Publiziert am: 18.03.2022

«Auf alles vorbereitet»

UKRAINE – Alex (Oleksa) Stelmakh ist der Gründer und CEO von Leobit, einem ukrainischen KMU für Softwareentwicklung und Outsourcing. Am Telefon erzählt er, wie er sich zwischen Zweifeln und Hoffnungen neu organisiert.

«Wenn wir gehen müssen, sind wir auf alles vorbereitet!» Alex (Oleksa) Stelmakh riss sich am Telefon zusammen. Wir sprachen über Perspektiven und mögliche Szenarien. Dann wurde der Gründer und CEO von Leobit, einer ukrainischen Softwareentwicklungs- und Outsourcing-Firma, plötzlich auf einer anderen Leitung an das Geschäft erinnert. Wir hatten ihn im September 2021 in Zürich getroffen. Damals stellte er sein KMU vor einer Gruppe von Schweizer Unternehmern vor. Von der Nachricht, die wir ihm schickten, bis zu seiner Antwort, die er am Telefon erhielt, vergingen nur wenige Minuten. Hier ist seine Aussage.

«Die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter bleibt»

«Unser Hauptsitz befindet sich in Lwiw, einer Stadt, die etwa 70 km von der polnischen Grenze entfernt liegt. Dort sind wir gerade mit den meisten unserer Mitarbeiter und ihren Familien. Einige haben sich uns angeschlossen und sind aus den Kriegsgebieten geflohen. Während einige wenige aus persönlicher Entscheidung ins Ausland gegangen sind, wollte die grosse Mehrheit unbedingt bleiben.»

Ab dem 4. März dürfen Männer zwischen 18 und 60 Jahren die Grenze nicht mehr überqueren. «Als Geschäftsmann, aber auch als ukrainischer Staatsbürger, ist meine Position und die meiner Familie die folgende», sagt IT-Unternehmer Stelmakh. «Wir haben drei Prioritäten: Die ersten beiden, gleichermassen wichtig, sind der Schutz unseres Landes und der Schutz des Lebens unseres Volkes. Die dritte ist natürlich, dass unsere Unternehmen weiterhin qualitativ hochwertige Dienstleistungen erbringen können und wir unsere operative Tätigkeit fortsetzen müssen.»

Nachdem der Schock über den Beginn des Konflikts überwunden war, gingen die Teams wieder an die Arbeit. Von den 160 Mitarbeitern arbeiten über 90 Prozent in Vollzeit, wobei sie sich auch mit freiwilligen Aktivitäten koordinieren, um die Armee und die Flüchtlinge zu unterstützen. «Die anderen arbeiten während ihres Umzugs in Teilzeit, werden aber in den Vollzeitmodus wechseln, sobald sie ihren neuen Wohnort und den ihrer Familie eingerichtet haben.»

«Ein Schwede will uns alle aufnehmen!»

«Es ist total verrückt, was mit uns passiert!» Oleksa Stelmakh erzählt ausführlich, wie seine Kunden in den USA, in Europa und auch in der Schweiz sie auf jede erdenkliche Weise unterstützen. «Keiner von ihnen wollte aus den Verträgen aussteigen oder eine Pause einlegen. Einige haben an Nichtregierungsorganisationen wie das Rote Kreuz gespendet. So wie ein Kunde aus der Schweiz, der 25 000 Franken gespendet hat. Andere zahlen ebenfalls, kommunizieren das aber nicht unbedingt. Es ist die Geste, die zählt, um zu zeigen, dass wir zusammenhalten und vereint sind angesichts dieser dummen Aggression im Herzen Europas.»

Derzeit befinden sich nur wenige Mitarbeiter im Ausland. Das könnte sich ändern: «Im Moment haben wir nur ein Dutzend Mitarbeiter ausserhalb der Ukraine. In Stockholm hat ein Unternehmer sogar angeboten, uns alle aufzunehmen, alle Mitarbeiter unseres Unternehmens und auch Leute, die an anderen Projekten für schwedische Unternehmen beteiligt sind. Ein Unternehmen in Norwegen hat uns angeboten, unsere gesamte Ausrüstung von der Grenze aus zu transportieren.»

Für den Unternehmer wurden alle möglichen Optionen analysiert: «Ich hoffe sehr, dass diese Option ein Plan B oder sogar C bleibt und wir nicht gehen müssen. Aber wenn wir tatsächlich gehen müssen, ist alles bereit, wir haben mit unseren Mitarbeitern gesprochen und sie sind bereit.»

«Im Notfall»

Dieser Krieg zeigt auch, wie neuralgisch die digitale Agilität ist. «Alle unsere Mitarbeiter arbeiten aus der Ferne an Laptops, wir haben eine cloudbasierte IT-Infrastruktur, die auf Servern in den USA und Europa gespeichert ist, und sind nicht auf das Büro angewiesen. Wir haben getrennte juristische Personen in den USA und der EU. Im Notfall werden alle Transaktionen mit Kunden und Mitarbeitern an diese Rechtsträger weitergeleitet.»

Stelmakh kommentiert weiter: «Wir wissen es sehr zu schätzen, dass die gesamte zivilisierte Welt in diesem Moment an der Seite der Ukraine steht, und wir hoffen sehr, dass dieser Krieg bald endet. Gemeinsam müssen wir die russische Aggression gegen die europäische Welt ein für alle Mal beenden.»

François Othenin-Girard

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