Publiziert am: 18.06.2021

Ein Kartellgesetz für KMU

MOTION FRANçAIS – Für viele ist das Kartellgesetz ein Buch mit sieben Siegeln. Andere sehen in der Wettbewerbskommission wahlweise ein Monster oder einen Heilsbringer. Nichts davon trifft zu – zum Glück.

«Wettbewerb belebt das Geschäft», sagt man. Die Ökonomie gibt diesem Ausspruch recht. Wo auch immer sich Wettbewerb etabliert, dort verbessert sich die Qualität der angebotenen Produkte und Dienstleistungen. Der Wettbewerb führt auch zu Innovationen – und meist zu günstigeren Preisen.

Weniger bekannt ist das äthiopische Sprichwort «Wenn Spinnen vereint weben, können sie einen Löwen fesseln». Auch diese Weisheit kann von der ökonomischen Theorie bestätigt werden. Oft ist für die Lancierung eines neuen Produkts oder Geschäftsmodells die Zusammenarbeit von Unternehmen nötig. Innovation ist meist das Ergebnis von Kooperationen zwischen Firmen.

KMU brauchen beides

Das gilt insbesondere für KMU, die allein weder die Grösse noch das Kapital haben, um alle für eine Innovation notwendigen Investitionen zu tätigen. So sind etwa Abmachungen in Tourismusgebieten, Innenstadtvereinigungen, Einkaufsgemeinschaften und digitalen Ökosystemen notwendig, um die Qualität zu verbessern, die Preise zu senken oder neue Produkte anzubieten.

Ein kluges Kartellgesetz kann diese zwei Kräfte, den Wettbewerb und die Kooperation, verbinden. Je besser diese Verbindung gelingt, desto KMU-freundlicher ist das Wettbewerbsrecht.

Als das Schweizer Kartellgesetz KG 95 lanciert wurde, konnte es genau diese Balance bewerkstelligen. Durch die laufende Praxis der Wettbewerbskommission wurde das Gleichgewicht jedoch je länger, desto stärker aus dem Lot gebracht.

Benachteiligung von KMU

Das Wettbewerbsrecht sieht drei Typen von Verstössen vor: die Kooperation, den Missbrauch von Marktmacht und die schädliche Fusion. Ökonomisch gilt die erste Form als die am wenigsten problematische und die dritte als die problematischste Art eines Verstosses. Die Praxis der Wettbewerbsbehörden ist aber genau umgekehrt: Bei der Kooperation ist man am strengsten, beim Missbrauch der Marktmacht durch Grossunternehmen drückt man ein Auge zu, bei den Fusionen zwei.

Das Ergebnis dieser Praxis ist: KMU werden benachteiligt. Kaum spannen zwei KMU zusammen, um eine Offerte einzureichen, werden sie als Kartell eingestuft. Doch wenn Monopolunternehmen ihre Marktmacht missbrauchen, um KMU aus dem Markt zu verdrängen, unternimmt die Wettbewerbsbehörde nichts.

Das Parlament korrigiert

Das Parlament hat sich in letzter Zeit dieser Missstände angenommen und sie korrigiert. Mit dem Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Fair-Preis» wird die Abwehr von Missbrauch von Marktmacht gestärkt. Mit der Annahme der Motion des Waadtländer FDP-Ständerats Olivier Français (18.4282) soll die Wettbewerbsbehörde die Kooperation zwischen KMU endlich wieder als solche ansehen und nicht automatisch als Kartell behandeln.

«Wenn Spinnen vereint weben, können sie einen Löwen fesseln.»

Die Bundesverfassung erlaubt Kooperationen ausdrücklich, und das Kartellgesetz besagt ebenso ausdrücklich, dass jeder Verdacht eines Verstosses gegen das Wettbewerbsrecht einzeln und nach seinem ökonomischen Gehalt überprüft werden muss. Die Behörden haben sich zunehmend darum foutiert. Das Parlament hat nun korrigiert.

Dazu wurde es auch höchste Zeit. Denn wie sagte schon Konfuzius: «Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten.»

Henrique Schneider,

Stv. Direktor sgv

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