Publiziert am: 21.10.2022

Die Meinung

Mangelndes Risikomanagement

Kommt nun die Energiemangellage oder kommt sie nicht? In den Medien wird viel über die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens spekuliert. Viel wichtiger wäre aber, ihr Risiko zu managen. Dazu braucht es viel mehr Koordination.

Risiko ist das Resultat von Eintrittswahrscheinlichkeit und potenziellem Schaden. Risiko-management muss damit beide Elemente ansprechen (vgl. auch Seite 4). Für die Energiemangellage heisst das: Einerseits muss man die Eintrittswahrscheinlichkeit senken. Die Aufrufe zum Energiesparen gehören dazu. Noch wichtiger ist der Ausbau der Produktionskapazitäten für elektrischen Strom. Andererseits müssen Massnahmen eingeleitet werden, damit der potenzielle Schaden möglichst klein bleibt, wenn die Mangellage eintritt.

Der Schweizerische Gewerbeverband wurde früh aktiv. Im Mai unterbreitete er umfassende Vorschläge zur Verbesserung der Versorgungssicherheit der Schweiz mit elektrischem Strom. Damit hätte die Eintrittswahrscheinlichkeit reduziert werden sollen. Auch für die Reduktion des potenziellen Schadens trat der sgv ein. Im ersten Quartal dieses Jahres etwa forderte der Verband Vorbereitungsarbeiten für die Flexibilisierung der Kurzarbeit. Im August und September entwickelte er die Branchensparpläne.

Gemäss diesem Vorschlag sollen Branchen oder Wertschöpfungsketten verbindliche Energie-Sparvereinbarungen mit der wirtschaftlichen Landesversorgung erarbeiten können. Unternehmen, die diese Sparpläne umsetzen, um die Vereinbarungen zu erfüllen, sollen von weiteren Bewirtschaftungsmassnahmen gemäss Notverordnung möglichst ausgenommen werden, insbesondere aus den Verboten und Einschränkungen einzelner Aktivitäten bzw. der Nutzung einzelner Geräte. Mit diesen Vorschlägen will der sgv ein Energiemangellage-Risikomanagement auf der Bundesebene instituieren. Doch wie der Bund darauf reagiert, ist widersprüchlich und unklug.

Zum Beispiel Branchenpläne: Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung gab vor, auf den Vorschlag einzutreten. Doch es veränderte ihn bis zur Unkenntlichkeit. Das von Strombaronen beherrschte Amt will die Wirtschaft zum Energiesparen verpflichten. Aber einen Anreiz will es nicht geben. Es lässt sogar die Möglichkeit offen, Firmen doppelt zu belasten. Sie gehen Sparverpflichtungen ein, und dann wird ihr Strombezug eingeschränkt.

Auch andere Pläne der Wirtschaft bezüglich Risikomanagement will das Bundesamt nicht. Den Handel mit Kontingentsbezugsrechten und den Verkauf von ungenutztem Strom weist das Amt zurück. Statt Risikomanagement zu betreiben, setzt so die «wirtschaftliche» Landesversorgung auf die Maximierung des Schadens.

Die Widersprüchlichkeiten enden nicht hier. Das Staatssekretariat für Wirtschaft, übrigens im gleichen Departement untergebracht wie das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung, scheint nichts von Energiesparmassnahmen zu halten. Das SECO verschickte nämlich eine Information an Betriebe mit Warnungen vor den zwei wichtigsten Energiesparmassnahmen, Temperaturabsenkung und Lüftung.

So viel Widerspruch verträgt es in keiner Krise. Die Wirtschaft musste bereits die Kosten und Auswirkungen der Covid-19-Pandemie tragen. Sie kann und will nicht auch noch die Kosten der Energiemangellage schultern. Die Energiemangellage ist ein Staatsversagen. Das Risikomanagement sollte nicht auch noch eines sein.

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