Publiziert am: 24.01.2020

Wackliger «Kompromiss» kippt

BVG-REFORM – Mit den Baumeistern, Swiss Retail und Arbeitgeber Banken lehnen nun auch eigene Mitglieder des Arbeitgeberverbands die Kungelei mit den Gewerkschaften offen ab. Die Verbände fordern eine «mehr­heits­fähige» BVG-Reform – «ohne system­fremde und teure Umverteilung».

Kurz vor Weihnachten hat Bundesrat Alain Berset den so genannten «Kompromiss» – also das vom Arbeitgeberverband unterstützte Gewerkschaftsmodell zur BVG-Reform – in die Vernehmlassung gegeben. Seither ist die breite Kritik an diesem teuersten aller Lösungsansätze keineswegs verstummt; im Gegenteil: Der Chor der Gegner wird täglich lauter.

Niedriglöhner müssten bluten

Einziger Lichtblick in der Vernehmlassungsvorlage ist die vorgeschlagene Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf 6,0 Prozent. Bereits die «klassischen» BVG-Kompensationsmassnahmen sind aus Sicht des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv und etlicher seiner Berufsverbände aber inakzeptabel. Denn es wird vorgeschlagenen, den Koordinationsabzug, der heute bei 24 885 Franken liegt, auf die Hälfte zu senken. Dies würde die Pensionskassenbeiträge im Niedriglohnbereich überdurchschnittlich stark erhöhen. Da dieser Bereich unserer Wirtschaft besonders sensibel auf Kostensteigerungen reagiert, ist das Risiko hoch, dass ein solcher Eingriff zur Streichung oder zur Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland führen würde.

«Gegen eigenen Dachverband»

Doch nicht nur der sgv, auch viele andere Akteure ebenso wie Medien lehnen die von Berset übernommenen Vorschläge der Gewerkschaften nach wie vor ab. So kommentierte etwa die NZZ unter dem Titel «Das Rentenexperiment der Arbeitgeber geht schief»: «Der angeblich historische Rentenkompromiss der Arbeitgeber mit den Gewerkschaften hat weiter an Glanz verloren.» Der Hintergrund: Neben dem sgv – er hatte sich von jeher gegen den Vorschlag der Gewerkschaften und des SAV ausgesprochen – lehnen nun auch Banken, Baufirmen und Detailhändler den Plan ab und haben sich «publikumswirksam gegen den Vorschlag ihres eigenen Dachverbands ausgesprochen». Die einzige Konzession der Gewerkschafter scheine darin zu bestehen, so der maliziöse Kommentar in der NZZ, «dass sie nicht gleich die Abschaffung der zweiten Säule verlangen».

Für «mehrheitsfähige Reform»

Inzwischen haben sich der Schweizerische Baumeisterverband, Swiss Retail Federation und Arbeitgeber Banken in der «Allianz für eine mehrheitsfähige Reform der Beruflichen Vorsorge» zusammengeschlossen. Ihr Ziel, Mitte Januar bekanntgegeben: die «dringend nötige Reform mehrheitsfähig machen». Der von den Gewerkschaften und dem SAV geprägte Reformvorschlag des Bundesrats sei «aufgrund der vorgeschlagenen Einführung eines Umlageverfahrens und der damit verbundenen Vermischung der Säulen aus Sicht der Allianz nicht mehrheitsfähig».

Baumeister, Detailhändler und Banken begrüssen die Senkung des Umwandlungssatzes auf 6,0 Prozent, wehren sich aber gleichzeitig – gleich wie der sgv – gegen eine Vermischung der Säulen und eine Rentenkompensation nach dem Giesskannensystem. Der von ihnen vorgeschlagene Weg halte «an der bewährten Trennung zwischen der 1. und 2. Säule fest» und führe keine «systemfremde und teure Umverteilung ein», was ihn «im Gegensatz zum bundesrätlichen Vorschlag mehrheitsfähig» mache. Er verzichte damit «auf Elemente, die vor dem Volk erst vor kurzem bei der Altersreform 2020 durchgefallen sind».

«Keine falschen Hemmungen»

Kurz und gut: Ein halbes Jahr nach der Lancierung des so genannten «Kompromisses» ist dieser in ärgster Schieflage, wenn nicht gar klinisch tot. In nächster Zeit werden in Parteien und Verbänden weitere Gespräche darüber geführt, wie eine dringend nötige Reform des BVG tatsächlich realisiert werden kann. «Keine falschen Hemmungen», rät die NZZ: «Für die Debatte im Parlament ist der Widerstand aus der Wirtschaft befreiend. Die Parteien brauchen sich keine falschen Hemmungen aufzuerlegen, wenn sie den ohnehin wackligen Kompromiss abändern.»En/Gf

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