Publiziert am: 22.10.2021

«Es braucht die Wahlfreiheit»

IVO BISCHOFBERGER – Der Präsident des Schweizer Fleisch-Fachverbands SFF und ehemalige Innerrhoder CVP-Ständerat zur Rolle von «Fleisch» als Sündenbock in der Klimadiskussion, über fleischlose Produkte auf der Metzger-Theke und die Rolle der Digitalisierung für die Branche.

Schweizerische Gewerbezeitung: Das Thema Fleisch ist zum Politikum geworden. Warum wird unser Essen immer stärker ideologisiert?

Ivo Bischofberger: Für den Konsum von Fleisch muss immer ein Tier geschlachtet werden. Deshalb ist Fleisch das wohl emotionalste aller Lebensmittel. Daher ist es für die Gesellschaft, aber auch für Medien und Politik immer wieder von Interesse. Die mengenmässige Versorgung wie auch die Produktequalität sind zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Wohl deshalb nehmen Zusatzargumente wie Tierwohl, Regionalität, Nachhaltigkeit, Klima oder Gesundheit so viel Platz ein.

Manche deuten die Diskussionen rund um die Ernährung als eine Art Religionsersatz. Wie stehen Sie zu dieser These?

Das kann man so sehen, denn auch wir spüren vermehrt einen regelrecht missionarischen Eifer der Gegenseite. Beispiele hierfür sind militante Tieraktivisten, die im Extremfall der Antispeziesisten auch nicht vor Gewalt zurückschrecken. Aber auch einzelne extreme Veganer und Tierschützer, die alle möglichen Argumente vorschieben, um ihrem eigentlichen Kernziel, dem generellen Verzicht auf Fleisch, näherzukommen.

Klimaaktivisten streben eine Bevormundung durch staatliche Vorgaben an, die gerade auch Ihre Branche betrifft. Welche Haltung nimmt die Branche zum Trend «fleischlos» ein?

Mit Blick auf die individuelle Entscheidungsfreiheit vertreten wir hierzu eine liberale Haltung und folgen dem Grundsatz «Wahlfreiheit statt Bevormundung».

Wogegen wir uns aber dezidiert wehren, sind Bestrebungen – sei es von Seite Staat oder privaten Institutionen –, die in die gegenteilige Richtung gehen. Neustes Beispiel hierfür war die Absicht, in der Mensa der Universität und der Pädagogischen Hochschule Luzern den Studierenden nur noch vegetarische und vegane Menüs anzubieten bzw. das Fleischangebot in Form eines Foodtrucks – ähnlich dem Rauchen – in den Aussenbereich zu verbannen. Dank einer konzertierten Aktion mit verschiedenen Partnern ist es gelungen, den Studierenden ihre Wahlfreiheit zu belassen.

Im Sommer sorgte der Vizedirektor des Bundesamts für Landwirtschaft für Aufregung, weil er – ein Bundesbeamter – sich für ein Werbeverbot für Fleischaktionen stark machte. Es folgte eine Aussprache mit Vertretern der Fleischbranche. Mit welchem Resultat?

Diese spezielle Thematik, die einer Torpedierung des Fleischsektors gleichkommt, ist eine von vielen im Grundsatz diskutierten Ideen seitens des BLW im Rahmen der neuenAgrarpolitik. In einer konstruktiven Aussprache konnten wir die Verantwortlichen für die Anliegen und Erwartungen des Fleischsektors zumindest sensibilisieren. Der Tatbeweis muss aber noch erbracht werden. Dies vor allem auch angesichts der Tatsache, dass rund 60 Prozent der landwirtschaftlichen Wertschöpfung der tierischen Produktion zuzuordnen sind.

Neben einem Werbeverbot wird auch die Streichung von Bundesgeldern gefordert. Laut dem NGO-Multi Greenpeace sei die Bezeichnung «Schweizer Fleisch» wegen Futtermittelimporten nicht angebracht. Wie reagieren Sie auf diesen Vorwurf?

Dieser Vorwurf ist absolut unberechtigt. Denn konsequent durchgedacht müsste er auch für eine Vielzahl von weiteren, mit Rohmaterialien ausländischer Herkunft produzierten Gütern aus unserem Alltag Anwendung finden. Tatsache ist doch, dass die Schweiz bei den Futtermitteln – vor allem auf der Basis von Raufutter (Gras, Heu) und Nebenprodukten aus der Lebensmittelproduktion – einen Selbstversorgungsgrad von gegen 85 Prozent ausweist. Der grösste Denkfehler besteht nun aber darin, dass die mengenmässig wichtigste Komponente, nämlich das Wasser, einfach «vergessen» wird. Fleisch besteht zu rund drei Vierteln aus Wasser. Mengenmässig übersteigt die Aufnahme von Wasser jene von (Kraft-)Futter um den Faktor 2 bis 3, und die Nutztiere decken ihren Wasserbedarf bekanntlich aus hiesigen Quellen. Schon nur diese wenigen Argumente decken die Unbedarftheit solcher Vorstösse auf.

Im Ausbildungszentrum für die Schweizer Fleischwirtschaft in Spiez gibt es neu auch Kurse für Metzger, die ihrer Kundschaft vegane Produkte anbieten wollen. Macht dieser Weg tatsächlich Sinn?

Ich erinnere nochmals an unser Leitmotiv: «Wahlfreiheit statt Bevormundung». Konsequenterweise empfehlen wir unseren Mitgliedern daher, auch fleischlose Produkte in ihr Sortiment aufzunehmen. Denn wenn jemand beispielsweise einen Familieneinkauf machen will, dann will sie oder er dies oftmals nur an einem Ort tun – am liebsten beim lokalen Metzger ihres Vertrauens.

Der weltweite CO2-Abdruck der Branche ist gross. Deshalb geht ein Trend heute zu Fleischersatzprodukten aus dem Labor. Welche Chancen sehen Sie darin?

Ich stelle fest, dass «Fleisch» vermehrt als Sündenbock für die gesamten Klimadiskussionen apostrophiert wird. In Bezug auf Laborfleisch vertritt unser Verband die Haltung, dass mit Blick auf das anhaltende Bevölkerungswachstum ein Nebeneinander und kein Gegeneinander gefragt ist. Dabei fordern wir aber dezidiert eine klare Unterscheidung zwischen echtem und Laborfleisch bei der Deklaration, und dass bei der Beurteilung der beiden «Fleisch»-Arten (Stichworte: CO2-Bilanz und Energieverbrauch) gleich lange Spiesse zur Anwendung gelangen.

Interessant ist, dass «kultiviertes Fleisch» dem echten möglichst ähnlichsehen soll. Eine bewusste Täuschung?

Das denke ich nicht. Entscheidend ist die klare Deklaration. Vielmehr zeigt doch gerade dieses Beispiel, dass eine grosse Mehrheit der Konsumentinnen und Konsumenten einfach Fleisch auf ihren Tellern will, ein Teil davon aber auch nach Alternativen Ausschau hält.

Eben erst wurde eine 21-jährige Schweizerin zur besten Metzgerin Europas gekürt. Wie steht es um die Nachwuchsförderung in der Fleischbranche?

Keine Breite ohne Spitze und keine Spitze ohne Breite! Vor diesem Hintergrund ist der Europameistertitel von Leandra Schweizer fĂĽr unseren Verband eminent wichtig. Gerne nutze ich die Gelegenheit, um unserer Europameisterin auch an dieser Stelle ganz herzlich zu gratulieren und allen Beteiligten im Hintergrund, dem ABZ Spiez sowie ihrem Lehrbetrieb, der Metzgerei Sigrist aus Rafz, aufrichtig zu danken.

Die Nachwuchsförderung stellt aufgrund des herrschenden Fachkräftemangels gerade auch in unserer Branche wohl die grösste Herausforderung dar. Denn aktuell kann lediglich die Hälfte der benötigten Fachkräfte bzw. ein Viertel der Kaderstellen durch entsprechend ausgebildete Fleischfachleute ersetzt werden. Deshalb hat der SFF unter anderem die Stelle eines Nachwuchsrekrutierers geschaffen, der unsere Mitglieder diesbezüglich auf allen Ebenen unterstützt.

Doch das genügt nicht! Es braucht die Eltern, die Lehrpersonen, die Berufsberatungsstellen, die Lehrbetriebe und speziell auch unsere erfolgreichen jungen Fachkräfte, um, Influencern gleich, die angehenden Berufsleute für die attraktiven und äusserst vielseitigen Ausbildungen in der Fleischbranche zu motivieren.

Laut den Jungmetzgern von Young Butcher Table ist die Digitalisierung «das schärfste Messer der Metzgerei». Wo und wie findet die Digitalisierung im Metzgerberuf konkret Anwendung?

Das manuelle Handanlegen steht zwar bei vielen Arbeiten nach wie vor im Vordergrund. Dennoch ist die Digitalisierung sowohl bei den KMU wie auch den industriellen Unternehmen in unserer Branche das wohl «schärfste Messer». Dies etwa bei der Sortiments- und Lagerbewirtschaftung, der Produktion mit diversen Gerätschaften und Rezepturen, bei der Logistik und Etikettierung (Deklarationen und Rückverfolgbarkeit) bis hin zu den Kassensystemen im Laden.Interview: Gerhard Enggist

ZUR PERSON

Ivo Bischofberger(63) präsidiert seit 2018 den Schweizer Fleisch-Fachverband SFF. Von 2007 bis 2019 vertrat der CVP-Politiker den Kanton Appenzell Innerrhoden im Ständerat; 2016 wurde er zum Ratspräsidenten gewählt. Bischofberger ist Vorstandsmitglied des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv.

www.sff.ch

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