Publiziert am: 01.07.2022

Die Meinung

Allerlei Irrwege

Gemeinhin wird der Ständerat als «Chambre de Réflexion» bezeichnet. Die Parlamentskammer also, die besonders scharfsinnig überlegt, den Geschäften auf den Grund geht, zu tiefschürfenden Erkenntnissen gelangt und weise Entscheide fällt. Mit Blick auf die Diskussion zur BVG-Reform in der vergangenen Sommersession ist man aber eher versucht, von der «Chambre de Confusion» zu sprechen.

Eine türkische Sprechweise besagt: «Gleich, an welchem Punkt eines Irrweges man umkehrt, es ist immer ein Gewinn.» So gesehen ist der Entscheid des Ständerates, die Vorlage an die Kommission SGK-S zurückzuweisen vielleicht sogar ein Lichtblick. Denn die Vorlage, die man in einer Nacht- und Nebelaktion kurz vor der Plenardiskussion noch zurechtzubiegen versuchte, war schlicht nicht behandlungsreif. Selbst in Corona-Zeiten, in denen sich das Parlament daran gewöhnt hat, jedes sich neu stellende Problem in bester EU-Manier mit grossen und noch grösseren Geldbeträgen zuzuschütten, darf man nicht jährliche Mehrausgaben von gut drei Milliarden Franken beschliessen, ohne genau zu wissen, was man damit auslöst.

Und die SGK-S wusste effektiv nicht präzise, was sie beschloss. Wobei es auch hier einzuschränken gilt: Eine hauchdünne Kommissionsmehrheit aus Freisinnigen, Sozialdemokraten und Grünen wusste nicht, auf was sie sich einliess. Sie stimmte einem Reformkonzept zu, das mit der Giesskanne äusserst grosszügig Gelder an praktisch alle Versicherten einer zwanzigjährigen Übergangsgeneration verteilen wollte. Was das Ganze kosten würde, wusste zum Zeitpunkt der Entscheidfindung niemand. Das ist etwa so, wie wenn Sie beim Garagisten einen Kaufvertrag für eine PS-starke Limousine abschliessen, ohne auch nur ansatzweise zu wissen, was diese kostet.

Pikant ist weiter, dass die Träger des Sozialpartnerkompromisses unverändert an ihr Luftschloss glauben. Von links versucht man nun, mithilfe des Rückweisungsentscheides die Vorlage erneut aufzuschnüren. Obwohl klar ist, dass die Parlamentsmehrheit den Bundesratsvorschlag ablehnt. Von rechts bastelten die Arbeitgeber wiederum einen undurchdachten Einzelantrag, ohne die Konsequenzen abschätzen zu können. Dieses Dilemma führte in der Folge zur dargestellten Rückweisung.

All diese Irrwege sind aber durchaus erklärbar. Der Schreck war nämlich gross, als einige Tage nach Abschluss der Kommissionarbeiten bekannt wurde, dass die von der SGK-S beschlossenen Massnahmen für die Übergangsgeneration – gut 25 Milliarden Franken – fast dreimal so teuer zu stehen kommen wie beim Nationalrat. In einem Akt purer Verzweiflung wurde versucht, zwei Schritte zurückzubuchstabieren und dem Ständerat statt einer Luxuslösung eine teure Lösung zu unterbreiten. Da gab es wirklich nur einen passenden Entscheid: Rückweisung.

Anstatt einer zügigen Beratung im Rat, muss die SGK-S nun nachsitzen. Es bleibt zu hoffen, dass die Einsicht zur Umkehr und damit zum Gewinn einkehrt. Der sicherste und beste Weg aus der verfahrenen Situation ist das Einschwenken auf die Lösung des Nationalrats. Dahinter steht mit Ausnahme einiger Einzelmasken die vereinigte Wirtschaft zusammen mit den Bauern. Für einmal hat der Nationalrat eines der bedeutendsten Geschäfte dieser Legislatur detailliert reflektiert und weise entschieden. So, wie man es eigentlich vom Ständerat erwarten würde.

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