Publiziert am: 20.03.2020

Wer regiert die Schweiz?

Vor 10 Jahren noch lag die Schweiz auf Platz 16 im Ranking des Ease-of-doing-business-Index der Weltbank. Mittlerweile sind wir auf Platz 38 zurückgefallen und liegen nun hinter Deutschland, Österreich und Frankreich.

Was ist der Grund dafür, wo doch landauf, landab Schweizer Politiker und Beamte öffentlich nicht müde werden, den Mittelstand unseres Landes zu loben und damit auch die KMU-orientierte Wirtschaftslandschaft als wichtigsten Pfeiler der Schweizer Erfolgsgeschichte zu nennen? Vordergründig sieht es danach aus, als wollten alle für «gute Rahmenbedingungen» sorgen, um Unternehmen gegenüber dem internationalen Wettbewerb zu unter­stützen.

So viel zur Theorie. In der Praxis stellt sich die Situation leider anders dar. Bisher sind auf die zahlreichen verbalen Bekundungen keine Taten gefolgt. Doch es reicht eben nicht, von Bürokratieabbau nur zu reden; man muss ihn auch umsetzen. Ein grundlegender Anfang wäre dann gemacht, wenn zwischen der Industrie, dem Gewerbe und der Exekutive ein Dialog in Gang kommen würde, der sich den anstehenden Herausforderungen stellen und die Probleme im kontinuierlichen Austausch gemeinsam in Angriff nehmen würde.

Im Folgenden ein leider aktuelles Beispiel, wie dieser Austausch gar nicht funktioniert hat, und für mich, in meiner Funktion als Präsident des Verbandes der Schweizerischen Lack- und Farbenindustrie und Mitglied der Gewerbekammer, eines der negativsten Beispiele einer Dialogverweigerung:

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat angekündigt, den Anhang 10 der Schweizer Konsumgüterverordnung anzupassen. Als betroffene Industrie haben wir dem Bundesamt geschrieben und auf die Herausforderungen und die möglichen Widersprüche dieser Regulierung aufmerksam gemacht. Wir baten um einen Informationsaustausch in Form eines Gespräches. Erst unmittelbar vor Inkrafttreten des Gesetzes wurde uns schriftlich mitgeteilt, dass es kein Interesse und keine Notwendigkeit gäbe, die Inhalte mit uns zu erörtern. Für das BLV war es offensichtlich ohne Relevanz, welche direkten und indirekten Auswirkungen das Gesetz für die betroffene Schweizer Industrie haben wird, ja, die Anfrage der Branche nach einem Dialog wurde schlichtweg ignoriert und arrogant beiseitegeschoben. Fazit: Das BLV hat den Alleingang in Europa verstärkt, ohne Rücksicht auf Verluste.

Um nochmals auf meinen Anfang zu kommen: Währendem andere Länder einiges unternehmen, um ihren Platz im Ranking des Ease-of-doing-business-Index zu halten oder sogar zu verbessern, wiegen sich viele Politiker und Beamte in der Schweiz im guten Glauben, nichts Konstruktives tun zu müssen, weil es uns ja gut geht. Die Tatsache, dass Bund, Kantone und Gemeinden ihre Ausgaben in knapp 30 Jahren mehr als verdoppelt haben (von 105 Mia. auf 216 Mia. in 2017) erklärt, weshalb – trotz anderslautender Aussagen – die Bürokratie in unserem Land laufend zunimmt. Selbst wenn das SECO die Regulierungskosten auf mittlerweile 10 Prozent von unserer Wirtschaftsleistung BIP veranschlagt, geht immer noch kein Aufschrei durch unser Land durch.

Leider muss ich feststellen, dass – zumindest was den Staatsapparat anbelangt – Parkinsons Gesetz anwendbar ist. Wie vom Soziologen Cyril Northcote Parkinson so anschaulich beschrieben, ist Arbeit eine dehnbare Masse, deren Aufwand sich den personellen Ressourcen anpasst. Und je mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, desto mehr Regulierungen hat das zur Folge.

Viele Politiker müssen ernüchtert feststellen, dass sie zu wenig Handhabe haben, um der Verselbständigung des sogenannten Beamtentums wirksam entgegentreten zu können. Doch es kommt noch schlimmer. Anstatt alles dafür zu tun, um sich aus dieser misslichen Lage wieder zu befreien, wurde das Verordnungsveto, also die Chance, um überhaupt eine Notbremse ziehen zu können, vom Parlament abgeschmettert. Wo bleibt hier die Verantwortung der Politiker gegenüber dem Souverän, wo ihre Visionen für ein prosperierendes Land, wenn ausser Lippenbekenntnissen nur leere Wahlversprechen mit kurzer Halbwertszeit übrig bleiben? Wo bleibt hier der parlamentarische Wille, etwas zu ändern?

Oder anders gefragt: Wer regiert eigentlich die Schweiz?

* Lionel Schlessinger ist Inhaber und CEO der Monopol Colors und Präsident des Verbandes der Schweizerischen Lack- und Farbenindustrie.

www.vslf.ch

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