Publiziert am: 06.10.2017

Wie die Wirtschaft in den 1970ern

BUNDESFINANZEN – Bund und Kantone verfügen gar nicht über die Informationen, die sie bräuchten, um die Verwaltung sparsam zu führen, sagt der unabhängige Zürcher Unternehmer Philipp Weckherlin.

In unserer Bundesverfassung steht, dass staatliche Leistungen «wirtschaftlich» erfüllt werden müssen (Art 43a BV). Im gleichen Text (Art 126 BV) kann herausgelesen werden, was darunter zu verstehen ist: der Bund muss seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht halten. Mit anderen Worten ist davon auszugehen, dass Politik und Verwaltung für sich dann in Anspruch ­nehmen, wirtschaftlich zu arbeiten, wenn sie die Ausgaben und Einnahmen im Gleichgewicht halten. Nur: Wer seine Organisation auf dieser Logik abstützt, basiert seine Entscheidungen auf einer «Milchbüchlirechnung». Die wichtigsten Führungsmittel, um eine so grosse Organisation wie die öffentliche Hand nachhaltig wirtschaftlich zu führen, gehen verloren, insbesondere eine periodenabgegrenzte Erfolgsrechnung und die Bilanz.

Stiefkind von Politik 
und Verwaltung

Gerade die Bilanz des Staats, das heisst die Schulden, das Eigenkapital, die gesamten Vermögenswerte und damit die gesamte Kapitalbindung, ist ein vernachlässigtes Stiefkind von Politik und Verwaltung. Sie wird weder wahrheitsgemäss noch angemessen ausgewiesen (True und Fair) noch wird mit dieser geführt. Das heisst, wir kennen als Bürger den Wert unseres Genossenschafts-Anteils an der Eidgenossenschaft und damit auch den gesamten finanziellen Rahmen nicht. Und unseren Treuhändern in der Politik und Verwaltung geht es nicht anders. Sie haben keine Grundlage, um wirtschaftlich abgestützt nachhaltige Entscheide zu fällen.

Wer seine wirtschaftlichen Zahlen mit einem Milchbüchlein führt, kennt seine Kosten nicht und tut sich schwer bei Sparübungen. Denn er weiss gar nicht wo anfangen. Investitionen werden sodann zurückgestellt und über das Sortiment werden lineare Kostenkürzungen vorgenommen. Das Sortiment und die Leistungserstellung werden aber nicht systematisch hinterfragt – dazu fehlen die Zahlen.

Zu viel Kapital gebunden

Organisationen, welche die Bilanz ignorieren, neigen dazu, zu kapitalintensiv zu sein. Sie arbeiten mit einer unangemessen hohen eigenen Wertschöpfung und geben kaum Arbeiten an wettbewerbsfähigere Dritte ab – oft weil sie falsch rechnen. Zudem ist ihnen oft nicht bewusst, zu welchen Folgekosten es führt, wenn man zu viel Kapital im Betrieb gebunden hat. Viele KMU mögen sich noch daran erinnern, wie sie in den 1970er-Jahren gearbeitet haben, die grosse eigene Wertschöpfung und den Maschinen- und Fuhrpark, den sie, im Unterschied zu heute, selber betrieben haben, und welche Kosten dies verursacht hat.

Tatsache ist heute, dass Politik und Verwaltung am Thema Wirtschaftlichkeit in der Führung der öffentlichen Hand in etwa dort stehen, wo die Privatwirtschaft in den 1970er-Jahren gestanden hat. Jeder Unternehmer aber weiss, dass damit im 2017 weder ein KMU noch ein Grosskonzern nachhaltig wirtschaftlich geführt werden kann.

Gewaltige stille Reserven

Bund und Kantone haben über die Jahrzehnte einen sehr kapitalintensiven Betrieb mit hoher interner Wertschöpfung aufgebaut. Abgesehen davon, dass damit viel zu viel Steuersubstrat über Jahrzehnte angespart wurde, werden Kosten vor allem in der Leistungserstellung in Kauf genommen, die dem von der Bundesverfassung geforderten Prädikat «wirtschaftlich» kaum jemals genügen. Solange wie die öffentliche Hand weder ihre eigene Wertschöpfung noch Kapitalbildung hinterfragt – und dies kann sie erst, wenn sie die dazu notwendigen Führungs­instrumente einsetzt –, schlummern dort noch gewaltige stille Reserven und ebensolche Sparpotenziale.

Philipp Weckherlin

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