Publiziert am: 01.07.2022

Keine rosigen Aussichten

CHINA UND KMU – Der «Amerikanische Traum» ist bekannt. Doch nur wenige wissen, dass es auch den «Chinesischen Traum» gibt. Wie in China üblich, hatte der Präsident der Volksrepublik China, Xi Jinping, diesen politischen Slogan bereits 2012 ausgegeben.

Hat sich der «chinesische Traum» in einen chinesischen Albtraum verwandelt? Auch wenn die Risiken des internationalen Handels mit der Covid-19-Krise deutlicher geworden sind, investieren Unternehmen immer noch in grossem Umfang in China – ein riesiges Land, das nach wie vor das grösste Produktionszentrum der Welt ist. Die Frage lautet: Wird die chinesische Politik einen Rückschlag bewirken?

Das Gerede von Diversifizierung

Das rigide Management der Covid-19-Krise in China hat zu erheblichen Unsicherheiten bei der Sicherung der Produktionsketten geführt. Das ging so weit, dass einige multinationale Unternehmen davon sprachen, ihre Produktion in andere Länder zu verlagern oder sogar die Fabriken in ihre eigenen Länder zurückzuholen. In der Realität blieben die schönen Worte jedoch ungehört. Die angebliche Diversifizierung der Lieferketten ist nur noch ein Wunschdenken, das eher diskutiert als umgesetzt wird.

«Die chinesische Regierung wird ihre Wirtschaft umso mehr schwächen, je stärker sie ihr Gesicht wahren will.»

Doch während die Ausstiegsstrategie aus der Pandemie mit der chinesischen Nulltoleranz gegenüber Covid-19 tatsächlich gefährdet zu sein scheint, wächst die Unsicherheit der Unternehmen erneut. Wird Xi Jinping seine Null-Fall-Strategie fortsetzen? Der Herbst und der Winter werden sicherlich zu einem Anstieg der Fälle und damit zu zahlreichen Aussperrungen führen. Unweigerlich werden die Anleger wieder anfangen zu berechnen, ob sich eine Diversifizierung der Produktionskette ausserhalb Chinas lohnen wird oder nicht. Dies ist umso wahrscheinlicher, als andere Länder eine Öffnungsstrategie verfolgen, die es ermöglicht, die Lieferketten mit weniger Schwierigkeiten am Laufen zu halten.

Gleich mehrere Risiken

In China zu investieren, ist bereits eine Herausforderung, da man das technologische Risiko abschätzen können muss, weil die Produktionsmittel oft nicht mehr zurückgeführt werden können. Zweitens gibt es ein Risiko, das KMU dazu zwingt, in China auch mit eigenen Exponenten anwesend zu sein, falls sie spezifische Produkte mit bestimmten Qualitäten wünschen. Sie sind quasi dazu gezwungen, sich nach China zu begeben, damit die Produktion ihre erwarteten Anforderungen auch tatsächlich erfüllt. Schliesslich gibt es noch das Risiko der schieren Distanz, das zusammen mit den Schwierigkeiten der Seeverkehrs-logistik ganz besonders lange Produktionsketten gefährden kann.

Hinzu kommen die Transportkosten und die Sicherheit des Seeverkehrs, die sich ebenfalls zu einem heiklen Thema entwickeln könnten. Wer weiss, ob die chinesische Regierung nach der Übernahme von Hongkong sich bald nicht auch Taiwan einverleiben wird?

Wie lange hält die Fassade?

Kleine und mittlere Unternehmen würden wohl kaum prüfen, ob sich das technologische Risiko lohnt. Können sie die Kontakte zu ihren chinesischen Lieferanten aufrechterhalten, die notwendig sind, um eine Produktion aufzubauen, die ihre Anforderungen erfüllt? Hinzu kommt, dass die Produktionskosten immer teurer werden, da die einstige Ein-Kind-Politik die Zahl der Arbeitskräfte schrumpfen lässt. Letztendlich wird die chinesische Regierung ihre Wirtschaft als unangefochtenes Produktionszentrum der Welt umso mehr schwächen, je stärker sie ihr Gesicht wahren will, indem sie an ihrer Strategie festhält.

Sowohl die aktuellen Wirtschaftsreformen als auch ein vehementer Nationalismus sind nicht dazu bestimmt, gut mit der übrigen Welt zu harmonieren. Beides ist zu einem festen Bestandteil der chinesischen Regierung geworden. Es bleibt abzuwarten, wie lange die Verbindung dieser beiden Komponenten die Fassade des guten wirtschaftlichen Funktionierens aufrechterhalten kann. Langfristig ist es mehr als angebracht, dies zu bezweifeln.

Mikael Huber, Ressortleiter sgv

Weiterführende Artikel

Meist Gelesen