Publiziert am: 17.06.2022

Normal oder Politikversagen?

INFLATION – Eine allgemeine Teuerung der Preise, ein Verlust von Kaufkraft: Auch wenn dieses Jahr die Inflations­rate um die 3 Prozent beträgt, so gibt es keinen Grund für Panik. Doch allzu komfortabel sollte man sich nicht einrichten.

Gemäss Expertenprognose wird die Schweizer Volkswirtschaft im Jahr 2022 um etwa drei Prozent wachsen. D. h. die Wertschöpfung 2022 wird um drei Prozent höher ausfallen als im Vorjahr. Die Arbeitslosenquote wird sich um die 2,1 Prozent einpendeln, also bei Vollbeschäftigung. Und die Jahresinflationszahl wird sich zwischen zwei und drei Prozent bewegen. Geht man nach dem Lehrbuch und bleiben diese Zahlen so, lässt sich sogar von Hochkonjunktur sprechen.

Zugegeben: Für viele fühlt es sich nicht so an. Margen bleiben dünn, es gibt Lieferschwierigkeiten, man muss sich noch von den masslosen staatlichen Eingriffen wegen Corona erholen – und der Krieg gegen die Ukraine wiegt schwer. Und trotzdem bleibt die Feststellung: Ein hohes Wirtschaftswachstum führt gleichzeitig zu einer Angebotsverknappung und Nachfrageausdehnung. Der Indikator für beides sind steigende Preise.

Erodierende Kaufkraft

Sind also die Preissteigerungen, die wir gerade erleben, in Ordnung? Die Antwort ist ja. Sie sind normal und konsistent mit dem, was man in einer solchen Konjunkturphase erwarten würde. Die steigenden Preise sind quasi ein Selbstkorrekturmechanismus, um das Ungleichgewicht von steigender Nachfrage und sich verknappendem Angebot zu lösen. Entsprechend denken Nationalbanken und andere Institutionen, dass eine Teuerung von etwa zwei Prozent im Jahr mit einer wachsenden Wirtschaft einhergeht.

Abnormal war die Phase ohne gemessene Inflation in der Dekade vor dem Jahr 2022. Doch auch in jener Zeit erodierte die Kaufkraft. Wenn gleichzeitig Nationalbanken die Geldmengen erhöhen und Regierungen mit barocken Sozial- und anderen Programmen das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster werfen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Inflationsrate in die Höhe schiesst. Dennoch ist es keineswegs so, dass es in den vergangenen Jahren keine Teuerung gab.

Der Kaufkraftverlust machte sich einfach anders bemerkbar. Ultralockere Geld- und Fiskalpolitik führten zu einem Anstieg der Boden- und Immobilienpreise. Dieser verteuerte wiederum die Wohnkosten. Der Negativzins führte zu einer Verkleinerung der künftigen Renten, also auch zu einer minderen Kaufkraft. Nun schlägt sich die Teuerung auch noch in den Konsumgütern nieder und wird deshalb von der eher niedlichen Technik des Warenkorbes gemessen. Der Kaufkraftverlust, der schon über die letzten Jahre stattgefunden hatte, wird endlich von der Inflationsrate gemessen.

Wie weiter?

Wenn die Lehrbücher der Wirtschaftstheorie recht haben, dann bremst die gemessene Inflation den Boom, die Wirtschaft geht auf einen normalen Wachstumspfad zurück – und dann nimmt die Teuerung ab. Das ist ein Szenario. Ein anderes ist, dass die technische Hochkonjunktur anhält und die Preise in der Folge auch aufschlagen. Mit diesen beiden Szenarien kann man leben; sie gehören sogar zur wirtschaftlichen Normalität.

«Der Kaufkraftverlust,der schon über die letzten Jahre stattgefundenhatte, wird nun endlich Auch von der Inflationsrate gemessen.»

Problematisch wird es dann, wenn das Wirtschaftswachstum abgebremst wird und die Preise trotzdem weiter steigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario eintritt, ist gar nicht so klein. Denn wichtige Preistreiber entziehen sich derzeit den Marktmechanismen. Die Energiepreise (vgl. auch Artikel «Effizienz statt Bürokratie») schnellen in die Höhe aufgrund des Kriegs gegen die Ukraine – und wegen falscher politischer Rahmenbedingungen.

Die Verknappung des weltweiten Angebots von einigen Lebens- und Transportmitteln ist ebenso auf Politikversagen zurückzuführen. Während Marktmechanismen Ungleichgewichte schnell lösen, brauchen Politikversagen lange für ihre Korrektur.

Sollte dieses Szenario eintreten, kommt es zu einer Phase von echter Erosion der Kaufkraft und damit auch zu Margenverlust bei Unternehmen. Diese Phase dauert so lange, bis die Politikversagen korrigiert werden. In der Zeit muss also die Politik an den Wurzeln des Übels arbeiten, und die von ihr selbst verschlechterten Rahmenbedingungen verbessern. Preiskontrollen und andere Moratorien sind selbst Politikversagen und wirken kontraproduktiv.

Das Fazit lautet also: Eine gewisse Inflation ist für eine technische Hochkonjunktur normal. Sollte aber die momentane Erosion der Kaufkraft nicht auf den Wirtschaftsgang, sondern auf Politikversagen zurückzuführen sein, sehen die Szenarien viel düsterer aus. Auf jeden Fall gilt: Verbesserte Rahmenbedingungen bauen Preisdruck ab.

Henrique Schneider, Stv. Direktor sgv

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