Publiziert am: 08.11.2024

«Es zählt jede Stimme!»

THIERRY BURKART – Die Stauzahlen auf den Schweizer Autobahnen explo­die­ren – mit riesigen unnötigen Kosten für die Schweizer Volkswirtschaft. «Mit den sechs gezielten Engpass­be­seitigungs­projekten kann Abhilfe geschaffen werden», sagt der FDP- und ASTAG-Präsident. Es gelte nun, für ein JA einzustehen.

Schweizerische Gewerbezeitung: Am 24. November stimmen wir im Rahmen des Strategischen Entwicklungsprogramms (STEP) über sechs sehr gezielte Projekte ab, mit denen neuralgische Engpässe auf den Nationalstrassen behoben werden sollen. Warum braucht es ein JA zu STEP?

Thierry Burkart: Der Handlungsbedarf ist offensichtlich und äusserst dringend. Mit 48 800 Staustunden resultierte 2023 erneut ein neuer Negativrekord. Dieses Jahr wird die Zahl, wie erste Prognosen zeigen, nochmals höher liegen. Nichts tun ist somit keine Option. Mit gezielten Ausbauten können wir jetzt Abhilfe schaffen.

«In vielen Dörfern sind Umfahrungsstaus leider Alltag. Die negativen Folgen sind Lärm und Unfallgefahr.»

Wenn auf den Nationalstrassen – einmal mehr – Stau herrscht, weicht der Verkehr aus. Das Navi zeigt schnell und einfach die beste Ausweichroute. Das führt zu Mehrverkehr in den Dörfern und Agglomerationen. Mit welchen Auswirkungen dort?

In vielen Dörfern sind Umfahrungsstaus mittlerweile leider Alltag. Die negativen Folgen sind Lärm und Unfallgefahr. Darunter leidet die lokale Bevölkerung. Das muss nicht sein. Der Verkehr gehört soweit möglich auf die Autobahnen – zum Vorteil von allen.

Sie haben es erwähnt: 2023 wurden auf dem Nationalstrassennetz mehr als 48 000 Staustunden registriert. Das sind 22 Prozent mehr als 2022. Wie wirkt sich das auf unsere Volkswirtschaft aus?

Zeit ist Geld, und je mehr Stau es gibt, desto grösser sind die Kosten. Wie das Bundesamt für Raumentwicklung ARE – das ja offensichtlich gegen die Ausbauprojekte lobbyiert – selbst berechnet hat, beträgt der Schaden mittlerweile über drei Milliarden Franken pro Jahr!

«der Schaden durch Stau beträgt mittlerweile über drei Milliarden Franken pro Jahr!»

Sie präsidieren den Nutzfahrzeugverband ASTAG. Dieser setzt sich für die Interessen und Anliegen des Strassentransports und des Transportgewerbes ein. Welche Güter transportieren ihre Mitglieder, und wie wirkt sich die Situation auf den Autobahnen auf sie aus?

Stau führt zu massiven Produktivitätseinbussen. Konkret braucht es für die gleichen Liefermengen immer mehr Fahrzeuge und Personal. Die intensiven Anstrengungen der Branche für mehr Nachhaltigkeit werden dadurch ad absurdum geführt. Für Chauffeure ist die Situation zudem enorm frustrierend. Sie verbringen einen grossen Teil ihrer Arbeitszeit im Stau – was die Attraktivität des Berufs massiv schmälert.

«Es braucht für die gleichen Liefermengen immer mehr Fahrzeuge und Personal.»

Die Gegner der Engpassbeseitigungen sprechen wahlweise vom «masslosen Autobahnausbau» oder – als gäbe es keine Elektromobilität – von «fossilen Monsterprojekten». Was sagen Sie dazu?

Moderne Mobilität und Logistik sind eng vernetzt. Es braucht alle Verkehrsträger, und deshalb nebst ausgebauten Bahnen auch eine leistungsfähige Strasseninfrastruktur. Davon profitiert die ganze Schweiz.

Kritiker der Engpassbeseitigungen wollen lieber den öffentlichen Verkehr stärker ausbauen. Doch wäre das überhaupt möglich? Könnte der Personen- und vor allem auch der Güterverkehr wirklich in viel grösserem Umfang auf die Bahn verlagert werden?

Intercitys und S-Bahnen sind zu Stosszeiten ebenfalls überfüllt. Schon nur um 15 Prozent des Personenverkehrs von der Strasse auf den öffentlichen Verkehr zu bringen, müsste man die Kapazität des öV verdoppeln. Ein illusorischer Vorschlag, der jeden realistischen Investitionsrahmen sprengt.

Neben den Nationalstrassen wird auch die Schiene weiter ausgebaut. Weshalb ist es wichtig, beide Verkehrsträger, Strasse und Schiene, den Erfordernissen der Zukunft anzupassen?

In der Schweiz sind wir, je nachdem wo wir wohnen, auf Zug, Bus, Auto, Velo und Langsamverkehr angewiesen. Es braucht wie gesagt alle Verkehrsmittel. Nur so kommen wir vorwärts, nur so werden wir den individuellen Mobilitätsbedürfnissen sowie den Ansprüchen an die Güterversorgung und die Entsorgung im ganzen Land gerecht.

Reden wir ĂĽber die Finanzierung: Wie werden die sechs gezielten Engpassbeseitigungsprojekte bezahlt, und von wem?

Die Projekte werden aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds NAF finanziert, das heisst aus Erträgen aus den Mineralölsteuern und der Autobahnvignette. Die Autofahrerinnen und Autofahrer haben den Ausbau somit bereits bezahlt. Der ordentliche Bundeshaushalt wird nicht belastet, auch dürfen die NAF-Gelder nicht für andere Zwecke als für Strasseninfrastruktur verwendet werden

«Es braucht alle Verkehrsträger.»

Der Bauernverband sagt JA zu den Engpassbeseitigungen. Denn der Bund habe viel unternommen, um den Kulturlandverlust zu minimieren, sagt dessen Präsident Markus Ritter. Welche Auswirkungen hätte es eigentlich auf das Kulturland, wenn es – bei einem allfälligen Nein zu STEP – immer noch mehr Ausweichverkehr in die Dörfer gäbe?

Grundsätzlich gehen wir von einem JA aus – denn auch die Landwirtschaft ist daran interessiert, dass der Verkehr möglichst via Nationalstrassen abgewickelt wird. Daher freut uns die Unterstützung des Bauernverbands sehr. Der Kulturlandverlust mit total acht Hektaren konnte tatsächlich minimiert werden, zudem müssen die beanspruchten Flächen andernorts kompensiert werden.

«Intercitys und S-Bahnen sind zu Stosszeiten ebenfalls überfüllt.»

Nun noch zum «Klassiker» aller Gegenargumente: «Wer Strassen sät, wird Verkehr ernten.» Was kontern Sie?

Unser Wohlstand hängt ganz direkt von einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur ab. Unsere Wirtschaft, die Versorgung und Entsorgung in diesem Land funktionieren nur, wenn auch die Mobilität und die Logistik gewährleistet sind. Wer etwas anderes behauptet, will die Bevölkerung zwingen, auf unseren gewohnten Lebensstandard zu verzichten.

Für die sechs Engpassbeseitigungsprojekte gibt es eine Art «Blaupause» – und zwar die dritte Röhre beim Gubristtunnel, welche im Frühjahr 2023 eröffnet wurde. Welche Bilanz kann man da nach rund eineinhalb Jahren ziehen?

Der Umfahrungsverkehr in der ganzen Region rund um den Gubrist hat deutlich abgenommen. Das zeigt: Gezielte Ausbauten am richtigen Ort – wie es bei STEP der Fall ist – führen zu weniger Umfahrungsverkehr und zu mehr Sicherheit.

«Beim Gubrist hat sich gezeigt: Gezielte Ausbauten am richtigen Ort führen zu weniger Umfahrungsverkehr.»

Zum Schluss: Derzeit sieht es gemäss Umfragen nach einem knappen JA aus. Was können die Befürworter noch tun, damit es am 24. November mit den sechs Projekten gegen den zunehmenden Stau auf Schweizer Autobahnen tatsächlich klappt?

Es wird klappen, da bin ich überzeugt. Jedoch zählt jede einzelne Stimme! Daher bin ich dankbar, wenn Wirtschaft und Gewerbe gemeinsam für ein JA einstehen und weiterhin Überzeugungsarbeit leisten – bei Freunden, Bekannten, Verwandten, Angestellten und Kunden.

Interview: Rolf Hug

zusammen-vorwaertskommen.ch

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