Publiziert am: 01.10.2021

Zertifikat bringt neue Probleme

PANDEMIE – In Restaurants, Kinos, Fitnesscentern und für Events gilt seit zwei Wochen die Pflicht, ein Zertifikat vorzuweisen. Der Schweizerische Gewerbeverband hat die Ausweitung der Zertifikatspflicht stets kritisiert. Erste Auswirkungen auf betroffene Branchen zeigen: Die Befürchtungen waren begründet.

Seit dem 13. September muss, wer in der Schweiz den Innenraum eines Restaurants oder Fitnesscenters betreten, einen Film im Kino sehen oder einen Event besuchen will, ein Zertifikat vorweisen. 3G heisst das Zauberwort: Geimpft, genesen oder getestet. Wer nichts davon vorweisen kann, bleibt aussen vor und wird vom öffentlichen Leben teilweise ausgeschlossen. Das kann man richtig finden oder nicht. Der Schweizerische Gewerbeverband sgv lehnt die Ausweitung der Zertifikatspflicht ab, setzt sich aber für die Beibehaltung der Gratistests ein. Der Bundesrat will, dass Personen, die bereits eine Impfdosis erhalten haben, sich bis Ende November 2021 weiterhin gratis testen lassen können, Ungeimpfte nur noch bis zum 11. Oktober.

Umsatzrückgänge entschädigen

Im Gastgewerbe präsentiert sich die Situation je nach Region sehr unterschiedlich, wie der Branchenverband GastroSuisse mitteilt. Betriebe in städtischen Gebieten seien mitunter weniger stark von den Massnahmen betroffen als jene auf dem Land. «Bei vielen Betrieben ist der Umsatz schon in den ersten Tagen massiv eingebrochen», erklärte Casimir Platzer, Präsident von GastroSuisse. «Täglich erhalten wir Rückmeldungen von konsternierten Mitgliedern», sagte Platzer. Für den Verband ist denn auch klar: «Für die zusätzlichen Umsatzrückgänge müssen weitere Ausfallentschädigungen fliessen.» Und der Bund müsse ein Ausstiegsszenario definieren.

Probleme auch für Fitnesscenter

Die Fitnessbranche leidet ebenfalls unter der Zertifikatspflicht. Claude Ammann, Präsident Verband Schweizer Fitness- und Gesundheitscenter, befürchtet einen enormen Umsatzverlust. Er begründet dies damit, dass «unsere Kunden ihre Abos künden und zu den Grosskonzernen wechseln». Die Konkurrenz bläst ins gleiche Horn: Wie der Schweizer Fitnessverband IG Fitness schreibt, bringe die Ausweitung der Zertifikatspflicht auf Fitnesscenter Probleme mit sich. Mitarbeiter würden angefeindet, unter Druck gesetzt oder beschimpft, sagte Roger Erni, Geschäftsführer von swiss active – IG Fitness Schweiz gegenüber «20 Minuten». IG Fitness Schweiz lehne die Zertifikatspflicht nicht ab, fordere aber vom Bund finanzielle Entschädigung für den Mehraufwand, der damit einhergehe.

Auch die Hotellerie leidet, wie Zahlen der Universität St. Gallen belegen. Demnach gingen die Umsätze in der ersten Woche nach Inkrafttreten der Zertifikatspflicht um 18,3 Prozent zurück. In Hotels müssen Gäste für den Besuch des Restaurants oder einer Wellnessanlage, nicht aber für die Übernachtung, ein Zertifikat vorweisen. Dennoch zeigen die Zahlen: Die Lust, auswärts zu übernachten, ist ganz offensichtlich bei vielen wieder gesunken.

Viele Fragen – kaum Antworten

Was also tun? Exponenten des Schweizerischen Gewerbeverbands – sgv-Präsident Fabio Regazzi (Nationalrat Die Mitte/TI), Vizepräsidentin Daniela Schneeberger (NR FDP/BL) und Vorstandsmitglied Diana Gutjahr (NR SVP/TG) – haben zu Wochenbeginn in der nationalrätlichen Fragestunde nach Antworten zum Umgang mit der Zertifikats­pflicht gesucht; mit mässigem Erfolg. Regazzi fragte nach den Bedingungen für eine allfällige Aufhebung der Zertifikatspflicht vor dem 24. Januar 2022, Scheeberger wollte mehr über die Kriterien für den Abbruch der Übung per Mitte November erfahren und Gutjahr fragte nach Verhältnismässigkeit und Ausgewogenheit der Massnahmen – und nach der Begründung für die Ausweitung der Zertifikatspflicht auf die Innengastronomie, Zoos und Fitness-Center, «wenn die Zahlen des BAG selber aussagen, dort fänden praktisch keine Ansteckungen statt».

In seiner summarischen Antwort ging der Bundesrat kaum auf diese konkreten Fragen ein und verwies stattdessen auf die durch die Delta-Variante des Coronavirus «stark veränderte Lage», die mögliche Überlastung der Spitäler aufgrund des bald kälteren Wetters und die Frage der «Durchimpfungsrate» …

Tatsache ist: Derzeit sind die Infektionszahlen weiter rückläufig, die Intensivstationen nicht voll ausgelastet und bloss rund drei von zehn Betten mit Covid-19-Patienten belegt. Auch in Sachen Bettenkapazität verwies der Bundesrat auf eine entsprechende Frage von Regazzi nur auf die Kompetenz der Kantone.

Intervention beim SBFI

Für Ärger sorgte dieser Tage auch die Ungleichbehandlung der Bildungsgänge der Höheren Berufsbildung gegenüber den Hochschulen in der aktuellen Covid-Verordnung. In einem gemeinsamen Schreiben fordern der Schweizerische Gewerbeverband und der Arbeitgeberverband Staatssekretärin Martina Hirayama vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) auf, dem Bundesamt für Gesundheit doch bitteschön endlich «die Gleichwertigkeit der formalen Abschlüsse auf Stufe Tertiär A und B» in Erinnerung zu rufen. Hintergrund dieser Intervention: Die Hochschulen geniessen eine «Wahlmöglichkeit», die Zertifikatspflicht einzuführen – und schaffen sich damit eine Übergangszeit, die den Bildungsgängen der Höheren Berufsbildung verwehrt bleibt.

Der Bundesrat seinerseits hat derweil zu Wochenbeginn den Abstimmungskampf für das Covid-Gesetz eröffnet, das am 26. November vors Volk kommen wird. Die Abstimmung vom Juni hat die Regierung gewonnen. Will sie auch im November obsiegen, steht ihr noch Arbeit ins Haus. Sehr viel Arbeit.En

vgl. auch «Die Meinung», Seite 2

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