Publiziert am: 07.02.2025

Die Meinung

Zeitgeist adieu?

Plötzlich reden alle von Deregulierung. Sogar Vertreter von Konzernen wehren sich plötzlich gegen zu viel Berichterstattungsbürokratie.

Bis vor kurzem tönte es noch anders. Während vieler Jahre erlebte ich als Vorstandsmitglied eines europäischen Branchenverbands 1:1, wie Konzernfunktionäre in Brüssel für absurde Nachhaltigkeitsbürokratie lobbyierten. Dabei spannten sie auch fleissig mit NGOs zusammen. Die Interessen der KMU wurden dabei nicht nur ignoriert, sondern aktiv bekämpft. Dies mit dem scheinheiligen Argument «gleiche Regeln für alle». Tatsächlich ging es den Grossen darum, die Kleinen aus dem Markt zu drängen und sich dabei ein grünes Mäntelchen umzuhängen, um bessere Konditionen auf dem ESG-getriebenen Finanzmarkt zu erhalten und das Employer Branding aufzupolieren.

Auch in der Schweiz lobbyierten Konzerne für mehr Berichterstattungspflichten, namentlich beim Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative. Damit konnte eine direkte Haftung für die Verletzung von Menschenrechten und Umweltvorschriften im Ausland verhindert werden. Und noch im letzten Sommer lobbyierte der belgische Vertreter einer internationalen Konzernvereinigung – der sogenannten «Responsible Business Alliance» – vor Mitgliedern der Eidgenössischen Räte für die Übernahme der «Corporate Social Due Diligence Directive» der EU in der Schweiz.

Auch economiesuisse warb für grüne Anliegen. Noch im Jahr 2022 forderte der Verband zusammen mit dem WWF, dass die Finanzwirtschaft «als wichtiger Katalysator das volle Potenzial grüner Finanzierung nutzbar machen» müsse. Brisant: Die beiden Organisationen wollten auch KMU so auf den grünen Weg schicken, denn die Schweiz könne «es sich nicht erlauben, KMU hier aussen vor zu lassen», wie dem gemeinsamen Papier zu entnehmen war.

Der Zeitgeist war auf Nachhaltigkeit und «Purpose» getrimmt. Der CEO von BlackRock, einem der weltweit grössten und einflussreichsten Vermögensverwaltungsunternehmen, forderte Unternehmen auf, einen gesellschaftlichen Zweck («purpose») zu verfolgen, statt sich auf die Erzielung von Gewinn zu konzentrieren. ESG-Kriterien wurden zum entscheidenden Faktor für Investitionsentscheidungen. Die Folge davon waren skandalöse Raster für die Prüfung von Kundenbeziehungen im Finanzbereich. Das setzte ganze Branchen im Energie-, Transport oder Rüstungsbereich unter Druck. Betroffene Unternehmen wurden (und werden) deshalb beispielsweise bei Konditionen für Finanzgeschäfte systematisch benachteiligt.

Jetzt dreht der Wind. Inzwischen ist es offensichtlich geworden, dass die Wirtschaft zu Tode reguliert wird, wenn mit den Nachhaltigkeitsvorgaben so weitergemacht wird wie bisher. Deshalb heissen die Schlagworte jetzt plötzlich Entbürokratisierung und Wettbewerbsfähigkeit. Dem geänderten Umfeld passen sich auch Akteure an, die vor kurzem noch opportunistisch auf der grünen Welle surften.

Erstaunlich wendig zeigen sich auch die Interessenvertreter der Grossunternehmen bei economiesuisse. Noch vor wenigen Jahren ergänzte dieser Verband seinen statutarischen Zweck – dem Zeitgeist folgend – mit Nachhaltigkeitszielen. Heute spricht er wieder mehr über die Bürokratielast. Und er prangert Nachhaltigkeitsberichterstattungspflichten an. Es ist zu hoffen, dass sich economiesuisse damit nicht erneut einfach nach dem Wind richtet, sondern nachhaltig den richtigen Kurs gefunden hat.

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