Publiziert am: 21.06.2019

Fürs Gewerbe inakzeptabel

NEUE STEUER ABGEWENDET– «Unverhältnismässig und ungerecht»: Die Stadtberner Regierung stiessmit ihrem Konzept eines «Sauberkeitsrappens» gegen Littering auf breiten Widerstand. Und wie bereits in Basel hat das Konzept nun auch in Bern Schiffbruch erlitten.

«Es ist wichtig, dass sich das Gewerbe in der Stadt Bern wohlfühlt», sagte der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried anlässlich der Delegiertenversammlung des kantonalen Gewerbeverbands Berner KMU auf dem Hausberg Gurten. Denn schliesslich seien die KMU «das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft». Zusammen mit dem Gewerbe wolle die Stadtregierung deshalb die Situation für Verkauf und Handel verbessern, so der grüne «Stapi» weiter.

Wie sich die Stadtberner Obrigkeit eine solche Verbesserung konkret vorstellt, hat sie soeben am Beispiel des «Sauberkeitsrappens» durchexerziert; gegen den Widerstand des lokalen Gewerbes und der bürgerlichen Minderheit in der rot-grünen Bundesstadt – und ohne Erfolg.

Mit der neuen «Gebühr» – de facto war es eine neue Steuer – sollte die Entsorgung von Abfällen im öffentlichen Raum durch die Verursacher «mitfinanziert» werden. «Dieser ‹Sauberkeitsrappen› ist ein Instrument, das verursachergerecht ist und Anreize bringt, selber zur Verminderung von Abfall beizutragen», behauptete die Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün, SP-Gemeinderätin Ursula Wyss.

Grosser Widerstand der KMU

Doch der Gemeinderat kam mit seinem «Sauberkeitsrappen» nicht durch, am Mittwoch wurde das Konzept beerdigt. «Abfallgebühr auf der Kippe» titelte «Der Bund» schon Ende Mai. In der Vernehmlassung waren mehr als 100 Eingaben eingegangen – Detailhändler, Betreiber von Bars und Take-aways, Bäcker und Confiseure wehrten sich gegen die Idee eines «Sauberkeitsrappens», der für sie neue Kosten in Millionenhöhe bedeutet hätte, ohne dass die gewünschte Wirkung – weniger Littering im öffentlichen Raum – gesichert worden wäre.

Betroffen von diesen zusätzlichen Kosten wären also nicht nur Grossverteiler wie Migros und Coop oder Schnellrestaurants wie McDonald’s gewesen, sondern auch viele Gewerbebetriebe. So etwa die 1968 in Bern gegründete Bäckerei-Konditorei Bohnenblust, die heute von Manfred Bohnenblust und Ruth Huber geleitet wird und das in ganz Bern beliebte «Steinhauerbrot» herstellt.

Ruth Huber, Mitinhaberin und Geschäftsführerin Verkauf, wehrte sich vehement gegen die neue Steuer: «Der ‹Sauberkeitsrappen› orientiert sich weder am Verursacherprinzip, noch hat er eine Lenkungswirkung auf die Entstehung des Litterings. Und nicht zuletzt verursacht er viel zusätzliche Bürokratie.» Die neu entstehenden Kosten dürften zudem von den meisten Verkaufsstellen auf die Kundschaft überwälzt werden – was die Hemmungen mancher Zeitgenossen eher noch mindern dürfte, die Verpackungen liegenzulassen.

Die Bäckerei Bohnenblust sei längst selbst aktiv, was Sauberkeit und Verminderung der Abfallmengen betrifft. «Es ist ja nicht so, dass wir nichts unternehmen würden», stellt Ruth Huber klar. «Selbstverständlich halten wir den Raum rund um unsere Filialen stets sauber. Wenn überhaupt, dann verwenden wir hauptsächlich biologisch abbaubares Einweggeschirr, geben reine Papiersäcke ohne Zusätze wie etwa Fettabweiser ab, und beim Catering setzen wir heute bereits Mehrweggeschirr ein.»

Am stossendsten bei der ganzen Sache sei aber dies: «Der ‹Sauberkeitsrappen› ist im Grundsatz eine versteckte, zusätzliche Steuer zulasten eines ausgewählten Gewerbesegments. Sie basiert im Wesent­lichen auf dem Umsatz einer Unternehmung mit zahlreichen angeblichen Bonusmöglichkeiten, die weder das Unternehmen noch die Stadtbürokratie effizient nachvollziehen und belegen können! Und das kann ja wohl kaum der richtige Weg sein, die Stadt Bern sauberer zu machen», so die Chefin von rund 70 Mitarbeitenden.

Vor allem steuerlich motiviert

Die Gegner der neuen Abfallsteuer argumentierten damit, dass die vorgeschlagene Massnahme überwiegend fiskalischen Charakter habe. Die Kosten würden als gegeben vorausgesetzt; entsprechend würden nur einnahmeseitige Massnahmen vorgeschlagen. Sollte die Abgabe tatsächlich einen Lenkungscharakter haben, dann müsste dies daran erkennbar sein, dass sie sich selbst abschaffe – nämlich dann, wenn die Lenkungswirkung eingetreten sei. Gerade dieses Szenario fehle im Konzept des «Sauberkeitsrappens».

Im Übrigen stehe der Vorschlag aus der Direktion Wyss im Widerspruch zu den Vorgaben des Bundesgerichts, indem er das Gebot der Rechtsgleichheit verletze und keine Lenkungswirkung auf das Abfallaufkommen aufweise. Im entsprechenden Grundsatzentscheid des Bundesgerichts aus dem Jahr 2012 (2C.239/2011) wird ausdrücklich am Verursacherprinzip festgehalten. Sekundärverursacher können nur in Betracht gezogen werden, wenn kumulativ ein plausibler Zusammenhang zwischen Verursacher und Aufkommen aufgezeigt werden kann, die rechtsgleiche Behandlung garantiert und die wirtschaftliche Tragbarkeit gewährleistet wird.

«Das Bundesgericht hat keinen Blankoscheck zur Fiskalisierung gegeben», hielt der Schweizerische Gewerbeverband sgv in seiner Stellungnahme fest, «sondern die Möglichkeit genannt, verursachergerecht und adäquat Mittel zu generieren. Eine Fiskalisierung ist weder verursachergerecht noch adäquat.»

Fragen ĂĽber Fragen

Weiter warf der sgv in seiner Stellungnahme folgende Fragen auf:

• Warum soll der Primärverursacher nicht am «Sauberkeitsrappen» beteiligt werden? Immerhin sind es die Konsumierenden, die den Abfall und das mögliche Littering verursachen.

• Weshalb sollen bloss die indirekten Abfallverursacher zur Kasse gebeten werden, nicht aber die Stadt, die selbst Anreize zum Konsum setzt – Stichwort: Stadtmöblierung – oder die Mobilitätsanbieter, welche die Konsumierenden erst vor Ort fahren?

• Wieso sollen Verkäufer, Präsenzverursacher und Hersteller je zu einem Drittel am Abfall- und Litteringaufkommen beteiligt sein, wobei Letztere nicht belangt werden können?

• Zeugt diese Drittelaufteilung nicht eher von einer praktischen Zuweisung, die dem Bundesgerichtsurteil eindeutig widerspricht und den in erster Linie steuerlich bedingten Charakter der «Abgabe» deutlich macht?

• Weshalb gibt es im städtischen Konzept keine Überlegungen zur wirtschaftlichen Tragbarkeit der Massnahmen für die Betroffenen?

Ein Referendum drohte

Nun also ist der «Sauberkeitsrappen» gescheitert; stattdessen soll es eine «Sauberkeitscharta» geben. Der Widerstand hat sich gelohnt. Der Gewerbeverband KMU Stadt Bern lehnte die Vorlage ebenso ab wie die Innenstadtvereinigung Bern City und zahlreiche Gewerbebetriebe, unter ihnen 19 Bäckereien/Confiserien mit 40 Verkaufsstellen in und um Bern und einem Umsatz zwischen 45 und 55 Millionen Franken. Die städtische FDP wollte das Referendum ergreifen, die lokale SVP wollte es mittragen. «Der ‹Sauberkeitsrappen› ist diskriminierend für das Gewerbe», so der SVP-Fraktionspräsident gegenüber dem «Bund». Auch die CVP signalisierte Unterstützung.

Der stellvertretende sgv-Direktor Henrique Schneider zur Wichtigkeit des lokalen Widerstands gegen die neue Steuer: «Bern war ein Labor für die Schweiz. Wäre der ‹Sauberkeitsrappen› hier durchgekommen, so hätte er auch in anderen Städten Chancen gehabt, sich durchzusetzen. Dies galt es im Interesse des Detailhandels und der Gastronomie zu verhindern. Dank der Mobilisierung des lokalen Gewerbes ist dies jetzt gelungen.»

Nun hat der «Sauberkeitsrappen» also Schiffbruch erlitten. Das ist gut so. Und vielleicht fällt der rot-grünen Stadtregierung ja in Zukunft doch etwas Besseres ein als ihr altbewährtes Rezept, das lokale Gewerbe mit zusätzlichen Steuern zu schröpfen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist getan.

Gerhard Enggist

vgl. auch Seite 1

BASEL-STADT SAGT NEIN

«Etikettenschwindel»

In Basel hat sich der Grosse Rat Mitte Mai gegen die Einführung einer neuen Abfallsteuer für Gewerbe, Veranstalter und weitere Organisationen ausgesprochen. «Damit konnte der wirkungslose, teure und bürokratische ‹Sauberkeits­rappen› nach dem Berner Vorbild verhindert werden», kommentierte der Gewerbeverband Basel-Stadt das «Nein zur neuen Abfallsteuer zulasten der Wirtschaft», die von der SP und dem Grünen Bündnis gefordert worden war.

«Es geht nicht um Rappen!»

«Der Begriff ‹Sauberkeitsrappen› ist ein Etikettenschwindel», betont Gewerbedirektor Gabriel Barell. Einerseits gehe es nicht um Rappen, sondern um mehrere tausend Franken, welche ein einzelner Betrieb pro Jahr hätte zahlen müssen. «Andererseits handelt es sich dabei nicht um eine Lenkungsabgabe für mehr Sauberkeit, sondern schlicht und einfach um eine neue Steuer.»

«Nicht gleichen Fehler machen»

Es sei erfreulich, dass Basel nicht den gleichen Fehler mache wie Bern. «Mit dem Nein zu einer bürokratischen, wirkungslosen und ungerechten neuen Abfallsteuer konnte eine zusätzliche Belastung der Wirtschaft und der Veranstalter, die für eine lebendige und attraktive Stadt sorgen, abgewendet werden.» En

www.gewerbe-basel.ch

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