Jürg Grossen hat an dieser Stelle vor rund einem Monat ganz viele Argumente für die Solarenergie und ihren weiteren Ausbau geliefert (vgl. «Orientierungslose Strompolitik», Tribüne, sgz vom 8. November). Das ist sein gutes Recht als entschädigter Swissolar-Präsident, um nicht zu sagen seine Pflicht. Was er nicht geliefert hat, sind überzeugende Argumente für die Beibehaltung des KKW-Neubauverbots – sofern es denn solche überhaupt gibt.
Alle Optionen offenhalten
Es spricht nichts dagegen, das Potenzial der Solarenergie in der Schweiz rational auszuschöpfen. Es spricht aber auch nichts dagegen, uns alle Optionen offenzuhalten. Eine technologieoffene Energiepolitik ist vorausschauend und nicht – wie Grossen sagt – orientierungslos. Sie ermöglicht eine ergebnisoffene Analyse und bietet Möglichkeiten zur Kurskorrektur. Das ist in Anbetracht der verschiedenen Unsicherheiten im internationalen Energiemarkt mehr als angebracht, auch mit Blick auf die massiven Schwierigkeiten von Deutschland, eine stabile Stromversorgung nach dem KKW-Ausstieg zu einem erschwinglichen Preis sicherzustellen.
Haltlose Befürchtungen
Die Argumentation der Kernenergie-Gegner wirkt bisweilen so, als würde mit der Aufhebung des KKW-Neubauverbots der Ausbau der Erneuerbaren von heute auf morgen gestoppt. Diese Befürchtungen sind haltlos. Wie Bundesrat Albert Rösti bei der Ankündigung des Gegenvorschlags zur Blackout-Initiative gesagt hat, soll die Kernenergie eine Option sein, wenn der geplante Ausbau der Erneuerbaren nicht realisiert werden kann. Anders gesagt: Wenn Sonne und Wind die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen, wenn sie ihre Versprechungen einlösen, dann brauchen wir keine neuen KKW.
Miteinander statt gegeneinander
Der Ersatz unserer Kernkraftwerke mit Erneuerbaren ist jedoch in meinen Augen mit zahlreichen Fragezeichen verbunden. Es mag alles richtig sein und eintreffen, was Jürg Grossen in seinem Beitrag aufführt. Beim Stromverbrauch habe ich allerdings erhebliche Zweifel, und auch die Nachrichten zu grossen Solarprojekten im Alpenraum stimmen mich wenig optimistisch. Um das Netto-Null-Ziel zu erreichen, müssen wir unsere Industrie dekarbonisieren. Dafür brauchen wir in Zukunft nicht weniger, sondern beträchtlich mehr Strom – und zwar sauberen. Und dann sind wir gut beraten, wenn wir alle CO2-armen Stromquellen in unsere Überlegungen miteinbeziehen können.
«Der Ersatz unserer Kernkraftwerke mit Erneuerbaren ist mit zahlreichen Frage-zeichen verbunden.»
Der Einwand, neue KKW würden zu spät kommen, ist kein Argument gegen die Aufhebung des Neubauverbots. Wenn, dann wäre das ein Grund, erst recht vorwärtszumachen. Und selbst wenn bis 2050 in der Schweiz kein neues KKW Strom liefert: Wer garantiert, dass wir diesen Strom nicht auch später noch dringend brauchen könnten? Wer wettet heute darauf, dass unsere Stromversorgung im Jahr 2050 perfekt sein wird?
Zusätzlicher Handlungsspielraum
Noch einmal: Niemand will unmittelbar nach der Aufhebung des Neubauverbots die gesamte Energiestrategie 2050 über den Haufen werfen und alle Erneuerbaren einstampfen. Aber wir müssen die Energieversorgung der Zukunft besonnen planen. Dazu gehört es, den Fortschritt der Strategie offen und ehrlich zu analysieren und sie nötigenfalls der Realität anzupassen. Für diesen Fall eröffnet uns die Aufhebung des Neubauverbots zusätzlichen Handlungsspielraum – nicht mehr und nicht weniger.
Manfred Bühler, Nationalrat SVP und VorstandsmitgliedNuklearforum Schweiz
www.nuklearforum.ch