Publiziert am: 03.06.2022

«Ein bekannter Name reicht heute nicht mehr»

FACHKRÄFTEMANGEL – Marc Lutz, Geschäftsführer von Hays Schweiz und Vorstandsmitglied von swissstaffing, weiss: Noch nie waren flexible, individuelle Lösungen bei der Suche nach guten Mitarbeitenden so gefragt wie heute.

Schweizerische Gewerbezeitung:

Die Schweizer Wirtschaft leidet unter einem massiven Fachkräftemangel. Was kann Temporärarbeit zur Verbesserung der Lage beitragen?

Marc Lutz: Der Temporärmarkt leistet bereits einen grossen Beitrag – allein durch die Mitglieder von swissstaffing werden jährlich 300 000 temporär Beschäftigte in der Schweiz dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt. Auch ist der Temporärmarkt für Neu- oder Wiedereinsteiger im Arbeitsmarkt eine gute Möglichkeit, reinzukommen, Fuss zu fassen und über den sogenannten Klebeeffekt dann doch in Festanstellung zu gehen.

In den letzten Monaten hat sich die Entwicklung hin zu einem Arbeitnehmermarkt nochmals verstärkt: Was bedeutet dies für die Suche nach hoch spezialisierten Fachexperten, den sogenannten Flexworkern?

Früher ging alles über die Pass-genauigkeit fürs Unternehmen. Heute liegt der Fokus darauf, den Fachspezialisten das passende Unternehmen mit der passenden Herausforderung und der passenden Flexibilität anzubieten. Wichtig ist es dabei, schnell zu sein – gute Spezialisten sind sehr begehrt. Ein Prozess sollte hier nicht länger als zehn Tage dauern, da man die Fachspezialisten sonst verliert. Das muss den Personalverantwortlichen der Unternehmen bewusst sein. Es reicht nicht mehr, einfach einen grossen, bekannten Namen zu haben.

«ES WAR NOCH NIE SO WICHTIG, SICH AUF DIE MITARBEITENDEN UND IHRE BEDÜRFNISSE EINZULASSEN, WIE HEUTE.»

Seit der Pandemie haben sich die Bedürfnisse der Talente weltweit massiv verändert – Homeoffice ist nur ein Stichwort dazu. Wie geht die Temporärbranche mit diesen neuen Realitäten um?

Der Grundsatz der Unternehmen, aber auch der Politik sollte die maximale individuelle Flexibilisierung sein. Dies ist für Grenzgänger ab dem 1. Juni aber nicht mehr möglich. Mit der 24,99% Regel zwingen wir die Fachkräfte wieder an vier Tagen die Woche ins Büro. Hier ist die Politik gefordert, bevor sich die Spezialisten ausserhalb der Schweiz umschauen, wo sie die Flexibilisierung allenfalls gewährleistet kriegen.

Als Folge der Pandemie, der Probleme mit den Lieferketten und jetzt des Kriegs gegen die Ukraine denken viele laut ĂĽber eine RĂĽckverlagerung der Produktion nach Europa nach. Ist es realistisch, auch abgewanderte Jobs zurĂĽckzuholen?

Im Spezialistenumfeld auf jeden Fall. Ich denke nicht, dass sich die Schweiz zu einem grossen klassischen Produktionsland wandeln wird. Digitalisierung und die häufig damit einhergehende Automatisierung gewinnen aber immer weiter an Wichtigkeit. Wenn es um digitale Produktion geht, ist die Schweiz ein attraktives Land mit attraktiven Möglichkeiten. Viele Unternehmen aus dem Silicon Valley sitzen mittlerweile auch in der Schweiz und suchen hoch qualifizierte Arbeitnehmer, um die Digitalisierung und Automatisierung in der Produktion und anderen Bereichen voranzutreiben.

Welche Bedeutung haben Online-plattformen wie LinkedIn oder Xing für die Temporärbranche? Sind sie eher Konkurrenten, oder ergänzen sie sich?

Wir sind auf Onlineplattformendefinitiv stark unterwegs und nutzen sie, um Fachkräfte zu finden. Wichtig ist es aber, diese Fachkräfte zu binden, und das funktioniert nur über Beratung im Spezialisten-bereich. Da kommen unsere Mitarbeitenden ins Spiel. Sie kennen den Markt, sie kennen die Kunden und sie können die Fachkräfte entsprechend abholen und beraten.

Einfacher als die Suche nach neuen Talenten ist es, wenn Firmen ihre Mitarbeitenden halten können. Wie schaffen sie das am besten?

Auch hier geht es wieder um die maximale individuelle Flexibilisierung. Klar muss man auch Standards haben. Es war aber noch nie so wichtig wie heute, sich auf die Mitarbeitenden und ihre Bedürfnisse individuell einzulassen. Da sind Fingerspitzengefühl und Kreativität der Führungskräfte gefragt.

Interview: Gerhard Enggist

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