Publiziert am: 05.02.2021

«Die Krise zieht sich hin»

BUNDESPRÄSIDENT GUY PARMELIN – Für eine gewisse Zeit könnte die Wirtschaft überdurchschnittlich stark wachsen, erwartet der Wirtschaftsminister. Aber auch dann wären die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise enorm.

Schweizerische Gewerbezeitung: Die Corona-Krise dauert nun bald ein Jahr an. In welchem Zustand sieht der neue Bundespräsident «sein» Land Anfang 2021?

Bundespräsident Guy Parmelin: Ja, die Krise zieht sich in die Länge. Und das macht vielen Leuten zu schaffen. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Umso mehr plädiere ich für Solidarität und Zusammenhalt. Das gilt im Kleinen wie im Grossen, also in der Familie ebenso wie in Betrieben und Unternehmen oder zwischen Kantonen und auch Landesteilen. Nur wenn wir zusammenstehen und uns gegenseitig beistehen, können wir den Schaden in Grenzen halten.

Wie beurteilen Sie als Wirtschaftsminister die aktuelle Lage für die Wirtschaft insgesamt?

Die Schweiz erlebte in der ersten Jahreshälfte 2020 einen historischen Wirtschaftseinbruch. Im Sommer setzte aber eine zügige Erholung ein, dank der relativ schnellen Lockerung der Eindämmungsmassnahmen und der Stabilisierungsmassnahmen, welche die Kaufkraft der Haushalte und die Liquidität der Unternehmen sicherten. Mit der steigenden Anzahl Corona-Fälle wurden in den vergangenen Monaten aber ­sukzessive wieder einschränkende Massnahmen zur Viruseindämmung verfügt. Die verschärften Massnahmen – insbesondere die Betriebsschliessungen – belasten die Wirtschaft stark. Auch die internationale Abkühlung der Konjunktur aufgrund der Massnahmen zur Eindämmung des Virus in anderen Ländern bremst die Wirtschaft. Insgesamt ist im laufenden Quartal daher mit einem substanziellen BIP-Rückgang zu rechnen.

Besonders stark von der Krise betroffen sind der Tourismus, Hotellerie und Gastronomie. Welche Hoffnungen können Sie den gebeutelten Unternehmen in der Beherbergungsbranche machen?

«ICH BIN ZUVERSICHTLICH, DASS SICH DIE SCHWEIZER WIRTSCHAFT WIE BEREITS IN FRÜ­HEREN KRISEN ZÜGIG AUFRAFFEN WIRD.»

Diese Bereiche sind in der Tat stark von den Einschränkungen im internationalen Reiseverkehr und der Schliessung von Restaurationsbetrieben betroffen. Wir haben verschiedene Massnahmen zur Unterstützung betroffener Branchen im Verlauf des Jahres 2020 getroffen, wie die Covid-19-Kredite, die Ausweitung der Kurzarbeit oder der Corona-Erwerbsersatz. Mit dem neuen Instrument der Härtefallmassnahmen kommt stark betroffenen Betrieben direkte finanzielle Unterstützung zu. Die aktuellen Einschränkungen tragen auch zu einer Stabilisierung der epidemiologischen Lage bei. Je schneller eine solche gelingt, desto eher sind die Voraussetzungen für eine Entspannung der betrieblichen Lage im Bereich Tourismus und Beherbergung wieder gegeben.

Derzeit ruhen alle Hoffnungen auf den Impfungen: Ist es realistisch, dass alle Impfwilligen in der Schweiz bis im Sommer zweimal geimpft sein werden?

Momentan ist es realistisch. Aber weder der Bundesrat noch die Ärzte oder die Wissenschaftler können hier die Hand ins Feuer legen: Wir sind von den Impfstoffproduzenten abhängig, genauso wie die andern Länder auch. Wenn sie die vereinbarten Liefertermine einhalten können, dann dürfte es klappen. Ansonsten müssen wir leichte Verzögerungen in Kauf nehmen. Und bitte nicht vergessen: Hände waschen, Social Distancing und Schutzkonzepte bleiben vorläufig unabdingbar.

Falls wir dies schaffen: Was bedeutet dies für den weiteren Weg? Ist die Krise dann ausgestanden?

Wir haben letzten Sommer gesehen, dass vieles möglich ist, wenn die Fallzahlen tief sind. Auch aktuell sind die Voraussetzungen für eine zügige wirtschaftliche Erholung ­gegeben, sofern sich die epidemiologische Lage im Verlauf des Jahres stabilisiert. Für eine gewisse Zeit könnte die Wirtschaft überdurchschnittlich stark wachsen, wenn gewisse Investitions- und Konsumausgaben aufgeholt werden. Aber auch dann wären die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise enorm. Erst gegen Ende 2021 könnte das BIP der Schweiz wieder das Niveau von vor der Krise erreichen, und die Arbeitslosigkeit dürfte auch 2022 noch über dem Vorkrisenniveau liegen. Zudem ist die Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Pandemie weiterhin sehr gross. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich die Schweizer Wirtschaft wie bereits in früheren Krisen zügig aufraffen wird.

Im Interview mit dem Wirtschaftsminister gehört das Thema Regulierung zwingend dazu. Die Regulierungskosten betragen jährlich rund 60 Milliarden – 10 Prozent des BIP. Seit 2015 gibt es den parlamentarischen Auftrag, eine unabhängige Behörde zu schaffen, die diese Kosten unter Kontrolle bringen soll. Noch immer ist dieser Auftrag nicht umgesetzt: Weshalb dauert das so lange?

Die administrative Entlastung ist für den Bundesrat ein zentrales Thema. Am 6. Dezember 2019 beschloss er, die Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) durch neue Richtlinien zu stärken. Mit dem Inkrafttreten der Richtlinien wird eine frühe und ­einheitliche Anwendung der RFA ­gewährleistet sowie die Qualität und Unabhängigkeit der Analysen gestärkt. Damit wird einerseits die Transparenz zu den Regulierungskosten und -nutzen erhöht, andererseits können bessere und kostengünstigere Alternativen entwickelt werden.

Gegenwärtig arbeitet der Bundesrat an der Umsetzung von zwei Motionen, für die die Vernehmlassung in den nächsten Monaten eröffnet werden soll. Die eine beauftragt den Bundesrat, eine Regulierungsbremse auszuarbeiten.

Glaubt man den Umfragen, so nimmt zurzeit das Vertrauen der Bevölkerung in den Bundesrat ab. Wie wollen Sie als Bundespräsident diesen Trend stoppen?

Schwankungen bei der Vertrauensfrage scheinen mir in einem gewissen Ausmass normal. Während des ersten Lockdowns «regierte» der Bundesrat in der Notlage allein. Das Vertrauen war sehr hoch. Inzwischen funktioniert unser demokratisches und föderalistisches System wieder. Damit verbunden wird auch wieder mehr Kritik und Opposition laut. Das trägt unweigerlich zum ­sinkenden Vertrauen bei. Ich glaube, dass wir das in dieser Situation aushalten müssen. Auch da hoffen wir wieder auf bessere Zeiten.

«Corona» macht auch vor der Bildung nicht Halt. Der Schweizerische Gewerbeverband fordert, dass Berufsschulen offenbleiben und die überbetrieblichen Kurse (üK) – weil «Arbeit» – vor Ort stattfinden müssen. Unterstützen Sie diese Sichtweise?

Zuständig sind hier die Verbundpartner der Berufsbildung, der Bund, die Kantone und die Organisationen der Arbeitswelt. Sie haben sich unter Federführung des Steuergremiums «Berufsbildung 2030» auf ein gemeinsames, nationales Vorgehen mit Hauptfokus auf die berufliche Grundbildung geeinigt. Temporäre Ersatzformate für die betriebliche Bildung wurden dabei nicht ausgeschlossen.

Der demokratische Prozess mit Sessionen, Abstimmungen etc. läuft nebst Covid-19 normal weiter. Welche Bedeutung hat diese «Normalität» in der heutigen Lage?

Da kann ich nur sagen: Die Welt dreht sich auch weiter. Zwar wird heute schon viel dieser besonderen Lage untergeordnet, und das ist auch richtig so. Aber die Geschäfte, die parallel vorangetrieben werden, die sind auch ein Zeichen dafür, dass es eine Nach-Krisenzeit geben wird, dass das Leben nicht stillsteht, auch wenn ihm weltweit Einschränkungen auferlegt werden.

Interview: Gerhard Enggist

Weshalb Wirtschaftsminister Guy Parmelin das Freihandelsabkommen mit Indonesien aktiv unterstützt, und wie Schweizer KMU davon profitieren, lesen Sie im Artikel «Nützt beiden Seiten».

PARMELIN IN FOKUS KMU

Der Bundespräsidentim Gewerbe-TV

FOKUS KMU, die Sendung für Wirtschaft & Gesellschaft, widmet sich in ihrer Abstimmungsarena dem Freihandelsabkommen mit Indonesien. Bundespräsident und Wirtschaftsminister Guy Parmelin, ein starker Verfechter des ­Abkommens, wird die Klingen ­kreuzen mit dem Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli, Präsident der Grünen Partei.

Ab 8. Februar täglich auf den ­Privat-TV-Sendern TeleZüri, Tele M1, TeleBärn, Tele 1 und Tele Ostschweiz, ab dem 15. Februar zudem auf TeleZ.

FOKUS KMU gibts auch online auf

www.fokus-kmu.tv

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