Publiziert am: 24.01.2020

«Pushen Sie Ihre Enkel ins Handwerk»

ARBEITSMARKT IM WANDEL – Wie arbeiten wir in Zukunft? Demografie, der Wunsch nach mehr Flexibilität sowie die Digitalisierung werden den Arbeitsmarkt prägen. Im Hier und Jetzt steht für das Gewerbe eine Stärkung der Sozialpartnerschaft im Vordergrund, wie verschiedene Exponenten an der Winterkonferenz in Klosters betonten.

Die tiefe Arbeitslosenquote in der Schweiz täuscht nicht darüber hinweg, dass sich der Arbeitsmarkt im Wandel befindet. Die zwei Schlagworte der Stunde lauten Flexibilisierung und Sozialpartnerschaft. Mit ebendiesem Wandel beschäftigt sich swissstaffing, der Verband der Personaldienstleister, gerade ausgiebig und hat ein White Paper zum Thema herausgegeben (vgl. Seite 9). Der Präsident von swissstaffing, Leif Agnéus, präsentierte an der Gewerblichen Winterkonferenz in Klosters die neusten Erkenntnisse und zeigte sich insbesondere besorgt um den Zustand der Sozialpartnerschaft.

«Die Gewerkschaften gefährden die Sozialpartnerschaft», warnte Agnéus im Interview mit Dieter Kläy, der beim Schweizerischen Gewerbeverband sgv mit dem Dossier Arbeitsmarkt beauftragt ist. Konkret kritisierte Agnéus in Klosters, dass zunächst der GAV ausgehandelt wird, die Gewerkschaften anschliessend aber ihre nicht erreichten Punkte auf kantonaler Ebene durchsetzen wollen. Das bekannteste Beispiel seien die Mindestlöhne.

6 Wochen Ferien, 14. Monatslohn

«Genf und Tessin haben bereits kantonale Mindestlöhne, weitere Kantone sind auf dem Weg dazu», schlug Casimir Platzer, Präsident von GastroSuisse, in die gleiche Kerbe. Er wandte sich an der Winterkonferenz direkt an die Gewerbevertreter: «Die Gewerkschaften sitzen mit ihnen am Tisch, um den GAV auszuhandeln, und wollen dann auf kantonaler Ebene Mindestlöhne einführen.» Das lasse man nicht auf sich sitzen.

Platzer präsentierte die Antwort des Gewerbes. Diese heisst «Allianz für die Stärkung der Sozialpartnerschaft» und besteht aus 29 Verbänden und Branchenorganisationen, zu denen unter anderem der Schweizerische Gewerbeverband sgv, Gastro­Suisse und eben auch swissstaffing, der Verband der Personaldienstleister, zählen. Während Leif Agnéus sich in aller Deutlichkeit zur Sozialpartnerschaft bekannte («Sie ist ein wichtiger Sockel für den liberalen Arbeitsmarkt»), erinnerte Casimir Platzer noch einmal daran, dass die Mindestlohn-Initiative im Jahr 2014 mit 76,3 Prozent Nein-Stimmen abgeschmettert wurde. Dass die Gewerkschaften und eine Motion der Tessiner Grünen-Nationalrätin Greta Gysin (Motion 19.4406: Bekämpfung von Lohndumping. Mehr Kompetenzen für die Kantone.) nun kantonale Mindestlöhne fordern, sei «sicher nicht im Sinne der Sozialpartnerschaft». Platzer weiter: «Ich könnte mir vorstellen, dass bald 6 Wochen Ferien oder ein 14. Monatslohn gefordert werden.» Dagegen wird sich die Allianz für die Stärkung der Sozialpartnerschaft wehren. Hat ein erster Vorstoss noch einen Betriebsunfall erlitten, werde schon bald ein nächster folgen, kündigte Platzer an. «Wir wollen eine echte Sozialpartnerschaft und keinen Flickenteppich, bei welchem in jedem Kanton etwas anderes gilt.»

Für die Perspektiven der Jungen kämpfen

Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler appellierte in seiner politischen Einordnung an die Gewerbler, den flexiblen Arbeitsmarkt zu verteidigen. Dieser sei ein Erfolg: «Wir haben Gott sei Dank eine tiefe Jugendarbeitslosigkeit.» Die junge Generation habe eine Perspektive. «Deshalb lohnt es sich, dafür zu kämpfen», so Bigler. Er erinnerte insbesondere an die Regulatorien. Ob jemand wisse, fragte er ins Publikum, aus welchem Jahr das aktuell gültige Arbeitsgesetz stamme. Die richtige Antwort: 1966. «Es atmet noch den Geist des industriellen Zeitalters der Fünfziger- und Sechzigerjahre», sagte Bigler. Dies entspreche nicht mehr den heutigen Arbeitsmarktgegebenheiten. «Der Konflikt ist vorprogrammiert. Wir wollen anders arbeiten.»

Science Fiction wird Realität

Was alles anders werden könnte, zeigte Thomas Straubhaar, Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg auf. «Die Digitalisierung ist bei weitem nicht nur ein technologisches Phänomen», so Straubhaar. Der Megatrend verändere die Gesellschaft auch kulturell, sozialökonomisch, oder kurz gesagt: komplett. Die Digitalisierung sei weit mehr als nur «eine alte Welt mit Internet­anschluss». Seine These «Science Fiction wird Realität» belegte der Professor mit diversen Beispielen, die zum Nachdenken anregten. Eines davon: «Reproduktion durch Sex wird in der Zukunft als Risiko für die Kinder betrachtet.» Als Hintergrund gab Straubhaar an, dass die Fortpflanzung schliesslich auch durch künstliche Befruchtung und dabei unter perfekten Rahmenbedingungen erfolgen könne.

Digitalisierung und Handwerk

«Der grösste Hotelbetreiber der Welt kommt nicht aus dem Tourismus. Er hat gar keine Ahnung von Tourismus», so Straubhaar über Airbnb. Das gleiche Prinzip bei Uber und Amazon. Nicht dank Insiderkenntnissen der Branche, sondern dank einer digitalen Lösung, einem Algorithmus, sei es gelungen, ganze Branchen zu verändern. «Was heute Daten sind, waren früher Waren.» Damit versuchte Straubhaar ein Bild zu vermitteln, wie tiefgreifend die Veränderungen sein könnten.

Am Ende des Referats fragte jemand aus dem Publikum, was Grosseltern ihren Enkeln raten sollen. Straubhaars Antwort: «Pushen Sie Ihre Kinder ins Handwerk.» Das Handwerk sei vor der Digitalisierung geschützt, da es sich für viele manuelle Tätigkeiten gar nicht lohne, einen Roboter zu programmieren.

Adrian Uhlmann

www.sgv-usam.ch/klosters

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