Publiziert am: 17.05.2019

Fehlende Solidarität – einmal mehr…

AMPELSYSTEM – KMU der Lebensmittelwirtschaft könnten den mit der Umsetzung verbundenen Aufwand nicht stemmen. Es ist an der Zeit, dass auch Vertreter der Grosskonzerne dies einsehen und an die Wirtschaft als Ganzes denken.

Rot, Orange, Grün: Bereiten Sie sich darauf vor, dass Ihnen demnächst Farben diktieren, welche Nahrungsmittel gut für Sie sind. Das Nutri-Score-System hat unlängst auch in der Schweiz Einzug gehalten. Seine Einführung ist nicht etwa durch die Schweizer Gesundheitsbehörden beschlossen worden. Sie beruht auf der Initiative des Unternehmens Danone, das beschlossen hat, dieses System auf unser Land auszudehnen. Übertriebene Bevormundung? Für die meisten wohl schon. Doch eines ist sicher: Für die KMU ist diese Entwicklung gefährlich. Dennoch zeigt sich die Dachorganisation der Grosskonzerne nicht beunruhigt (vgl. auch «Die Meinung» von Hans-Ulrich Bigler zum Thema «Grosse, Kleine – und die Einheit der Wirtschaft»).

Für KMU brandgefährlich

Die Vorstellung einer Welt, in der Schokoladenstengel verboten sind und der Konsum von Fleisch strafbar ist, könnte einen zum Schmunzeln verleiten. Nun liegt aber diese Fantasiewelt gar nicht in so weiter Ferne – es werden schon die ersten Weichen gestellt. Die Stiftung Konsumentenschutz und andere Konsumentenverbände machen sich für die Einführung des Nutri-Score-Systems stark, das die Lebensmittel anhand einer fünfstufigen Farbskala, die den Buchstaben A bis E zugeordnet ist, klassiert. Dieses System wurde bereits in Belgien, Frankreich und Spanien eingeführt.

In der Schweiz hat Danone das Nutri-Score-Kennzeichnungssystem im März dieses Jahres auf freiwilliger Basis für seine Milchprodukte eingeführt. Coca-Cola hat seinerseits bereits das englische Kennzeichnungssystem übernommen. Nestlé liess verlauten, die Möglichkeit einer Übernahme des französischen Systems zu prüfen.

All diese multinationalen Unternehmen führen restriktive Bestimmungen ein, ohne zu berücksichtigen, welch katastrophale Folgen diese für die Schweizer KMU und den Wirtschaftsstandort Schweiz als Ganzes haben könnten. Es drängt sich die Frage auf: Weshalb nimmt der Dachverband der grossen Schweizer Unternehmen nicht Stellung gegen diese fatalen Beschlüsse von Danone? Schliesslich besteht seine Mission darin, sich für optimale Rahmenbedingungen für Schweizer Unternehmen einzusetzen – vom KMU bis zum Grosskonzern. Dieselbe Organisation, welche 2017 die spezielle Kennzeichnung «schädlicher Inhalte» auf Lebensmitteln noch als Bevormundung abtat, rührt keinen Finger, wenn ein Grosskonzern wie Danone in der Schweiz ein äusserst umstrittenes System einführt.

Die BĂĽchse der Pandora

Danone agiert in unserem Land als Vorreiter – und öffnet damit die Büchse der Pandora. Es ist weder wissenschaftlich noch zweckmässig, ein Lebensmittel als rot oder grün, d. h. gesund bzw. ungesund einzustufen. Alles ist eine Frage der Menge. Es ist höchst fragwürdig, Lebensmittel gemäss einem derart simplen System zu klassifizieren. So würde eine Portion Mandeln aufgrund ihres hohen Lipidgehalts rot gekennzeichnet, obwohl dieses Nahrungsmittel in einer gesunden Ernährung einen wichtigen Platz einnimmt. Ausserdem lässt sich die Ausgewogenheit der Ernährung nicht an einem einzigen Produkt, sondern nur an einer vollständigen Mahlzeit messen.

Wollen wir das ĂĽberhaupt?!

Die Frage darf nicht mehr lauten, welches Kennzeichnungssystem am geeignetsten ist, sondern ob wir ein solches System überhaupt wollen. Die Grosskonzerne zeigen sich einmal mehr alles andere als solidarisch, wenn sie Nutri-Score einführen, ohne sich um die möglichen Konsequenzen für die KMU zu kümmern; letztere werden bereits jetzt von der Bürokratie erdrückt. Es sei daran erinnert, dass dieses System mit der Nährwertdeklaration vergleichbar ist, gegen die sich die betroffenen Sektoren vor einigen Jahren bei der Revision des Lebensmittelgesetzes vehement gewehrt haben. Der Konzern Danone, der sich nicht darum kümmert, welche Folgen seine Beschlüsse für die KMU haben, führt diese Problematik erneut durch die Hintertür ein – ohne dass sein Dachverband auch nur im Geringsten auf diese Provokation reagiert. Die Einführung eines derartigen Systems wäre für die Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft mit hohen Kosten verbunden. KMU könnten den mit der Umsetzung verbundenen Aufwand nicht abfedern.

Es ist an der Zeit, Solidarität zu zeigen und an die Wirtschaft als Ganzes zu denken. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind die Grosskonzerne immer mehr auf die kleinen Unternehmen angewiesen. Sie würden also ein Eigentor schiessen, wenn sie ein System einführen, dass die kleinsten Akteure der Lebensmittelindustrie in die Knie zwingen würde. Es ist an der Zeit, dass auch ihre Dachorganisation dies endlich einsieht.

Hélène Noirjean, Ressortleiterin sgv

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