Publiziert am: 19.04.2024

«Ohne Strom steht alles still»

LARS GUGGISBERG – «Das Stromgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung», sagt der Berner SVP-Nationalrat und plädiert für ein JA am 9. Juni. Es stärke kurz- bis mittelfristig die Ver­sorgungs­sicherheit – vor allem im Winter. Die Landschaft werde nicht mit PV-Anlagen und Windrädern zugepflastert.

Schweizerische Gewerbezeitung: Das Volk stimmt am 9. Juni über das Stromgesetz ab – auch Mantelerlass genannt. In einigen Sätzen: Worum geht es dabei im Kern, und weshalb ist ein Ja wichtig?

Lars Guggisberg: Die Schweizer Stimmbevölkerung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 ihren CO2-Ausstoss auf Netto-Null zu reduzieren. Das geht nur, wenn fossile Energieträger durch Strom ersetzt werden – im Verkehr, bei der Wärme, in der Industrie. Wenn die noch laufenden Kernkraftwerke in der Schweiz am Ende der Lebensdauer angelangt sind und vom Netz gehen müssen, wird ein wichtiger Teil der Stromproduktion wegfallen, der ersetzt werden muss. Dies wiederum führt zu einem massiv höheren Strombedarf. Ohne Strom steht nicht nur unser Alltag, sondern auch unsere Wirtschaft still.

Eine zuverlässige und bezahlbare Stromversorgung ist die Grundlage für unsere hohe Lebensqualität und unseren Wohlstand. Das vorliegende Stromgesetz löst nicht alle Probleme – es ist aber ein Schritt in die richtige Richtung. Es stärkt die Versorgungssicherheit, macht uns weniger abhängig vom Ausland und ermöglicht den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien in Einklang mit Landschaft und Umwelt. Deshalb braucht es am 9. Juni ein JA.

«das Gesetz schafft Leitplanken, wo Energieanlagen gebaut werden dürfen und wo nicht.»

Die Vorlage will die erneuerbaren Energien ausbauen. Um was für Projekte handelt es sich konkret, und welche Energieträger werden am stärksten ausgebaut?

Das Stromgesetz schafft bessere Rahmenbedingungen für den Zubau neuer Produktionsanlagen und die Erhöhung der schweizerischen Winterstromproduktion. Konkret ermöglicht es die Umsetzung von 16 Wasserkraftprojekten und von Solar- und Windprojekten von nationaler Bedeutung. Dabei schafft das Gesetz Regeln und Leitplanken, wo Energieproduktionsanlagen gebaut werden dürfen und wo nicht. Die erneuerbaren Energien sollen in Einklang mit Landschafts- und Umweltschutz ausgebaut werden.

Die Schweiz braucht dringend mehr Strom – Stichwort Dekarbonisierung. Wie viel zusätzlicher Strom soll mit diesem Gesetz in welchem Zeitraum produziert werden können?

Das Stromgesetz gibt verbindliche Ausbauziele für die erneuerbare Stromproduktion vor. Bis 2035 sollen dies zusätzlich 35 Terawattstunden (TWh) an Strom, bis 2050 45 TWh sein. Die Wasserkraft soll ihre Produktion um 6 TWh steigern.

Ist dieser Zubau realistisch? Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst, dann gibt es ganz einfach keinen Strom ...

Jede Technologie hat ihre Vor- und Nachteile. Jede trägt aber auch zur Winterversorgung bei. Diese steht in den kommenden Jahren im Vordergrund. Je diversifizierter die Energieproduktion, desto widerstandsfähiger ist das gesamte Energiesystem. Es trifft aber zu, dass von den erneuerbaren Energien mit der Wasserkraft am zuverlässigsten Strom produziert werden kann. Damit kann die Schweiz eine Schlüsselnation für die Netzstabilität in Europa werden.

Wie stehen die Zahlen dieses Zubaus im Verhältnis zur benötigten Gesamtmenge an Strom?

2022 hat die Schweiz 57 TWh Strom verbraucht. Der Strombedarf wird in Zukunft massiv steigen, bis 2050 auf ungefähr 80 bis 90 TWh pro Jahr. Um in der Schweiz die vom Volk beschlossene Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, müssen Verkehr, Heizungen und Teile der Industrie mit Strom statt mit Benzin, Diesel, Gas oder Öl betrieben werden. Der Strombedarf steigt also, gleichzeitig wird aber das Gesamtenergiesystem deutlich effizienter, weil Strom effizienter ist als fossile Energien.

«Je diversifizierter die produktion, desto widerstands-fähiger das gesamte Energiesystem.»

Die Vorlage sieht den Bau von 16 Wasserkraftprojekten vor. Umweltverbände haben gegen einzelne bereits Einsprache erhoben, zum Beispiel gegen den Bau der Trift-Staumauer. Was würde mit dieser Einsprache geschehen bei einem Ja zum Stromgesetz?

Bei der Umsetzung der erwähnten 16 Wasserbau-Projekte müssen Ausgleichsmassnahmen zum Schutz von Landschaft und Biodiversität ergriffen werden. In allen Fällen bleibt das Mitspracherecht der Gemeinden und der Bevölkerung gewahrt. Die laufenden juristischen Verfahren bleiben von der Abstimmung unberührt und werden ordentlich bis zu einem rechtskräftigen Entscheid weitergeführt. Wichtig zu erwähnen ist, dass sich die grossen Umweltorganisationen im Grundsatz auf diese 16 Speicherwasserkraft-Projekte verständigt haben. Dies, weil der Ausbau gezielt dort erfolgt, wo es aus Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes verträglich ist.

Das Gesetz will, dass der Bau von Stromproduktionsanlagen gegenüber dem Natur- und Landschaftsschutz Vorrang geniesst. Die Gegner befürchten eine massive Verschandelung der Landschaft. Es ist die Rede von 9000 Windrädern und Solaranlagen mit einer Fläche, fünfmal so gross wie der Zürichsee. Glauben Sie, dass das Volk dazu Ja sagen wird?

Die Landschaft und die Alpen werden nicht mit PV-Anlagen und Windrädern zugepflastert. Es ist Aufgabe der Kantone, geeignete Gebiete für Anlagen von nationalem Interesse in Abwägung mit anderen Interessen (Landschafts- und Biotopschutz, Walderhaltung, Landwirtschaft) zu definieren. Damit bleiben geschützte Gebiete geschützt, und Gebiete ausserhalb der Eignungsgebiete werden für Projekte uninteressant. Das Stromgesetz setzt damit klare Leitplanken für einen landschafts- und umweltverträglichen Ausbau. Deshalb glaube ich, dass das Volk dem Gesetz unter diesen Voraussetzungen zustimmen wird.

Ausserdem befürchten die Gegner eine Aushebelung der Gemeinden, dass die Bevölkerung vor Ort also nichts mehr zu diesen Projekten zu sagen hätte – inklusive Enteignungen. Ist dieser Einwand berechtigt?

Die demokratische Mitsprache und die Beschwerdemöglichkeiten von Privaten und Verbänden bleiben mit dem Gesetz gewahrt. Und zwar bei allen Projekten. Es wird nirgendwo etwas gebaut, wenn die lokale Bevölkerung dies nicht will.

Sie treten fĂĽr ein Ja ein. Ihre Partei, die SVP, empfiehlt hingegen ein Nein. Sie sagt, das Gesetz bringe wenig Strom, koste aber viel. Die SVP geht von Mehrkosten von ĂĽber 11 000 Franken pro Person aus. Die BefĂĽrworter sagen hingegen, das Stromgesetz bringe keine neuen Abgaben, die Konsumenten sparten gar Geld. Wieso gehen die Berechnungen so weit auseinander, und was stimmt nun?

Das Stromgesetz legt neue Regeln für die Festlegung der Strompreise der Kunden in der Grundversorgung fest. In der Schweiz produzierter erneuerbarer Strom soll in die Grundversorgung fliessen. Die Abwälzung der Investitionskosten für Grossprojekte auf den Strompreis ist nicht vorgesehen. Zudem profitieren die Endverbraucher von der Versorgungssicherheit, indem sie den Strom selbst erzeugen und/oder in der Nachbarschaft einkaufen können. Das Stromgesetz sichert unsere Stromversorgung vor allem im Winter, wenn die Energie knapp werden kann. Je besser dies gelingt, desto weniger sind wir vom Ausland abhängig oder auf andere teure Notfallmassnahmen angewiesen. Je höher die Strom-Abhängigkeit vom Ausland, desto höher das kostenmässige Risiko. Die Forderung von Frankreich nach Mitfinanzierung des Baus von 14 neuen Atomkraftwerken durch die Schweiz spricht für sich.

«Es wird nirgendwo etwas gebaut, wenn die lokale Bevölkerung dies nicht will.»

Die Energiestrategie, welche 2017 angenommen wurde, gilt als gescheitert. Wäre es strategisch nicht klüger, wenn das Stromgesetz ebenfalls scheitern würde? Denn dadurch würde, was manche sich wünschen, der Neubau von Kernkraftwerken dringlicher.

Nein. Wir haben insbesondere beim Winterstrom voraussichtlich bereits in wenigen Jahren Engpässe, bevor wir allfällige Neubauten von Kernkraftwerken realisiert hätten. Der politische Weg dorthin dauert zu lange. Das Stromgesetz löst nicht all unsere Stromversorgungsprobleme, es hilft uns aber kurz- bis mittelfristig. Mit diesem Gesetz setzen wir auf realistische und vor allem auf verfügbare Stromquellen. Langfristig braucht es jedoch weitere Schritte und Technologieoffenheit.

Generell: Brauchen wir auch bei einem Ja zum Stromgesetz neue Kernkraftwerke?

Ja. Anders werden wir die Stromversorgungssicherheit in der Schweiz nicht langfristig und nachhaltig gewährleisten können.

Interview: Rolf Hug

www.stromgesetz-ja.ch

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