Deutschland hat grosse wirtschaftliche Probleme. Inwiefern sind Berner KMU davon betroffen, zum Beispiel als Zulieferer?
Neben dem starken Franken spüren sicher auch zahlreiche KMU die aktuelle Krise. Beispiele wie dasjenige unseres Mitglieds der Bürki Electric AG in Steffisburg, welches ich letzte Woche in der «Berner Zeitung» gelesen habe, stimmen mich aber trotzdem zuversichtlich. Der renommierte Zuliefererbetrieb hat es dank Diversifizierung geschafft, einen Teil der Ausfälle kompensieren zu können.
Ein KMU-Dauerbrenner ist und bleibt die Nachfolgeregelung. Wie sehen da die Ergebnisse der Umfrage aus?
2024 sind wieder deutlich mehr Betriebe zuversichtlich, eine geeignete Nachfolgelösung zu finden: Knapp sechs von zehn KMU sind sehr zuversichtlich, während nur gerade knapp 27 Prozent nicht zuversichtlich sind. Für gut einen Viertel der Unternehmen, die sich aktuell mit der Nachfolgeregelung beschäftigen, wird das Nachfolgethema innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre aktuell werden. 40 Prozent der befragten KMU planen, die Nachfolge mit einer externen Begleitung anzugehen. Knapp gleich viele möchten sie jedoch ohne externe Begleitung durchführen und rund 17 Prozent der KMU haben sich dies noch nicht überlegt.
Trotz all der Herausforderungen: Wie ist generell die Stimmung bei den Berner KMU?
Die Stimmung und die Investitionslust sind trotz Bürokratiefrusts ungebrochen gut.
«Unsere KMU sind nicht nur das Rückgrat der Wirtschaft, sondern der ganzen Gesellschaft.»
734 Betriebe haben beim Berner KMU-Barometer teilgenommen. Mit welchem Ziel führen Sie diese Umfrage eigentlich durch?
Der Berner KMU-Barometer 2024 zeigt gestützt auf eine repräsentative Umfrage des Instituts gfs-zürich, wie die Betriebe ihre aktuelle Situation und die Aussichten für die nächsten drei Monate beurteilen – verglichen mit den ersten vier Online-Befragungen 2020 bis 2024. Neben den Resultaten wollen wir aber auch mögliche Lösungsansätze aufzeigen.
Zum Schluss: Berner KMU ist Mitgründer des Labels «BEstouz». Wofür steht es und wozu braucht es das?
Die gemeinsame Charmeoffensive der Wirtschaftsverbände – Gewerbeverband Berner KMU, Handels- und Industrieverein des Kantons Bern, Die Berner Arbeitgeber und Hauseigentümerverband Kanton Bern, zusammen mit dem Berner Bauernverband – wurde im Herbst 2023 lanciert. «BEstouz» ist deshalb so wichtig, weil es ohne Wirtschaft keinen Wohlstand gibt.
Unsere KMU sind ja nicht nur das Rückgrat der Wirtschaft, sondern der ganzen Gesellschaft. Deshalb ist es in meinen Augen unerlässlich, dass wir der Bevölkerung die Wirtschaft auf sympathische Art und Weise wieder näherbringen können. Unsere Wirtschaft besteht nicht vorwiegend aus der «Zürcher Bahnhofstrasse» und den multinationalen Konzernen, sondern aus Familienunternehmen, Handwerkerbetrieben, etc.
Interview: Rolf Hug
Die Resultate des Berner KMU-Barometers:-