Publiziert am: 13.12.2019

Unrechtmässige Macht

KANTONALE KONFERENZEN – Die Macht vieler kantonaler Konferenzen ist demokratisch nicht legitimiert. Dennoch massen sich hier Chefbeamte Kompetenzen an, die ihnen nicht zustehen.

Die Rolle der kantonalen Konferenzen sollte der informelle Austausch zwischen Kantonen sein. Doch im Laufe der Zeit hat der Wunsch nach Vereinheitlichung und Harmonisierung die Oberhand gewonnen. In manchen Fällen macht das Sinn, in anderen zwingt es Kantone, aber auch zahlreiche Interessengruppen, ihrer grundlegenden Strategie zuwiderzuhandeln.

Die Macht dieser Konferenzen ist bedeutend. Die Beschlüsse zur Vereinheitlichung und Harmonisierung beschränken sich nicht immer auf einfache Richtlinien, sondern besitzen Gesetzeskraft oder sind zumindest verbindlich. Das aussagekräftigste Beispiel ist zweifellos die Schweizerische Steuerkonferenz (SSK) (vgl. auch Artikel «Ohne demokratische Legitimation»).

Rolle des Gesetzgebers angemasst

Die Schweizerische Steuerkonferenz (SSK) existiert seit 1919 und ist gewissermassen ein Organ der Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK). Ziel der SSK ist es, Informationsaustausch zu gewährleisten und die Kontakte zwischen den kantonalen Steuerverwaltungen zu erleichtern.

Mit der Zeit hat sich die SSK jedoch immer mehr von ihrem informellen Charakter entfernt und sich quasi gesetzgeberische Kompetenzen und eine Art verfassungsrechtliche Legitimität gegeben. Wie bereits Rolf Büttiker, ehemaliger Solothurner FDP-Ständerat und Vorstandsmitglied des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv, anführte, mischt sich die SSK «zunehmend in heikle politische Bereiche ein und versucht, mit steuerrechtlich weitreichenden Weisungen zu legiferieren, obwohl sie keinen Auftrag und keine Legitimation hierfür hat». Die von Büttiker eingereichte Motion («Rückführung der Tätigkeiten der Schweizerischen Steuerkonferenz auf die informelle Ebene») forderte, den informellen Charakter der SSK wiederherzustellen und diese unerwünschte regulatorische Dynamik zu beenden.

Zahlreiche Kreisschreiben der SSK wurden tatsächlich Vorschriften oder Gesetzen gleichgestellt. Der neue Lohnausweis und die Berechnung der Vermögenssteuer auf Wertpapiere waren Gegenstand von Kreisschreiben: Das war im Grunde genommen der Funke im Pulverfass. Denn die Vorgehensweise der SSK umgeht die ordentliche Vernehmlassung für Verbände und andere betroffene Interessengruppen, so dass Entscheidungen mit quasi rechtlicher Tragweite nicht nur der Zuständigkeit des Bundesrats, sondern auch des Parlaments entzogen wurden. Die Motion wurde jedoch abgeschrieben.

Büttikers Forderung bleibt aktuell

Ist die SSK heute, zehn Jahre nach Einreichung dieser Motion, wieder auf die informelle Ebene zurückgekehrt? Nicht wirklich. Die grossen Wirtschaftsorganisationen und die SSK haben beschlossen, den Dialog untereinander zu intensivieren. Es finden zwei Treffen pro Jahr statt. Aber bei diesen Treffen werden hauptsächlich diplomatische Standpunkte ausgetauscht, und nur selten werden bei der Ausarbeitung von Kreisschreiben Ansichten der Wirtschaftsakteure wirklich berücksichtigt. Ständige Reibungspunkte: der Lohnausweis oder auch der Fahrkostenabzug für Geschäftsfahrzeuge. Die Forderung in der Motion Büttiker bleibt also aktuell. Die SSK sollte keine verbindlichen Kreisschreiben oder Empfehlungen erlassen.

Weitere Beispiele gefällig?

Doch die SSK ist bei Weitem kein Einzelfall. Weitere Beispiele, wie sich Beamte Kompetenzen an­massen, die ihnen nicht zustehen, sind rasch gefunden. Die Schweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK) etwa: Sie ist ein Zusammenschluss der Vorsteherinnen und Vorsteher der für die Berufsbildung zuständigen Ämter für Berufsbildung der Kantone und des Fürstentums Liechtenstein. Sie ist eine Fachkonferenz der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und gibt ebenfalls Empfehlungen und Richtlinien heraus. Aus Sicht der Berufsverbände handelt die SBBK nicht immer positiv und gibt zwingende Richtlinien heraus. Im Allgemeinen bevorzugen die Berufsverbände Lösungen auf nationaler Ebene vor Lösungen und Abkommen im Rahmen der SBBK.

Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) ist ein weiteres Beispiel: Sie verfolgt das Ziel, die Zusammenarbeit zwischen den Kantonen, mit dem Bund und wichtigen Organisationen aus dem Gesundheitsbereich zu fördern. Die GDK hat eine starke Stellung im Gesundheitssektor und greift aktiv in die Gesundheitspolitik ein.

Ein aktuelles Beispiel für einen verbindlichen Eingriff von Seiten der GDK ist die Finanzierung der ambulanten und stationären Leistungen. Die Krankenkassen müssen die ambulanten Leistungen bezahlen, und die Kantone müssen die Hälfte der stationären Leistungen tragen.

Dies schafft falsche Anreize. Um diese zu beseitigen, will die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) einen einheitlichen Verteilschlüssel für die Finanzierung der ambulanten und stationären Leistungen einführen. Da es um viel Geld geht, nimmt die GDK natürlich Einfluss – und trägt zum Widerstand der Kantone bei.

Natürlich gehen nicht alle kantonalen Konferenzen so weit wie die SSK oder die GDK. Die Befugnisse, die sich einige verleihen, schränken jedoch den Handlungsspielraum zahlreicher Interessengruppen ein, angefangen zum Teil bei den Kantonen selbst.

Alexa Krattinger, Ressortleiterin sgv

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