Publiziert am: 04.03.2022

Feuer und Flamme – jederzeit

CHRISTINE DAVATZ – Die Verankerung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung in der Verfassung ist nur einer von unzähligen Erfolgen, welche die scheidende Bildungs-expertin des Gewerbeverbands in ihrem 36-jährigen Engagement für die Berufsbildung erreicht hat.

Sage und schreibe 36 Jahre – so lange hat die scheidende Vizedirektorin des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv, Christine Davatz, sich im grössten Dachverband der Schweizer Wirtschaft mit voller Kraft für die Sache der Berufsbildung engagiert. Ende März geht nun «Madame Berufsbildung», wie sie von Vielen genannt wird, nach einer höchst bemerkenswerten Berufskarriere in Pension.

Seit 1986 jederzeit voll engagiert

Im September 1986 trat die 28-jährige Juristin in den sgv ein – und musste sich gleich mit der nationalen Abstimmung zur Lehrwerkstätten-Initiative der Gewerkschaften herumschlagen. «Es war ein Sprung ins kalte Wasser der nationalen Bildungspolitik», erinnert sich Christine Davatz heute, «ich hatte keinerlei Ahnung von gar nichts». Aber zusammen mit dem Team sgv ist sie beherzt aufgetreten, hat gekämpft – und gewonnen. Seither sei sie «jeden Tag wieder neu mit einer spannenden Herausforderung konfrontiert worden», sagt die heute 64-Jährige, der man die Freude an der Arbeit jederzeit ansieht. Ein Wechsel zu einer anderen Arbeitsstelle habe sich deshalb nie aufgedrängt; entsprechende Angebote habe sie nicht ein einziges Mal in Betracht gezogen.

Am Schweizerischen Gewerbekongress von 1994 in Wettingen wurde eine Resolution zur Berufsbildungspolitik des sgv verabschiedet. Vor langen 28 Jahren schon setzten sich die Delegierten des sgv für eine auch in finanzieller Hinsicht gleichwertige Behandlung von beruflicher und rein schulischer Aus- und Weiterbildung ein. Der als Ehrengast anwesende Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz würdigte in seiner Rede vor den Delegierten die zukunftsträchtige Stossrichtung als entscheidende Stärkung der Berufsbildung.

Neben der Anerkennung der Gleichwertigkeit von Berufsbildung und akademischer Bildung und der Gleichbehandlung beider Bildungswege wurde eine Stärkung der Berufsberatung, eine Berufsmaturität für schulisch starke Jugendliche sowie die Stärkung der Höheren Berufsbildung als der Karriereweg ohne Berufsmatura gefordert – alles Themen, die heute noch aktuell sind. «Christine Davatz hat in der Folge mit beispielhafter Hartnäckigkeit für die tatkräftige Umsetzung der Resolution gesorgt», erinnert sich sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler.

Ebenfalls 1994 gründete Davatz das Netzwerk KMU Frauen Schweiz. «Der Wert der Frauen für die Schweizer KMU-Landschaft lässt sich gar nicht überbewerten», sagt die «rechte Frauenrechtlerin» heute. Dass sie in den frühen Neunzigern zusätzlich als Zentralsekretärin des Schweizerischen Detaillistenverbands und danach zehn Jahre als Zentralsekretärin des Schweizerischen Treuhänderverbands amtierte, erwähnt die bescheidene Volldampfarbeiterin nur nebenbei.

Berufliche und akademische Bildung sind heute gleichwertig

«Christine Davatz war in Sachen Berufsbildung die unersetzliche Brückenbildnerin zwischen Bundesbern und den Gewerbeverbänden», sagt Rudolf Strahm, der ehemalige Nationalrat und Präsident der parlamentarischen Gruppe für Berufsbildung aus langjähriger Erfahrung. «Als man Mitte der 1990er-Jahre die Berufslehre mit den Mittelschulen und Gymnasien zusammenlegen wollte, schlug sie als erste erfolgreich Alarm. Und in den nachfolgenden Jahren prägte sie die Berufsbildungsreformen mehr als alle anderen.»

Alle Erfolge von Christine Davatz und dem sgv zugunsten der Berufsbildung aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Zu den weiteren Meilensteinen in Davatz’ unermüdlichem Engagement gehört die in den 1990er-Jahren erfolgte Einführung der Berufsmaturität innerhalb der beruflichen Grundbildung. Ebenso wurden die damaligen Höheren Technischen Lehranstalten und Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschulen zu Fachhochschulen aufgewertet. Passerellen ermöglichen je nach individueller Neigung der Auszubildenden die Durchlässigkeit und damit die optimale Entwicklung in der Ausbildung – alles Entwicklungen, die der sgv und vor allem Davatz mit ihrem unermüdlichen Einsatz stark mitgeprägt haben.

Wohl das Highlight schlechthin: Im Mai 2006 wurde in einer denkwürdigen Abstimmung auf Bundesebene erstmals in der Bundesverfassung festgeschrieben, dass berufliche und akademische Weiterbildung gleichwertig sind. Mit 85,6 Prozent Ja-Stimmen und in allen Ständen wurde der neue Bildungsartikel angenommen – ein Grosserfolg, der nur dank eines vom sgv erarbeiteten Vorstosses möglich geworden war.

Endlich mehr Geld für die Höhere Berufsbildung

Das überaus klare Ja zur Gleichwertigkeit eröffnete den Weg, um einen weiteren, entscheidenden Durchbruch zu erzielen: 2012 hat der sgv den Kampf für eine bessere Finanzierung der Höheren Berufsbildung (HBB) gewonnen – 350 Millionen sind seither speziell für die HBB reserviert. «Wer in der Politik Erfolg haben will, braucht einen langen Atem», sagt dazu der Unternehmer, sgv-Präsident und Nationalrat Fabio Regazzi. Und Davatz erklärt im Rückblick: «Wenn ich eines gelernt habe in all den Jahren, dann ist es Geduld. Es braucht oft lange Umwege, um ein Ziel zu erreichen. Wichtig ist einzig, dass man beharrlich seinen Weg geht und das Ziel stets im Auge behält.»

Anlässlich ihrer letzten Sitzung der Schweizerischen Gewerbekammer, des Parlaments des sgv, wurde Davatz mit einer langen und herzlichen Standing Ovation für ihren Jahrzehnte dauernden Einsatz zugunsten der Mitgliederorganisationen, der KMU und ihrer Auszubildenden belohnt. Chapeau, Madame Berufsbildung! Und alles Gute im Unruhestand.Gerhard Enggist

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