Publiziert am: 15.09.2023

Fragen und Antworten

Revision Kartellgesetz – Der Bundesrat hat eine «kleine» Revision des Kartellgesetzes (KG) als Botschaft ans Parlament erlassen. Neben vielen «kleineren» Sachen will er den Begriff der Erheblichkeit stärken. Das sorgt für Fragen – und für Kontroversen.

Die Schweiz kennt das Modell einer kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle. Will sagen: Kartelle, d. h. Absprachen, sind grundsätzlich erlaubt – ausser sie schaden der Volkswirtschaft. Das juristische Instrument, mit der die Schädlichkeit überprüft wird, ist die Erheblichkeit.

Diese haben die Wettbewerbsbehörden aber weitgehend ausser Kraft gesetzt, indem sie eigenmächtig die Per-se-Erheblichkeit erfanden. Damit führten sie – gegen die gesetzliche Grundlage – ein Kartellverbot ein und kehrten zudem auch noch die Beweislast um. Nun geht es darum, das zu korrigieren. Welche Fragen tun sich hier auf?

Was ist das Problem in der aktuellen Rechtslage und -praxis?

Entgegen dem Willen des Gesetzgebers und der ökonomischen Logik werden heute Unternehmenskooperationen pauschal verurteilt. Insbesondere jene Kooperationen, die Kundinnen und Kunden besser stellen, Preise senken oder Innovationen vorantreiben, werden durch die Praxis der Wettbewerbsbehörde und der Gerichte stark entmutigt oder erschwert.

Weshalb ist die Erheblichkeits-prĂĽfung wichtig?

Es gibt verschiedene Formen der Kooperation unter Unternehmen, welche volkswirtschaftlich nützlich sind. Kooperationen können zum Beispiel tiefere Preise, bessere Versorgung, Angebotsvielfalt, Innovation, Bildung usw. hervorbringen. Gemäss der Bundesverfassung und dem Kartellgesetz greift die Wettbewerbsbehörde nur bei Fällen ein, wo Unternehmen kooperieren und dabei den Wettbewerb erheblich und nachteilig einschränken. In diesem Falle sind immer auch hohe Bussen auszusprechen.

Die aktuelle Praxis stellt jedoch sämtliche Kooperationen unter Generalverdacht. Das ist volkswirtschaftlich schädlich, denn im Zweifelsfall kooperieren Unternehmen nicht und lassen damit volkswirtschaftliche Potenziale ungenutzt.

Der Bundesrat will neu eine ErheblichkeitsprĂĽfung in Artikel 5 in jedem Fall vorsehen. Welche Gefahren gehen davon aus?

Keine. Die Erheblichkeitsprüfung ist Teil des Vollbeweises des KG. Erhebliche Kartelle werden weiterhin gebüsst. Im Sinne der Unschuldsvermutung ist es aber an den Wettbewerbsbehörden, den Vollbeweis zu erbringen, wenn sie Sanktionen verhängen müssen.

Führt die neue Regelung in Artikel 5 zur Verlängerung der Verfahren? Auch hier lautet die Antwort: Nein. Die Verfahren sind nach der Einführung der Praxis Elmex/Gaba nicht kürzer geworden. Die Verfahren werden vor allem wegen der langen Bearbeitungszeit im Bundesverwaltungsgericht in die Länge gezogen. Das hat mit der Überlastung des Gerichts zu tun, nicht mit der Überlastung der Wettbewerbskommission (Weko) oder des Sekretariats. Eine quantitative Prüfung der Erheblichkeit bedeutet einen geringen Mehraufwand für Sekretariat und Weko. Zudem: Die Effizienz der Sachbearbeitung darf in einem Rechtsstaat nie die Unschuldsvermutung aushebeln.

Wird die Schweiz mit dem neuen Artikel 5 weniger strikt bei Abreden z. B. Parallelimporte oder Direkteinkäufe aus dem Ausland? Auch hier: Nein. Es gibt keinen Grund für eine solche Vermutung. Bei erheblichen Einschränkungen wird das KG zugreifen. Zudem sind heute schon Direkt- und Parallelimporte kein Problem.

Verstösst der geänderte Artikel 5 gegen EU-Recht?

Nein. Die Schweiz hat die strikteste Kartellrechtspraxis der Welt. Die Schweiz kennt eine Missbrauchsgesetzgebung, sie will also Missbräuche verhindern und bestrafen. Die EU arbeitet hingegen mit einer Verbotsgesetzgebung. Aber selbst darin ist für den Europäischen Gerichtshof klar: Gefordert wird ein Vollbeweis und zwar für jeden Fall einzeln, dass ein Schaden eingetreten ist, und dass dieser Schaden erheblich ist. Konsequenterweise führt auch die EU eine entsprechende Analyse, die der Schweizer Erheblichkeitsprüfung, die bis Gaba/Elmex existierte, sehr nahe kommt.

Die heutige Praxis in der Schweiz ohne Nachweis der Erheblichkeit hat sich also vom EU-Recht abgekoppelt. Zum Beispiel: Im «Super Bock» Fall (C-211/22, Entscheid im Jahr 2023) hielt der Gerichtshof fest, dass eine vertikale Preisabrede nur sanktioniert werden kann, nachdem die gesamte Ökonomik des Einzelfalls – inklusive Schädlichkeit – geprüft worden ist.

Henrique Schneider,

Stv. Direktor sgv

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