Publiziert am: 09.05.2025

«Jetzt ist Tempo gefragt»

GIAN-LUCA LARDI – «In zehn Jahren ist es nicht ge­lun­gen, der Bevölkerung verständlich zu machen, was Ver­dichtung tatsächlich bedeutet», sagt der Präsident des Schweizerischen Baumeisterverbands. «Es geht darum, von einer viergeschossigen Schweiz zu einer mit fünf bis sechs Geschossen heranzuwachsen.»

Schweizerische Gewerbezeitung: In welchem Zustand präsentiert sich die Schweizer Bauwirtschaft im Frühling 2025?

Gian-Luca Lardi: Mit 23,4 Milliarden Franken lag der Umsatz der Baumeister 2024 in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Die neuen Aufträge summierten sich bei 22,7 Milliarden Franken. Die Neuaufträge lagen damit das zweite Jahr in Folge unter der Bautätigkeit.

Das erste Quartal 2025 dürfte verhalten gestartet sein, aber danach nehmen die meisten Sparten gemäss unserer Bauindex-Prognose an Fahrt auf. Insgesamt sollte sich der Umsatz 2025 um 0,2 Prozent auf 23,5 Milliarden Franken erhöhen, was einer Konsolidierung der Branche auf einem insgesamt guten Niveau entspricht.

Der Wohnungsbau sollte endlich ab der zweiten Jahreshälfte wachsen. Darauf deuten die Baugesuche hin. Bis die Zinssenkungen aber ihre volle Wirkung auf dem Baumarkt entfalten, werden noch ein bis zwei Jahre vergehen.

Eine Ihrer Hauptsorgen betrifft den Wohnungsbau. Laut dem SBV steuert die Schweiz «mit Vollgas von einer Wohnungs-mangellage in eine Wohnungsnot». Woran machen Sie diese alarmierende Aussage fest?

Im Jahr 2025 werden voraussichtlich 42 000 neue Wohnungen errichtet – viel zu wenig angesichts des jährlichen Bedarfs von rund 50 000 zusätzlichen Wohnungen, den das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) ermittelt hat. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass der Leerstand von derzeit 1,08 Prozent weiter sinkt und möglicherweise bald unter 1,0 Prozent im Landesdurchschnitt fällt. Die Wohnraumnot wird dadurch verstärkt und kann bald in der gesamten Schweiz zu einer ähnlichen zugespitzten Wohnmangellage führen, wie sie in den grossen Städten bereits seit Jahren besteht. Das ist ein klares Alarmzeichen. Doch statt bestehende Fehlanreize zu korrigieren, setzt die Politik auf noch mehr Regulierung.

Weshalb stagniert der Wohnungsbau, wenn doch die aktuelle Mangellage – und insbesondere einer der Gründe dafür, Stichwort: Zuwanderung – förmlich nach dem Bau von neuem Wohnraum schreit?

Auf Seiten Nachfrage ist natĂĽrlich die Zuwanderung ein wichtiger Faktor, aber auch die sogenannten Haushaltsverkleinerungen. Es wohnen immer mehr Menschen alleine, dadurch steigt die Nachfrage nach Wohnungen.

Um Baulücken besser nutzen zu können, muss die Ausnützungsziffer erhöht werden. Diese bestimmt in der Schweiz die maximal zulässige Überbauung eines Grundstücks. Eine höhere Ausnützungsziffer wäre ein zentrales Element für eine erfolgreiche Verdichtung.

Ein weiteres Problem: 70 Prozent aller Neubauprojekte in der Stadt Zürich sind derzeit durch Einsprachen blockiert. Auch hier sieht der Schweizerische Baumeisterverband Handlungspotenzial. Zwar müssten berechtigte Einsprachen möglich sein, aber seit einem fatalen Entscheid des Bundesgerichts im Jahr 2011 kann eine Person sogar Einsprache erheben, wenn sie selbst von einem Bauprojekt gar nicht betroffen ist. Solche Einsprecher geben vor, das allgemeine Interesse zu schützen. Tatsächlich wollen sie aber nur ihren eigenen Ausblick auf den See oder auf die Berge schützen. Gerade in den Städten blockieren damit Partikularinteressen Ersatzneubauten. Dabei schafft ein Ersatzneubau Wohnraum für 87 Prozent mehr Menschen als der bisherige Altbau, und das, ohne einen einzigen Quadratmeter Boden zusätzlich versiegeln zu müssen.

Inwieweit ist der heute fehlende Wohnraum auch eine Folge des geltenden Raumplanungsgesetzes, das 2013 gegen den Widerstand auch des Baugewerbes angenommen wurde?

Diese raumplanerische Herkulesaufgabe hat in unserem föderalen System ein ganzes Jahrzehnt benötigt, um auf der Ebene der Gemeinden anzukommen. Mit klugen Massnahmen – etwa einer generellen Erhöhung der Ausnützungsziffern oder einer Reduktion der Grenzabstände – liesse sich eigentlich deutlich mehr Wohnraum schaffen. Doch in diesen zehn Jahren ist es nicht gelungen, der Bevölkerung verständlich zu machen, was Verdichtung tatsächlich bedeutet. Denn: Es braucht keine Hochhäuser mitten im Dorf. Vielmehr geht es darum, von einer viergeschossigen Schweiz zu einer mit fünf bis sechs Geschossen heranzuwachsen. Schon damit liesse sich ein enormes Potenzial freisetzen.

Welche Folgen haben linke Forderungen wie jene nach einer Deckelung der Mietzinsen auf die Wohnbautätigkeit?

Die linke Parlamentshälfte muss anhand der eklatant kontraproduktiven Realexperimente in Genf und Basel einsehen, dass Überregulierung Wohnungsmangel verursacht. Nirgends in der Schweiz erhält man weniger Wohnqualität für sein Geld als in Genf. In Basel-Stadt sind seit der Einführung des lokalen «Wohnschutzgesetzes» vor anderthalb Jahren die Anfragen für Sanierungen von Wohnungen um 80 Prozent zurückgegangen. Eine Deregulierung würde altrechtliche Wohnfläche freigeben und somit das Angebot erhöhen, was preisdämpfend wirkt.

Von der Politik erwarten Sie, dass diesen bestehenden Fehlanreizen mit Reformen begegnet wird. Welche Reformen bräuchte es, um das Problem des stagnierenden Wohnungsbaus zu lösen oder wenigstens zu lindern?

Der Schweizerische Baumeisterverband fordert dringende Massnahmen zur Beschleunigung des Wohnungsbaus. Jetzt ist Tempo gefragt.

1. Schnellere Planungs- und Bewilligungsverfahren. Die Verfahren müssen vereinfacht und beschleunigt werden. Einsprachen sollen auf schützenswerte eigene Interessen beschränkt bleiben.

2. Angepasste raumplanerische Grundlagen: Es braucht höhere Ausnützungsziffern und reduzierte Grenzabstände, um die vorhandenen Flächen effizienter zu nutzen.

3. Ausgewogene Interessenabwägung zwischen Wohnungsbau und Denkmalschutz: Die Direktanwendung des Bundesinventars der schützenswerten Ortsbilder (ISOS) gehört auf den Prüfstand. Die Interessen des Wohnungsbaus und des Denkmalschutzes sind gleichwertig zu berücksichtigen.

Der SBV fordert eine bessere Interessensabwägung zwischen Wohnungsbau und Denkmalschutz. Was verlangen Sie genau?

Die Interessen und der Wert des Denkmalschutzes sind wichtig und sollen respektiert werden. Die Interessen des Wohnungsbaus, der Verdichtung und der klimaschonenden Sanierungen und Ersatzneubauten sollten aber in der Interessensabwägung nicht untergeordnet sein. So sieht der Schweizerische Baumeisterverband eine Begrenzung der Anzahl schützenswerter Objekte als eine mögliche Massnahme, beispielsweise indem maximal 10 Prozent der Schweizer Gebäude auf einer Schutzliste stehen sollen.

Für einen verstärkten Woh-nungsbau brauchen Sie auch die nötigen Fachkräfte. Was tut die Branche, um den Nachwuchs und generell genügend qualifizierte Arbeitskräfte zu finden?

Die Baubranche setzt auf ein neues, praxisnahes Aus- und Weiterbildungsangebot, das sich bereits in steigenden Lernendenzahlen bemerkbar macht. 2024 haben 722 Lernende den regulären Lehrgang zum Maurer EFZ bzw. zur Maurerin EFZ in Angriff genommen. Das sind rund 10 Prozent mehr im Vergleich zu den beiden Vorjahren. Zusätzlich dazu haben 156 Personen im Rahmen einer verkürzten Berufslehre oder einer Nachholbildung, die den Berufsabschluss für Erwachsene zum Ziel hat, die Maurerausbildung begonnen. Ein starker Effort im Aus- und Weiterbildungsbereich ist nötig. Denn eine Studie des SBV schlägt Alarm: Dem Bauhauptgewerbe werden im Jahr 2040 allen Anzeichen nach 5600 Fachkräfte fehlen. Das Bauhauptgewerbe reagiert darauf mit dem Masterplan «SBV-Berufsbildung 2030». Mit umfassenden Revisionen der Aus- und Weiterbildungen setzt der SBV auf eine zeitgemässe Ausbildung, verbesserte Weiterbildung und stärkere Branchentreue, um den wachsenden Bedarf an gut ausgebildeten Fachleuten zu decken. Nach einer intensiven Bedarfsabklärung bei allen wichtigen Akteuren der Branche kommt die Arbeit nun zum Tragen.

Während bei den Lernenden die Zahlen steigen, nimmt der Frauenanteil in der Baubranche nur minim zu. Woran liegt das?

Es ist eine Tatsache, dass ein Teil der Jugendlichen, Eltern und Lehrkräfte Berührungsängste gegenüber den handwerklichen Berufen hat. Das Bauhauptgewerbe bleibt davon nicht verschont. Junge Leute – und insbesondere auch die Mädchen – haben vielfach ein unvollständiges Bild davon, wie der Arbeitsalltag der Maurerin aussieht. Im Maurerberuf sind geübte Handgriffe und Kopfarbeit gefragt. Wer Maurerin ist, muss nicht nur anpacken können, sondern auch Ausführungspläne lesen und sie mit traditionellem Handwerk und modernsten Maschinen und Geräten umsetzen können. Dabei wird gute Arbeit schnell belohnt: Motivierte Lernende können schon bald nach Lehrbeginn mit grosser Selbstverantwortung arbeiten. Eine zusätzliche Motivationsspritze für eine Maurerin und eine Strassenbauerin ist der faire Lohn: 6000 Franken verdienen sie im Schweizer Durchschnitt. Zudem sind die Karrierechancen gross, gerade auch für Frauen.

Nach Ihren Angaben zahlt die Schweizer Baubranche die höchsten gewerblichen Mindestlöhne in ganz Europa. Wie wollen Sie dieses Niveau auch in Zukunft halten?

Die SBV-Lohnerhebung 2025 zeigt, dass per Januar 2025 die Löhne des LMV-Personals im Schnitt um rund 1,7 Prozent gestiegen sind. Die Unternehmen haben die Löhne also um 0,3 Prozentpunkte stärker angehoben, als die Sozialpartner ausgehandelt hatten. Vereinbart wurden im letzten Herbst 1,4 Prozent. Damit setzen die Baumeister ein klares Zeichen für eine faire Unternehmenskultur, die gute Leistung anerkennt.

Für die Baumeister stehen bei den jährlichen Lohnverhandlungen die individuellen leistungsbasierten Lohnerhöhungen der Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter im Vordergrund. Angesichts des Fachkräftemangels will der Schweizerische Baumeisterverband den Handlungsspielraum der Unternehmen schützen, damit diese individuell die Löhne ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anpassen konnten. So kann die Abwanderung der Fachkräfte verhindert werden, und die Unternehmen werden nicht zusätzlich belastet. Leistungsabhängige Löhne sind im Sinne der Fachkräfte, denn sie stehen im Einklang zu ihren Karriere- und Entwicklungsperspektiven.

Inwiefern kann eine verstärkte Digitalisierung mithelfen, die Bautätigkeit in der Schweiz anzukurbeln?

Modern Bauen heisst 2025, auf eine Projektallianz setzen. Bei einer solchen Projektallianz werden alle Pläne, Bauelemente und Prozessschritte frühzeitig von allen Beteiligten besprochen. Jeder kann sich einbringen und auf mögliche Fehler hinweisen respektive Änderungen an den Plänen anmelden, welche für die Ausführung seiner eigenen Arbeit notwendig sind.

Projektallianzen funktionieren auch ohne Digitalisierung. Die Digitalisierung kann aber zusätzlich unterstützen. Die Digitalisierung ohne eine Projektallianz ist aber schwierig umzusetzen, wenn man unter der Digitalisierung den kontinuierlichen maschinenlesbaren und verlustfreien Datenfluss über den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks versteht. Das bedeutet dann, dass Bauherr, Planer und Unternehmer auf gemeinsamen Plattformen arbeiten, welche die genannten Anforderungen erfüllen. Da hilft der Allianzvertrag Lösungen zu finden. Heute ist das oft noch nicht möglich. Zudem gilt bei der Einführung von BIM der Leitspruch «zuerst virtuell bauen, dann digital». Dies verlangt, dass der real bauende Unternehmer bereits in den digitalen Planungsprozess eingebunden wird. Auch dafür sorgt der Allianzvertrag. Heute klappt diese Anforderung häufig nicht.

Der SBV ist überzeugt, dass durch Projektallianzen Auseinandersetzungen zwischen den Bauherren und den Bauunternehmern vermieden werden können, was die Freude am Bauen steigert und die Bautätigkeit ankurbelt.

Interview: Gerhard Enggist

www.baumeister.swiss

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