Publiziert am: 02.09.2022

«Keine Frau erhält weniger»

AHV-REVISION – Die AHV muss drin­gend saniert werden. Im Interview erklĂ€ren die NationalrĂ€tinnen Diana Gutjahr (SVP) und Daniela Schnee­berger (FDP), weshalb es am 25. September ein doppeltes Ja braucht – und rĂ€umen mit den vielen irre­fĂŒh­ren­den Argumenten der Gegner auf.

Schweizerische Gewerbezeitung: Am 25. September kommt die Vorlage AHV 21 vors Volk. Wenn Sie es Ihrer Nachbarin in drei, vier SĂ€tzen erklĂ€ren mĂŒssten: Weshalb ist es wichtig, ein Ja respektive zwei Ja in die Urne zu legen?

Diana Gutjahr: Aufgrund der demografischen VerĂ€nderung gerĂ€t unsere 1. SĂ€ule, die AHV, in eine Schieflage. Die Babyboomer-Generation – also die JahrgĂ€nge 1946 bis 1964 – geht in Pension. Somit haben wir bald deutlich mehr Ausgaben als Einnahmen. Es ist offensichtlich, dass es nun dringend notwendig ist, griffige strukturelle, aber auch finanzielle Massnahmen zu treffen. Durch die schrittweise Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre sowie die Erhöhung der MWST können wir die Renten auch fĂŒr die zukĂŒnftigen Generationen sichern und die 1. SĂ€ule stabilisieren.

Daniela Schneeberger: Am 25. September braucht es unbedingt ein doppeltes Ja. Denn die AHV-Reform besteht aus zwei Vorlagen: Aus der Änderung des AHV-Gesetzes (unter anderem Harmonisierung und Flexibilisierung des Rentenalters) und der Erhöhung der Mehrwertsteuer, welche als VerfassungsĂ€nderung sogar eines StĂ€ndemehrs bedarf.

Da wir die beiden Vorlagen im Parlament gekoppelt haben, tritt die Reform nur dann in Kraft, wenn beide Vorlagen angenommen werden. Scheitert auch nur eine Vorlage, so gilt die gesamte Reform als gescheitert.

Die Vorlage sieht vor, das Frauenrentenalter von 64 auf 65 Jahre zu erhöhen. Die Gegner sprechen – einmal mehr – von Rentenklau und behaupten, hier werde Sozialabbau betrieben. Was halten Sie von diesem Argument?

Daniela Schneeberger: Diese Behauptung stimmt nicht. Mit der AHV 21 wird keine einzige Frau weniger Rente erhalten. Im Gegenteil: Weil die Erhöhung des Rentenalters gerade fĂŒr Frauen kurz vor ihrer Pensionierung einen grossen Eingriff in die eigene Lebensplanung darstellt, wird eine Übergangsgeneration von neun JahrgĂ€ngen von Ausgleichsmassnahmen profitieren.

Gerade tiefe Einkommen werden mit der AHV 21 mehr Rente erhalten als ohne. Hier von «Rentenklau» und «Sozialabbau» zu sprechen, ist schlicht nicht wahr.

Nach ersten Umfragen spricht sich eine Mehrheit der Frauen gegen die Erhöhung des Rentenalters aus. Erleben wir hier gerade, wie Gleichstellung à la carte aussieht?

Diana Gutjahr: Weshalb linke Kreise stĂ€ndig die Frau als Opfer darstellen und aus jeder Vorlage eine Gender-Debatte machen, ist fĂŒr mich nicht nachvollziehbar und dient insbesondere der Sache nicht. Fakt ist, dass 55 Prozent der Renten an Frauen gehen, wĂ€hrend im Gegenzug 66 Prozent der pflichtigen BeitrĂ€ge durch MĂ€nner einbezahlt werden. Zudem beziehen Frauen im Schnitt fĂŒnf Jahre lĂ€nger AHV und damit gemĂ€ss dem Bundesamt fĂŒr Sozialversicherungen eine höhere Rente als MĂ€nner. Aber im Grundsatz darf es doch nicht darum gehen, wer wie viel bezieht oder wer wie viel profitiert, sondern dass wir eine sichere Rente fĂŒr alle garantieren können, auch in Zukunft.

Die BefĂŒrworter argumentieren im Gegensatz dazu mit der GenerationensolidaritĂ€t. Inwiefern trĂ€gt ein Ja zu dieser bei?

Diana Gutjahr: Bei der AHV spricht man vom sogenannten Generationenvertrag und meint damit, dass Junge und ErwerbstĂ€tige die Leistungen der Rentnerinnen und Rentner im Prinzip des Umlageverfahrens finanzieren. Wir mĂŒssen aufpassen, dass kein Generationenkonflikt entsteht, und dass die Balance zwischen dem Geben und Nehmen nicht aus dem Gleichgewicht gerĂ€t. WĂŒrden nĂ€mlich die jĂŒngeren Generationen nur so viel einzahlen wie damals die Älteren, wĂŒrde das Geld fĂŒr ein Altern in WĂŒrde nicht reichen. Und wenn die Ă€lteren Generationen auf dieselben Leistungen pochen wĂŒrden, wie die frĂŒheren Generationen erhalten haben, dann wĂŒrden die heutigen ErwerbstĂ€tigen die zunehmenden Kosten allein tragen mĂŒssen. Ein Ja ist deshalb ein klares Bekenntnis zur GenerationensolidaritĂ€t.

«Insgesamt neun FrauenjahrgĂ€nge der Übergangsgeneration werden lebenslange RentenzuschlĂ€ge erhalten.» Daniela Schneeberger

Die Vorlage sieht vor, das geltende, starre Rentenalter durch ein Referenzalter zu ersetzen, welches einen flexibleren Übertritt zwischen 63 und 70 Jahren ermöglicht. Was bedeutet das und weshalb ist das nötig?

Daniela Schneeberger: Mit der EinfĂŒhrung des Referenzalters kommen wir dem gesellschaftlichen Wunsch nach mehr FlexibilitĂ€t in der eigenen Pensionierung nach. Ob jemand seinen Rentenbezug mit 63 Jahren starten möchte, um mehr Zeit mit den Enkeln zu verbringen, oder den Rentenbezug auf 68 hinausschieben will, um die Pension gleichzeitig mit dem jĂŒngeren Ehepartner oder der Ehepartnerin zu starten, sollte schon lĂ€ngst der Person selbst ĂŒberlassen sein.

Gleichzeitig aktivieren wir zusÀtzliches ArbeitskrÀftepotenzial. In Anbetracht des FachkrÀftemangels ist dies absolut zentral. Gerade Àltere Arbeitnehmende können einen wichtigen Beitrag zur Linderung des FachkrÀftemangels leisten.

Die Reform beinhaltet Massnahmen, um Frauen in den ÜbergangsjahrgĂ€ngen finanziell abzufedern. Wie sehen diese aus?

Daniela Schneeberger: Insgesamt neun FrauenjahrgĂ€nge der Übergangsgeneration werden lebenslange RentenzuschlĂ€ge erhalten. Der Grundzuschlag wird 160 Franken fĂŒr tiefe (bis 57 360 Franken), 100 Franken fĂŒr mittlere (bis 71 700 Franken) und 50 Franken fĂŒr höhere Jahreseinkommen (ĂŒber 71 701 Franken) betragen, und abgestuft nach Jahrgang ausbezahlt werden. Eine Frau, welche das volle zusĂ€tzliche Erwerbsjahr leisten muss, wird mehr erhalten als eine Frau, welche bereits mit 64 Jahren und drei Monaten in Pension gehen konnte.

Wichtig ist: Der Rentenzuschlag erfolgt ausserhalb des Rentensystems und unterliegt deshalb weder der Plafonierung der Altersrenten von Ehepaaren noch der Berechnung fĂŒr ErgĂ€nzungsleistungen.

Damit die Reform gelingt, braucht es zweimal ein Ja: Sowohl zur Angleichung des Frauenrentenalters als auch zur Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,4 Prozentpunkte. Die Gegner kritisieren, dass die Preise fĂŒr Waren und Dienstleistungen sowie die Kranken-kassenprämien bereits jetzt steigen. Ein höherer Mehrwertsteuersatz senke die Kaufkraft zusĂ€tzlich. Was antworten Sie darauf?

Diana Gutjahr: NatĂŒrlich löst bei mir eine Steuererhöhung keine FreudensprĂŒnge aus. Aber ich bin bereit, zugunsten des breit abgestĂŒtzten Kompromisses und unseres Sozialwerkes in diesen sauren Apfel zu beissen. Ideologische Spielerein oder Rosinenpickereien sind fehl am Platz. Zudem ist die MWST wohl die gerechteste Steuer von allen. Sie trifft Junge, Alte, Frauen, MĂ€nner, ErwerbstĂ€tige, Rentner gleichermassen. Wichtig ist aber auch zu wissen, dass eigentlich nur drei Möglichkeiten gibt, die AHV zu sanieren. Entweder es werden die LohnsozialversicherungsbeitrĂ€ge erhöht, Renten gekĂŒrzt oder die MWST erhöht. Nachdem bei der STAF die Lohnprozente auch fĂŒr die Stabilisierung der AHV erhöht wurden, ist nun die MWST an der Reihe. Denn eine RentenkĂŒrzung ist indiskutabel. Da sind wir uns sicher alle einig.

Was hingegen die Erhöhung des Rentenalters betrifft, ist dies fĂŒr mich ein logischer Schritt. Es gibt keinen Grund, weshalb es hier Unterschiede geben soll. Schon bei der EinfĂŒhrung 1948 folgte man diesem Grundsatz. Beide durften bis 65 arbeiten. Erst Jahre spĂ€ter sank das Rentenalter auf 63 beziehungsweise 62, bis 1997 das Rentenalter mit der «Frauenrevision» auf 64 Jahre wieder angehoben wurde. Gleichberechtigung bedeutet gleiche Rechte, aber auch gleiche Pflichten!

«55 Prozent der Renten gehen an Frauen, wÀhrend 66 Prozent der BeitrÀge durch MÀnner einbezahlt werden.» Diana Gutjahr

Wie geht es nach dem 25. September weiter, wenn die Reform scheitern sollte?

Diana Gutjahr: So ehrlich mĂŒssen wir sein: Auch mit einem Ja gewinnen wir nur ein paar Jahre, was so viel bedeutet, dass die nĂ€chste Reform bereits nach der Abstimmung angegangen werden muss. Schon 1948 war man sich bewusst, dass die AHV regelmĂ€ssig reformiert werden muss. Deshalb: Eine erneute 25-jĂ€hrige Reformblockade können und dĂŒrfen wir uns angesichts der Situation nicht leisten. Bei einem Nein wĂŒrden die neuen finanziellen, aber auch strukturellen Massnahmen sicherlich einschneidender sein als bei der aktuellen Vorlage. Geben wir uns einen Ruck und sagen am 25. September 2x Ja zur AHV-Vorlage, aber auch zur Erhöhung der MWST.

Daniela Schneeberger: Sollte die Reform scheitern, drohen der AHV bereits ab 2025 rote Zahlen. Um die Finanzierung der nĂ€chsten Jahre zu sichern, mĂŒssten wir Massnahmen mit unmittelbarer Wirkung ergreifen. Da die Erhöhung des Rentenalters als mögliche Massnahme nur eine langfristige Wirkung zeigt, sĂ€hen wir uns gezwungen, die AHV mit systemfremden Zusatzeinnahmen zu finanzieren. Das heisst: Die Erhöhung von AHV-BeitrĂ€gen fĂŒr Arbeitnehmer und Arbeitgeber, von BundesbeitrĂ€gen, Steuererhöhungen oder die EinfĂŒhrung sonstiger Abgaben. Deshalb tun wir gut daran, am 25. September ein doppeltes Ja in die Urne zu legen.

Interview: Rolf Hug

www.sichereahv.ch

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