Publiziert am: 18.02.2022

Sorgen, aber keine Panik

STROMVERSORGUNG – Steht die Schweiz vor einer Strommangellage? Ja – das ist ein konkretes Bedrohungs­szenario. Ist die Situation ausweglos? Nein – denn noch hat das Land Zeit, Massnahmen zur Versorgungs­sicher­heit einzuleiten.

Die aufziehende Strommangellage – sie ist immer häufiger Thema in den Medien. Die wirtschaftliche Landesversorgung hat den Unternehmen auch schon empfohlen, Massnahmenpläne für eine solche Situation zu erarbeiten. Und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat schon seit Langem den Blackout als wichtigste Bedrohung für die Schweiz identifiziert – weit vor Pandemien, Cyberattacken und Terrorismus.

«Wenn der Strom in Deutschland oder Frankreich knapp wird, kann die Schweiz nicht auf Importe zurückgreifen.»

Mit der Energiestrategie 2050 und dem darin enthaltenen Neubauverbot für neue Kernkraftwerke müssen etwa 30 Prozent der Stromproduktion ersetzt werden. Zudem wird die Stromversorgung auch innerhalb der Europäischen Union in absehbarer Zukunft ähnlich knapp wie jene der Schweiz. Deshalb führt die Devise der Energiestrategie, «Versorgungssicherheit im Europäischen Kontext», nicht weiter. Wenn der Strom in Deutschland oder Frankreich knapp wird, kann die Schweiz ganz offensichtlich nicht auf Importe zurückgreifen. Die fehlenden Verträge mit der EU sind ein weiteres Problem.

Energiestrategie 2050

Weiter ist es eine Tatsache, dass die Schweiz immer mehr Strom einsetzt. Aus energie- und klimapolitischer Sicht ist das eine gute Nachricht. Elektrischer Strom ist meist wirkungseffizienter als andere Energieformen. Und dann ist er beim Schweizer Strommix auch noch weitgehend frei von CO2. Mehr Strom im Einsatz heisst also mehr Klimaschutz und mehr Energieeffizienz. So weit, so gut.

Nimmt man diese Fakten zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Die Nachfrage nach Strom steigt; die Produktion von Strom stagniert und nimmt langfristig ab. Zusammengefasst ergibt das die Aussicht auf eine Strommangellage.

Die Energiestrategie 2050 hatte versprochen, auf der einen Seite den Stromverbrauch zu stabilisierenund auf der anderen die Produktion zu erhöhen. Letzteres sollte namentlich mit dem Ausbau der neuen erneuerbaren Energien geschehen. Die Strategie sah aber auch vor, dass zur Not einige Gasgrosskraftwerke aufgebaut werden könnten.

Hinter Versprechen zurückgefallen

Die Energiestrategie 2050 ist aber deutlich hinter ihr Versprechen zurückgefallen. Der Ausbau der neuen erneuerbaren Energien fällt zurück – vor allem wegen der komplizierten Bewilligungs- und Bauverfahren. Technologieentwicklungen verlaufen nur noch schleppend – die massive Subventionierung verzögert die Entwicklung günstiger, skalenfähiger Anwendungen.

Und auch auf der Nachfrageseite werden kaum Anreize gesetzt. Und ja: Gasgrosskraftwerke würden Strom liefern. Aber sie sind teuer und klimapolitisch kaum zu verantworten.

In den letzten Monaten ist aber einiges in Bewegung gekommen. Das Energiedepartement schickte eine Vorlage zur Korrektur einzelner Anreize aus der Energiestrategie ins Parlament. Dieser sogenannte «Mantelerlass» wird nun beraten. Der Schweizerische Gewerbeverband sgv setzt sich vor allem für den Technologiewettbewerb und für Energieeffizienzprogramme für Unternehmen ein. Das gleiche Departement hat auch schon eine Vernehmlassung eröffnet, welche Planungs- und Bauvorschriften abbauen und mehr steuerliche Anreize für die Stromproduktion und den -einsatz einführen will. Auch das ist gut.

Ohne Strom droht der Kollaps

Die Politik hat also den Ernst der Lage erkannt. Sie handelt auch. Sie ist sogar bereit, das Neubauverbot von Kernkraftwerken infrage zu stellen, wie zuletzt die FDP-Delegiertenversammlung vom 12. Februar aufgezeigt hat. Denn eines ist klar: Ohne Strom kollabieren Gesellschaft, Wirtschaft und Klimaschutz. Aber noch ist nichts kollabiert. Noch kann die Schweiz bauen.

Henrique Schneider, Stv. Direktor sgv

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