Publiziert am: 12.08.2022

«Neue Stärken entwickeln»

BUNDESRAT GUY PARMELIN – Der Wirtschaftsminister hat an den Journées romandes des arts et métiers im Juni in Champéry zahlreiche Fragen aus dem Publikum beantwortet. Diese drehten sich um Start-ups, Ausbildung, Steuern und Rahmenabkommen. Hier eine Übersicht der Fragen und Antworten.

Schweizerische Gewerbezeitung: Herr Bundesrat, was ist fĂĽr Sie ein Start-up?

Bundesrat Guy Parmelin: Ein Start-up ist für mich eine gute Idee, die – einmal erfolgreich umgesetzt – zum Wohlstand unseres Landes beitragen wird. Diese Idee wird mit der Gründung eines Unternehmens in die Tat umgesetzt. Und dafür muss wiederum eine Startfinanzierung gefunden werden. Das funktioniert in unserem Land relativ gut. Dann kommt die Entwicklungsphase, die viel Liquidität erfordert. In der Schweiz ist dieser zweite Teil am schwierigsten.

Inwiefern wird das Gesetz zur Senkung der Regulierungskosten einen Raum schaffen, der das Unternehmertum fördert?

Am Anfang war der Bundesrat gegen das Gesetz. Es gab starke Widerstände. Darauf haben wir das Dossier überarbeitet. Am Anfang standen zwei Motionen, die eine kommt von Nationalrätin Sandra Sollberger (SVP/BL). Der Gesetzesentwurf wurde in der Vernehmlassung positiv aufgenommen. Wir bereiten die Botschaft vor, die bis Ende des Jahres an das Parlament weitergeleitet wird.

Die andere Motion stammt von der FDP-Fraktion und schlägt eine Regulierungsbremse vor: Dies würde eine Änderung der Bundesverfassung erfordern. Die Ergebnisse der Vernehmlassung sind hier gemischt. Einige Kantone und Organisationen sind dagegen. Ich glaube aber, dass es nach der Verabschiedung der Botschaft durch den Bundesrat Sache des Parlaments ist, seine Arbeit zu tun und zu sagen, was es beibehalten, was es ändern oder streichen will.

Eine Frage zur Steuerreform der OECD: Wie hoch ist die Chance, dass sie in der Schweiz umgesetzt wird, und welche Risiken bestehen fĂĽr KMU?

Die Risiken sind gross, wenn die Reform in der Schweiz nicht umgesetzt wird – das muss man klar sagen. Es besteht die Gefahr, dass wir Substanz an das Ausland verlieren. Der Bundesrat hat die Schwerpunkte dieser Reform verabschiedet. Die Verfassung muss geändert werden, damit sie Anfang 2024 in Kraft treten kann. Das bedingt im Jahr davor eine entsprechende obligatorische Volksabstimmung. In einer späteren Phase wird dann die Angelegenheit durch ein Gesetz konkretisiert und kann abgeschlossen werden.

Die eigentliche Debatte dazu wird im Parlament stattfinden. Das Finanzdepartement hat die Basis des Projekts gut aufgebaut, damit das Parlament in Kenntnis der Sachlage entscheiden kann.

«Sie kennen die Tradition der Schweiz: Wir machen möglichst keine Industriepolitik. Und wir bevorzugen Bottom-up- statt Top-down-Ansätze.»

Welche Folgen hat der Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU für Schweizer KMU, die im Ausland tätig sind?

Der Bundesrat musste eine Interessenabwägung vornehmen. Er war sich bewusst, dass dies negative Auswirkungen auf die Wirtschaft haben könnte. Was die Verhandlungen mit der EU betrifft, so hat der Bundesrat nun sein Paket geschnürt, um die Gespräche mit der EU wieder in Gang zu bringen. Der Bundesrat ist bereit, mit der EU zu diskutieren und Vorschläge zu unterbreiten.

Der Bundesrat hat den Vorschlag zur Schaffung eines öffentlichen Fonds für Start-ups und Scale-ups angekündigt. Wie stellen Sie sich die Umrisse dieses künftigen Fonds vor, und wie lässt er sich mit dem Swiss Entrepreneurs Funds für Start-ups und KMU vereinbaren, der von Ihrem Vorgänger Johann Schneider-Ammann eingerichtet wurde und offenbar die gleichen Ziele verfolgt?

Die Frage ist berechtigt. Der Bundesrat hat diese Entscheidung in einem globalen Kontext getroffen. Es ist eine Grundsatzentscheidung. Wir wollen die Analyse, die Untersuchung der Finanzierungsfragen fortsetzen. An einem bestimmten Punkt stellte sich die Frage, ob ein Fonds nur für die Dekarbonisierung Sinn ergibt. Wir wollten einen neutralen Fonds gründen, der natürlich verschiedene Aspekte umfasst: Dekarbonisierung, Digitalisierung etc. Die grösste Herausforderung besteht darin, dass man einen bestimmten Weg beschreitet – und dann vielleicht fünf Jahre später feststellt, dass man nicht die richtigen Instrumente hat oder in die falsche Richtung gegangen ist.

Es ist klar, dass wir auch die Fonds anschauen , die es bereits gibt: Welche Erfahrungen wurden gemacht? Wir müssen vermeiden, dass es zu Doppelspurigkeiten kommt. Anfang 2023 wird der Bundesrat entscheiden, ob er die Übung fortsetzt oder abbricht. Wir haben auch analysiert, was in Belgien, den Niederlanden und anderen Ländern gemacht wird, wo es recht interessante Aspekte gibt.

Infolge der Steuerreform der OECD und der Blockade mit der EU könnten einige unserer Stärken unter Druck geraten. Daher müssen neue entwickelt werden. In anderen Ländern werden Start-ups im Scale-up-Stadium massiv unterstützt. Wir sollten versuchen, neue Stärken zu entwickeln – ohne dass sich die Politik zu stark einmischt!

Wie wird der Bundesrat künftig Start-up-Unternehmen bei der Wiederherstellung der Biodiversität unterstützen?

In den verschiedenen Projekten, die auf dem Tisch liegen, gibt es Aspekte, die auch den Bereich meiner Kollegin Simonetta Sommaruga betreffen. Dazu gehört zum Beispiel die Biodiversität. Derzeit wird ein Gegenentwurf zur Biodiversitätsinitiative erarbeitet. Das Thema wird dort konkret angesprochen. Der Fonds, wenn er denn zustande kommt, wird nicht ausschliesslich auf ein Thema fokussiert sein: Wir sehen ja, dass in einigen Ländern Fonds gescheitert sind, weil sie auf die falsche Technologie gesetzt haben oder in die falsche Richtung gegangen sind.

Bei einem solchen Fonds wollen wir uns nicht zu sehr die Hände binden, was die eine oder andere Achse oder Technologie angeht. Eine solche Starrheit könnte uns die Möglichkeit nehmen, Projekte zu unterstützen, die durchaus akzeptabel sind.

Was die Fachkräfte betrifft, so liegt eine Stärke der Schweiz in ihrer dualen Ausbildung. Wie kann man angesichts der zunehmenden Bedeutung von Start-ups deren Entwicklung und die Berufsbildung weiterhin in Einklang bringen?

Die Arbeitswelt betrifft den Bund, die Kantone und die Berufsverbände. Man hat das Projekt «Berufsbildung 2030» entwickelt, um mögliche Verbesserungen zu identifizieren. Eine der Herausforderungen, vor denen wir stehen, ist die schnelle Entwicklung der Technologien. Wenn wir einen Zehn-Jahres-Plan machen, endlich alles unter einen Hut gebracht haben und die Tinte noch nicht trocken ist, muss man das Ganze schon wieder neu ausrichten. Dies, weil die Technologie schneller voranschreitet als die Politik.

Wichtig ist auch: Man sollte die akademische und die berufliche Ausbildung nicht gegeneinander ausspielen.

Zur Suche nach Fachkräften aus Drittstaaten: Welche Gesetzesänderungen sind geplant, um die Situation zu entschärfen?

Ich erinnere an die Motion Dobler. Sie verlangt, dass wir gegenüber Leuten, die zum Studieren in die Schweiz kommen, flexibler sind. Die Motion wird derzeit im Departement meiner Kollegin Karin Keller-Sutter umgesetzt. Eines der grossen Probleme hier und in Europa ist die Überalterung der Bevölkerung und die Tatsache, dass es immer weniger Fachkräfte gibt. Wir sehen die Auswirkungen, und sowohl der Bundesrat als auch das Parlament sind besorgt. Einige Massnahmen sind bereits eingeleitet worden.

François Othenin-Girard

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