Mit einer neuen Revision der Zivilprozessordnung (ZPO) will der Bundesrat die bestehende Verbandsklage ausbauen und künftig auch die Geltendmachung von Ersatzansprüchen ermöglichen. Bereits 2018 hat er im Rahmen einer ZPO-Revision eine kollektive Rechtsdurchsetzung gefordert, ist aber am Widerstand in der Vernehmlassung gescheitert. Seit drei Jahren liegt eine neue Vorlage auf dem Tisch.
Weil nach heutigem Recht in der Schweiz grundsätzlich jede Person ihre Rechtsansprüche individuell einklagen muss, auch wenn eine Vielzahl von Personen gleich oder gleichartig geschädigt ist, schlägt der Bundesrat die Ausweitung der Verbandsklage vor. Sie soll der Durchsetzung von Ersatzansprüchen bei sogenannten Massen- und Streuschadensfällen dienen.
Risiko der Populärbeschwerde
Mit dem Gruppenvergleich wird es Geschädigten ermöglicht, über einen Verein eine Entschädigung mit Wirkung für eine Vielzahl von Geschädigten einzugehen. Mit der Verbandsklage soll Geschädigten auch ermöglicht werden, auf ein individuelles Gerichtsverfahren zu verzichten, weil sie das Kostenrisiko tragen müssen.
«Dem Missbrauch wird Tür und Tor geöffnet. Das Nachsehen haben die Gewerbetreibenden.»
Damit ein Verband klagen kann, darf er nicht gewinnorientiert sein, und muss seit mindestens einem Jahr existieren. Bereits zehn natürliche oder juristische Personen können einen Verband zur Klage ermächtigen. Davon profitieren werden Konsumentenschutzorganisationen und NGOs. Dem Missbrauch wird Tür und Tor geöffnet. Das Nachsehen haben die Gewerbetreibenden.
Brisanz erkannt
Schon früh hat die Rechtskommission des Nationalrats die Brisanz der Vorlage erkannt und diverse Zusatzabklärungen getätigt. Neben einer Regulierungsfolgeabschätzung und einer rechtsvergleichenden Studie hat sie auch die möglichen Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Sachen «Verein KlimaSeniorinnen» prüfen lassen. Dabei kommt die Rechtskommission des Nationalrats in einer Gesamtschau zum Schluss, dass die vorgesehenen Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes nicht zum Schweizer Rechtssystem passen.
Nach Auffassung des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv wird – zu Recht – befürchtet, dass sich kommerziell ausgerichtete Anwaltskanzleien und Organisationen zur Prozessfinanzierung auf die Einreichung von Klagen spezialisieren und den Unternehmen erheblichen Schaden zufügen könnten.
sgv fordert Nichteintreten
Ein ganz wesentliches Erfolgselement des Wirtschaftsstandorts Schweiz ist seine Rechtssicherheit. Stabile Rahmenbedingungen sind für unsere Unternehmen von zentraler Bedeutung. Der Zivilprozess geht von der Individualität von Kläger und Beklagten aus. Der Einzelfall wird beurteilt und eine gerechte Lösung gesucht.
Die ZPO-Revision mit der Ausweitung der Sammelklagen wĂĽrde einen Paradigmenwechsel bewirken. Sammelklagen sind in unserem Rechtssystem sachfremd, schaffen eine Kultur des Misstrauens, werden zum Anziehungspunkt einer Klageindustrie und provozieren eine Verfahrensflut.
Auf die Verpolitisierung des Rechts in der Schweiz zulasten der Unternehmen ist zu verzichten. Der sgv fordert analog der Rechtskommission des Nationalrates, auf die Vorlage des Bundesrates gar nicht erst einzutreten.
Dieter Kläy, Ressortleiter sgv