Publiziert am: 16.09.2022

Ein Mangel an Alltagstauglichkeit

AGGLO-VERKEHR – Mit der vierten Generation des Programms Agglomerationsverkehr will der Bundesrat die Mobilität in den Ballungsgebieten fit für die Zukunft machen – und setzt dabei vor allem auf den öffentlichen Verkehr, das Velo und den Fussverkehr.

Seit 2011 beteiligt sich der Bund über das Programm Agglomerationsverkehr – kurz: PAV – finanziell an den Verkehrsprojekten der Ballungsräume. Mittlerweile befindet sich das Programm bereits in der vierten Generation. Über die ersten drei Generationen gesehen wurden knapp 100 Programme unterstützt und dafür Mittel im Umfang von über 4,6 Milliarden Franken gesprochen.

Dieses Geld stammt aus dem 2018 ins Leben gerufenen Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds, welcher aus den Strassenverkehrsabgaben gespiesen wird. Seit der dritten Generation PAV (ab 2019) werden daher auch keine Eisenbahnprojekte mehr mitfinanziert. Diese laufen seitdem über den Bahninfrastrukturfonds.

In der jüngsten Vernehmlassung zur vierten Generation PAV, welche letzte Woche abgeschlossen wurde, beantragte der Bundesrat einen Verpflichtungskredit über 1,3 Milliarden Franken zur finanziellen Unterstützung von 32 Agglomerationsprogrammen.

Weg vom Auto

Eine genauere Analyse der zu sprechenden Mittel zeigt: Der Grossteil soll an den öffentlichen Verkehr (öV), sowie an den Fuss- und Veloverkehr (Langsamverkehr LV) gehen, nämlich 25 Prozent bzw. 37 Prozent. Für den motorisierten Individualverkehr (MIV) fallen nur gerade 12 Prozent der Mittel an. Dabei handelt es sich vornehmlich um Massnahmen wie Sanierungen, Umgestaltungen usw. Massnahmen zur Kapazitätserweiterung sind jedoch dünn gesät. In Anbetracht der wachsenden Anzahl Staustunden stört dieses Manko besonders stark.

Nebst dem MIV kommt auch der Güterverkehr zu kurz: Dafür sind lediglich 0,4 Prozent der 1,3 Milliarden Franken Investition vorgesehen. Es zeigt sich also eine klare Tendenz in der Planung des Agglomerationsverkehrs: Weg vom Transport auf der Strasse und hin zu mehr öV und LV. Ob dies angesichts der noch immer grossen Wichtigkeit des Strassenverkehrs – sowohl für den privaten Gebrauch, aber vor allem auch für die Versorgung der Wirtschaft und Gesellschaft mit Gütern des täglichen Bedarfs – sinnvoll ist, sei dahingestellt.

Wie steht es mit der Umsetzung?

Ein Blick auf die vergangenen Generationen des PAV lässt erkennen, dass die Umsetzung weit hinterherhinkt: Während von den 2010 beschlossenen Programmen der ersten Generation zwar bereits über 70 Prozent umgesetzt werden konnten, sieht es bei der zweiten (ab 2014) und dritten Generation wesentlich schlechter aus: Lediglich ein Viertel respektive ein Drittel der gesprochenen Beiträge wurde tatsächlich eingesetzt. Das Problem wurde zwar erkannt, und für die vierte Generation wurden nun lediglich «bau- und finanzierungsreife Programme» einbezogen. An der Umsetzung der früheren Generationen hapert es allerdings noch immer. Hier braucht es einen stärkeren Fokus und schlankere Prozesse, um die bereits beschlossenen Projekte auch wirklich in die Tat umzusetzen.

Es bleibt viel zu tun

Fazit: Für die Agglomeration, welche heute der wichtigste Wohn- und Arbeitsort der Schweizer Bevölkerung ist, und in der das Verkehrsaufkommen besonders stark wächst, sind solche vom Bund unterstützten Projekte wichtig und richtig. Der starke Fokus auf Bus-, Tram-, Velo- und Fussverkehr entspricht allerdings nicht der Realität der Bedürfnisse von Wirtschaft und Gesellschaft. Und auch die Umsetzung der beschlossenen Massnahmen hinkt hinterher. Es bleibt also noch einiges zu tun.

Michèle Lisibach,

Ressortleiterin sgv

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