Publiziert am: 01.07.2022

Die Kulturrevolution 2.0 ist Tatsache

CHINA – In vielen Ländern war die Covid-Pandemie eine gesundheitspolitische Herausforderung. Die chinesische Partei- und Staatsführung erkannte ihre Chance – und lancierte eine neue Ära der Kulturrevolution.

Natürlich hinkt der Vergleich: Die Kulturrevolution war eine politische Kampagne in der Volksrepu-blik China, die 1966 von Mao Zedong und seinen Verbündeten vollzogen wurde. Sie dauerte bis 1976 und ist in China auch als «Zehn Jahre Chaos» bekannt. In diese Zeit fällt die Etablierung von Maos Personenkult. Damit hat Mao seine beinahe absolute Kontrolle über die Partei und das Land gesichert. Millionen von Toten sind ihr zum Opfer gefallen.

Drakonische Massnahmen

Im jetzigen China ist die Situation anders. Das Land verfolgt eine Zero-Covid-Strategie. Es will also gar keine (!) Fälle mehr verzeichnen. Dafür setzt es auf drakonische Massnahmen. Nicht nur werden ganze Städte im Lockdown gehalten – auch ganze Wirtschaftsbranchen dürfen nicht arbeiten. Dass man sich bei der Arbeit ansteckt, ist nur Teil der Erklärung. Nachgeschoben wird, dass auch der Güterverkehr Viren transportiert. Man will also die Logistik als Vektor ausschalten.

Covid als Mittel zum Zweck

Die Partei- und Staatsführung unter Präsident Xi Jinping setzt diese (fragwürdigen) Massnahmen nicht primär aus gesundheitspolitischen Gründen ein. Sie dienen dazu, den Machtanspruch der politischen Führung auszubauen und zu konsolidieren. Der Umgang mit Covid wird also zum Mittel, um den Zweck der Machtfestigung zu erreichen.

Der Lockdown der Bevölkerung wird damit verbunden, die elektronische Überwachung und das soziale Punktesystem auszuweiten (vgl. auch Seite 11). In ganzen Städten ist es eine Pflicht, jederzeit ein Mobiltelefon auf sich zu tragen. Damit lässt sich nachverfolgen, wer wo ist, wer mit wem kommuniziert, wer wo einkauft und so weiter. Damit lassen sich auch Personen aufsuchen, etwa wenn die Polizei dies möchte.

Der Lockdown der Wirtschaft wird dazu benützt, nur jenen geschlossenen Unternehmen zu helfen, die einen betrieblichen Parteiausschuss haben. Dieser beschäftigt sich mit der Disziplinierung der Firma, inklusive ihrer Inhaber und des Managements. Nur ab einer bestimmten Firmengrösse ist dieser Ausschuss Pflicht, doch auch mittlere und kleine Firmen können einen bilden. Im Covid-Regime erhalten nur jene Betriebe mit einem solchen Ausschuss eine finanzielle Unterstützung durch die Regierung.

Zentralisierung und Personenkult

Doch selbst die Provinz- und Stadtverwaltungen werden im Namen von Covid zunehmend der zentralen Kontrolle unterworfen. Ihre Möglichkeiten, wirtschaftliche und soziale Entwicklung selbst zu planen, wurden schon vorher eingeschränkt. Nun werden Raumplanung, Energieproduktion und -konsum, öffentliche Sauberkeit und sogar Kultur zunehmend von Peking aus vorgegeben.

Mit der zunehmenden invasiven Vorgabe des Staates für die Lebensgestaltung der Menschen, Firmen und politischen Einheiten intensiviert sich auch der Personenkult um Präsident Xi. Er wird alleine als geschickter Staatsmann in den Mittelpunkt gestellt. Andere Mitglieder des Politbüros der Partei treten nur noch selten in Erscheinung; die Staatsführung ist aus dem öffentlichen Leben schon längst ausgeschieden.

«Mit der zunehmenden invasiven Vorgabe des Staates intensiviert sich auch der Personenkult um Präsident Xi Jinping.»

Hinkt der Vergleich mit Mao also wirklich? Das wird sich erst sagen lassen, wenn zwei Fragen beantwortet, werden: Gelingt es Xi, seine Macht zu festigen? Wie hoch sind die Kosten dafür? Die Antworten folgen in den nächsten Jahren.

Henrique Schneider,

stv. Direktor sgv

Weiterführende Artikel

Meist Gelesen