Publiziert am: 05.11.2021

Die Meinung

Lieber den Spatz in der Hand ...

Die Meinung

Unser Pflegepersonal ist wichtig. Die tollsten medizinischen Eingriffe sind bloss von beschränktem Nutzen, wenn danach keine professionelle Pflege sichergestellt ist. Gut qualifizierte Pflegefachkräfte auf Stufe Spitäler, Heime und in der Spitex sind in einem hochwertigen Gesundheitssystem unverzichtbar.

In der Schweiz mangelt es an gut qualifiziertem Pflegepersonal. Die Zahl der jungen Menschen, die sich für diese Berufsrichtung entscheiden, sollte höher sein. Und vor allem sollte es gelingen, das gut ausgebildete Fachpersonal länger bei der Stange beziehungsweise am Krankenbett zu halten. Die Lücke muss heute mit ausländischem Fachpersonal gefüllt werden, was nicht immer nur von Vorteil ist. Ein dringender Handlungsbedarf bei der Rekrutierung und Ausbildung von Pflegepersonal ist daher klar nachgewiesen.

Gut, dass eine fixfertige Lösung auf dem Tisch liegt, die rasch umgesetzt werden kann. Hierbei handelt es sich um den indirekten Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative, die vom Bundesrat und vom Parlament ausgearbeitet wurde (vgl. auch Seite 6). Dieser Gegenvorschlag sieht vor, dass binnen acht Jahren fast eine halbe Milliarde Franken für Fördermassnahmen für den Pflegebereich ausgegeben werden. Weiter sieht der Gegenvorschlag vor, dass die Kompetenzen der Pflegenden erweitert werden, indem sie einen Teil ihrer Leistungen in Zukunft eigenständig und nicht bloss auf ärztliche Anweisung hin durchführen können. Diese weitergehenden Kompetenzen werten den Pflegeberuf deutlich auf und sollten mithelfen, gut qualifizierte Fachkräfte vor dem Ausstieg aus dem Beruf abzuhalten.

Warum hat man diesen indirekten Gegenvorschlag mitsamt des kräftigen Förderprogramms nicht längst in Kraft gesetzt? Weil ihm pikanterweise die Pflegeinitiative im Wege steht. Der Gegenvorschlag ist so konzipiert, dass er nur dann in Kraft treten kann, wenn die Pflegeinitiative zurückgezogen oder an der Urne abgelehnt wurde.

Das Festhalten der Initianten an ihrem Volksbegehren wirft Fragen auf. Es wäre dann problemlos nachvollziehbar, wenn das Parlament den Anliegen der Initianten zu wenig weit entgegengekommen wäre. Das ist aber nicht der Fall. Zwei von drei Hauptforderungen – die Förderung des Pflegeberufs mitsamt Massnahmen zur stärkeren Rekrutierung von Berufsnachwuchs und für bessere Aus- und Weiterbildungen sowie die Kompetenzerweiterungen – werden vollumfänglich umgesetzt. Im Gegenvorschlag wird einzig darauf verzichtet, den Bund zu verpflichten, sich in die Lohnpolitik und die Arbeitsbedingungen der Pflegenden einzumischen. Das ist auch gut so. Diese zentralen Eckwerte der Personalpolitik sind, in gut schweizerischer Manier, durch die Sozialpartner festzulegen.

Das Festhalten an der Pflegeinitiative ist eine Zwängerei. Und das zum Leidwesen des betroffenen Berufsstands. Der Verzicht auf den Rückzug hat bereits jetzt dazu geführt, dass wichtige Massnahmen nicht eingeleitet werden konnten. Sollte die Initiative angenommen werden, hätte das weitere Verzögerungen zur Folge. Denn es müsste ein neues Gesetz erarbeitet und beraten werden, was in der Schweiz wohl mindestens zwei Jahre dauert. Wertvolle Zeit, in der nichts geschieht. Und ob dieses neue Gesetz den Pflegenden dann wirklich mehr bringt als das vorliegende, ist ungewiss.

Der sgv setzt sich für rasche Verbesserungen zugunsten des Pflegepersonals ein. Er stellt sich daher uneingeschränkt hinter den bereit abgestützten Gegenvorschlag – und sagt konsequenterweise NEIN zur Pflegeinitiative.

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