Publiziert am: 21.10.2022

«Wir alle sind Wirtschaft!»

FABIO REGAZZI – Die nationalen Dachverbände der Wirtschaft und Landwirtschaft lancieren im Hinblick auf die Wahlen 2023 eine gemeinsame «Supporter-Kampagne». «Wir wollen das Unternehmertum in der Bundes­politik wieder stärken», erklärt der sgv-Präsident im Interview.

Schweizerische Gewerbezeitung: Der Schweizerische Gewerbeverband sgv, economiesuisse, Arbeitgeberverband und Bauernverband wollen sich im Hinblick auf die nationalen Wahlen stärker engagieren. Weshalb?

Fabio Regazzi: Der sgv steht und kämpft für eine Unternehmens- und vor allem KMU-freundliche Politik. Damit diese gelingt, muss der wichtigste ordnungspolitische Grundsatz eingehalten werden: die auf lange Frist ausgelegte Arbeitsaufteilung zwischen dem Staat und den Privaten.

Einige Politikbereiche sind besser in der Verantwortung des Staates aufgehoben. Andere kommen ohne den Staat besser aus und können von Privaten in privater Initiative gelöst werden. In der Ordnungspolitik steht im konkreten Fall immer die Eigenverantwortung der Menschen vor dem staatlichen Handeln.

Genau dieses ordnungspolitische Konzept ist in der Schweizer Politik zunehmend durch die politische Agenda von Links-Grün gefährdet. Diese sieht immer mehr Staat und Regulierung vor, und dies zu Lasten der Eigenverantwortung. Das müssen wir bekämpfen, und deshalb haben wir uns zusammengeschlossen, um dem entgegenzutreten.

Und hierzu braucht es diese Allianz?

Ja, denn gemeinsam sind wir stärker. Wir wollen das Unternehmertum in der Bundespolitik wieder stärken. Die Stimme der Wirtschaft muss im politischen Diskurs wieder mehr Gewicht bekommen. Wenn wir als bürgerliche Kräfte zusammenstehen, können wir die Dogmatik und Deutungshoheit von Links-Grün brechen.

Ich bin überzeugt, dass dies gelingen kann. Das haben wir mit dem Abstimmungssieg zur AHV21 bewiesen. Mehr noch: Es ist ein Beispiel, dass wir auch Siege bei Themen erringen können, die viele als vermeintlich «linke» Themen wahrnehmen, respektive bei denen Links-Grün eine starke Deutungshoheit besitzt.

Geht es bei der Allianz auch darum, das Bewusstsein für – grob gesagt – «die Wirtschaft» zu schärfen?

Ja, klar. Schliesslich sind wir alle Wirtschaft. Wir alle verdienen unseren Lebensunterhalt, konsumieren und bezahlen Steuern, damit unser Sozialstaat finanziert werden kann. Das ist Wohlstand, und den erreichen wir nur mit einer gesunden Wirtschaft – und alle gemeinsam. Die links-grüne Haltung, «die Wirtschaft» sei etwas Böses, ist realitätsfremd und spaltet zudem die Gesellschaft. Das können wir uns nicht leisten.

Was sind die konkreten Inhalte der Kampagne?

Die Verbandskampagne startet mit speziellen Plakat-, Inserate- und Social-Media-Aktionen. Dabei soll der Blick für wirtschaftliche Themen geschärft werden. Wir fokussieren uns vorerst auf sechs Themenfelder, für die wir uns gemeinsam einsetzen werden.

Erstens: für Stabilität und Sicherheit für alle. Sie sind für unser Land und unsere Einwohner von grösster Bedeutung. Zweitens: für eine erfolgreiche Wirtschaft, welche die beste Garantie für gesunde Sozialwerke ist. Drittens: für einen hohen Ausbildungsstandard. Er ist ein Garant für eine sichere Zukunft. Viertens: für echte Nachhaltigkeit dank neuen Ideen. Den Weg zur Nachhaltigkeit erreichen wir nur durch Innovationsgeist und in einem Umfeld, in dem alle Kräfte aus Wirtschaft und Landwirtschaft ohne Tabus gemeinsam Ideen entwickeln. Fünftens: für Ernährungssicherheit dank einer fortschrittlichen Landwirtschaft. Und sechstens: für genügend Energie für alle. Energie ist der Motor unserer modernen, vernetzten Gesellschaft. Wenn sie fehlt, geraten wir alle in sehr grosse Schwierigkeiten.

In einer späteren Phase werden thematische Fragen in den Vordergrund gerückt.

Werden im Rahmen der gemeinsamen Kampagne auch Empfehlungen fĂĽr Kandidaten oder Parteien ausgegeben?

Nein. Es geht vor allem darum, die Wähler für die wirtschaftlichen Themen in diesem Land zu sensibilisieren. Laut einer Nachwahlanalyse der SRG haben 2019 nur fünf Prozent der Bürger nach wirtschaftlichen Kriterien abgestimmt. Diese Zahl macht nachdenklich.

Hier möchte ich noch anfügen: Der sgv wird wie bis anhin sein Parlamentarier-Rating durchführen, das zeigt, welche Volksvertreter besonders KMU-freundlich sind. Wir analysieren dabei das Abstimmungsverhalten der einzelnen Parlamentsmitglieder während der gesamten vergangenen Legislatur. Die Resultate werden an der Gewerblichen Winterkonferenz in Klosters im Januar präsentiert. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Spitzenplätze in diesem Rating von sgv-Vertretern eingenommen werden.

Zur Einordnung: Der sgv ist mit drei Vorstandsmitgliedern aus den drei verschiedenen bürgerlichen Parteien direkt im Parlament vertreten. Zudem sitzen in der Gewerbekammer, also unserem sgv-eigenen Parlament, welches für die Parolenfassung zuständig ist, weitere 19 Mitglieder aus dem National- und Ständerat. Mit dieser starken Präsenz in der Bundespolitik bringt der sgv als initiativ- und referendumsfähiger Verband auch viel politisches Kapital in die neue bürgerliche Allianz ein.

Die nationalen Wahlen finden erst in etwa einem Jahr statt. Was ist das nächste wichtige Geschäft, das die Politik anpacken muss?

Die Reform der 2. Säule der Altersvorsorge. Hier besteht Dringlichkeit – das ist auch von links nicht bestritten. Das Parlament muss diese Reform nun so rasch als möglich ausarbeiten. Wichtig ist: Es muss eine mehrheitsfähige Vorlage werden, welche auf massvollen Korrekturen aufbaut und den Werkplatz Schweiz nicht weiter belastet.

Deshalb spricht sich der sgv dezidiert gegen zusätzliche Lohnprozente zur Finanzierung der Reform aus. Lösungen in der Altersvorsorge müssen wirtschafts- und gesellschaftspolitisch tragbar sein.

Gerade in der Frage der Reform der 2. Säule sind die Verbände nicht einer Meinung, Stichwort «Sozialpartnerkompromiss». Kommt hinzu, dass vor allem bei Fragen des Freihandels sich die Wirtschaft und Bauern vielfach nicht einig sind. Kann die Allianz gut gehen?

Ich bin da sehr zuversichtlich. Es liegt in der Natur der Sache, dass die vier Dachverbände bei einzelnen politischen Geschäften teilweise leicht unterschiedliche Meinungen haben. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

Doch man muss sehen: Es geht bei dieser Allianz um die grossen politischen Linien. Die gemeinsamen Interessen sind wesentlich breiter als die Differenzen in einzelnen Sachfragen. Mein Parteikollege Markus Ritter, Präsident des Bauernverbands, hat das an der gemeinsamen Pressekonferenz schön gesagt. Er meinte, dass in den letzten zwei Jahren gegenseitig die Erkenntnis gereift sei, dass wir viel mehr Gemeinsames als Trennendes hätten und gut beraten seien, enger zusammenzuarbeiten. Genau so ist es!

Der Zugang zur Pressekonferenz wurde vorgängig verunstaltet. Auf dem Boden vor dem Eingang sprayten Unbekannte den Schriftzug «Geld und Gülle» auf den Boden. Polizisten bewachten anschliessend den Aussenbereich. Was sagen Sie dazu?

Es ist bedenklich, dass es offenbar Kräfte gibt in diesem Land, denen schon nur die Ankündigung eines bürgerlichen Bündnisses Grund genug ist, zu Provokationen dieser Art zu greifen. Solchen Einzelaktionen dürfen wir deshalb nicht zu viel Gewicht beimessen.

Wichtiger ist: Die Schweiz kommt nicht darum herum, einen Dialog über die Leistungen der Wirtschaft zum Erhalt ihrer sozialen Errungenschaften zu führen. Und genau dazu will unsere breite Allianz beitragen. Wir wollen der Schweiz wieder Perspektiven aufzeigen – darum geht es uns.

Was sind weitere Herausforderungen fĂĽr die Schweiz?

Die fiskalische Attraktivität der Schweiz nimmt bereits seit einigen Jahren ab. Das ist eine Tatsache, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen. Kommt dazu: Die Staatsverschuldung bleibt hoch. Im Nachgang zu den wirtschaftspolitischen Abfederungsmassnahmen zur «Corona-Krise» ist die Verschuldung des Staates und einiger Sozialwerke explodiert. Die Strukturreformen, die eigentlich das Wirtschaftswachstum ankurbeln sollten, blieben aus.

«Wenn der Motor unseres Wohlstands, die Wirtschaft, ausfällt, leidet die ganze Gesellschaft.»

Ganz wichtig ist weiter, dass die Regulierungskosten für KMU massiv reduziert werden. Der sgv setzt sich hierfür schon lange ein und wird dabei von seinen Partnerorganisationen stark unterstützt. Werden Unternehmen von Regulierungskosten entlastet, entspricht das einem Wachstumsprogramm, weil Geld und unternehmerische Kapazitäten dadurch frei werden.

Ausserdem geraten wir auch vom Ausland her vermehrt unter Druck. Ein Beispiel dafĂĽr ist die OECD-Mindeststeuer. Der sgv wird sich dafĂĽr einsetzen, dass diese Steuer niemals auf die KMU ausgedehnt wird.

Aus all diesen Gründen ist es an der Zeit, auch in der Politik wirtschaftlich und unternehmerisch zu denken. Wenn der Motor unseres Wohlstands, die Wirtschaft, ausfällt, leidet die ganze Gesellschaft. Und ich kann es nur nochmals betonen: Wir alle sind Wirtschaft! Diese Botschaft muss von der Bevölkerung gehört werden, insbesondere auch im Hinblick auf die Wahlen im nächsten Jahr. Die Allianz hilft dabei.

Interview: Rolf Hug

www.sgv-usam.ch/mk-20221007

www.perspektiveschweiz.ch

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