Publiziert am: 19.01.2018

Die OdA müssen stärker mitreden

BILDUNGSPOLITISCHER BERICHT – Der sgv will damit die Organisationen der Arbeitswelt OdA innerhalb der Verbundpartnerschaft für die Berufsbildung stärken. Dabei fordert er, dass die Wirtschaft bei der Weiterentwicklung der Berufe mehr Freiheiten erhält.

Die Berufsbildung ist ein Teil des Schweizerischen Erfolgsmodells, wählen doch zwei Drittel der Jugendlichen diesen Karriereweg. Damit ist die Berufsbildung unbe­stritten der Königsweg, über den Karrieremöglichkeiten bis ganz oben angepackt werden können. «Die duale Berufsbildung ist massgeblich dafür verantwortlich, dass wir unsere Nachwuchskräfte arbeitsmarktfähig ausbilden. International wird unser ­System bewundert und mit ihm die tiefe Arbeitslosigkeit, gerade auch bei Jugendlichen», sagt Hans-Ulrich Bigler, Direktor Schweizerischer Gewerbeverband sgv und Nationalrat (FDP/ZH), vor den Medien in Bern. «Doch wie muss sich die Berufsbildung aufstellen, damit sie auch künftig das Erfolgsmodell sein kann, das sie heute ist», fragt Bigler und schlägt den Bogen zu den zentral strategischen Forderungen zum Bildungspolitischen Bericht des sgv. Mit diesem will der grösste Dachverband der Schweizer Wirtschaft nach dem gescheiterten Projekt «Vision Berufsbildung 2030» des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI die Strategiediskussion zur Berufsbildung wieder anstossen.

«Die OdA müssen mehr Gewicht erhalten und gleichberechtigt sein.»

Eine führende Rolle in der Berufsbildung haben die Organisationen der Arbeitswelt OdA. Sie leiten, bestimmen und führen die Berufsbildung inhaltlich. «Wenn die Berufsbildung ein Erfolg bleiben soll, müssen in der strategischen Weiter­ent­wicklung die OdA mehr Gewicht erhalten», sagt Bigler. Die OdA müssten die Möglichkeit haben, mit ihren verbundpartnerschaftlich zusammengesetzten Kommissionen für Berufsentwicklung und Qualitätssicherung (Kommissionen B&Q) in der Grundbildung, Entscheide zu fällen und diese auch umzusetzen. In der gleichen Weise müssten auch die Trägerschaften von Prüfungen wieder gestärkt werden. «Es ist nicht die Aufgabe des SBFI, hier die Führung zu übernehmen», betont Bigler. Auch wenn es um Integrationsmodelle und Kompetenznachweise gehe, sei die Arbeitsmarktfähigkeit entscheidend. «Der Bund und die Kantone sollen die OdA hier unterstützen und nicht unter Druck setzen und zu steuern versuchen», bringt es Bigler auf den Punkt. Weiter fordert der sgv, dass HBB-­Abschlüsse auf dem Niveau 6 des nationalen Qualifikationsrahmens im englischen Diplomzusatz als Professional Bachelor und solche mit Niveau 7 als Professional Master bezeichnet werden. «Nur so haben im Ausland die Abschlüsse der Höheren Berufsbildung eine Chance auf eine gleichwertige Anerkennung», betont Bigler.

Arbeitsmarktfähigkeit 
im Zentrum

Pierre-Daniel Senn, sgv-Vorstandsmitglied und Vizepräsident Auto Gewerbe Verband Schweiz, zeigt am Beispiel des Autogewerbes, wieso es fundamental wichtig ist für die Berufsbildung, dass die Berufe von den OdA getragen und weiterentwickelt werden. Die Digitalisierung habe im Autogewerbe ganz neue Berufsformen hervorgebracht. «Für die auszubildenden Berufe in unseren Betrieben bedeutet das eine kontinuierliche Anpassung zusammen mit der digitalen Trans­formation. Die Weiterentwicklung der Berufe muss deshalb sehr nahe bei den OdA sein, die selber entscheiden müssen, was auszubilden ist und was prüfungsrelevante Punkte sind», weiss Senn aus eigener Erfahrung. Er führt selber eine Garage im Kanton Neuenburg. Würden solche Entscheidungen in den Kantonen oder im Bund getroffen, schwäche dies die Berufsbildung, ist Senn überzeugt.

«Die Weiterentwicklung der Berufe muss nahe bei den OdA sein.»

Heute würden zudem für die Fahrzeuge verantwortliche Mitarbeitende zunehmend direkt in die Kunden­betreuung einbezogen. «Solche Anforderungen müssen die OdA laufend in die Weiterentwicklung der Berufe einbetten können. Eine marktfremde Stelle kann darauf nicht genügend adäquat reagieren», sagt Senn. In der Wirtschaft können durch Globalisierung, die Digitalisierung oder durch demografische Veränderungen neue Märkte, neue Prozesse, neue Produkte und Wert­schöpfungs­ketten oder komplett veränderte Arbeitsorganisationen entstehen. Und er ergänzt: «Die einzigen, die das beurteilen, sind die OdA mit ihren Mitgliederfirmen und den Unternehmern, die sich freiwillig in der Berufsbildung engagieren. Daher muss in der Berufsbildung die Arbeitsmarktfähigkeit im Zentrum stehen.»

Gleichwertigkeit 
endlich akzeptieren

Marcel Schweizer, Mitglied der schweizerischen Gewerbekammer, Präsident des kantonalen Gewerbeverbandes Basel-Stadt sowie Gartenbau-Unternehmer, geht auf die ­strategischen Forderungen an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Schule und Kantonen ein. Er weist darauf hin, dass die OdA auch bezüglich der Nahtstelle zwischen obligatorischer Schule und Arbeitswelt gegenüber ihren Verbundpartnern gleichberechtigt werden müssen. Hier gebe es dringenden Handlungsbedarf. So sei die seit 2006 in der Verfassung verankerte Anerkennung der Gleichwertigkeit und damit die Gleichbehandlung von beruflicher und akademischer Bildung noch nicht umgesetzt worden. Auch auf nationaler Ebene werde die schulische Bildung oftmals bevorzugt. «Die Forderung nach einem einzigen Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) für alle Abschlüsse ist immer noch nicht erfüllt. Damit könnte gezeigt werden, dass beide Wege gleichwertig sind», konkretisiert Schweizer.

«Die Gleichbehandlung von beruflicher und akademischer Bildung ist noch nicht umgesetzt.»

Ebenso müssten die Anforderungen der Wirtschaft in der schulischen Grundbildung ernst genommen werden: Bereits in den obligatorischen ersten neun Schuljahren müssten die Kinder eine Basis an Grundkompetenzen erlangen. Dazu gehören neben den traditionellen Fächern zwingend auch die sogenannten MINT-Fächer wie Mathematik, Informationstechnologie, Naturwissenschaften und Technik. «Dies ist eine wichtige Forderung der Wirtschaft, die von den Kantonen ernst genommen werden muss», so Schweizer. Eine grosse Bedeutung habe auch der Berufswahl­prozess. Dieser sollte bereits ab der 5. Klasse vorangetrieben werden und den Jugendlich ermöglichen, die verschiedensten Berufsangebote und Bereiche kennenzulernen. Dabei seien die vom sgv zusammen mit der EDK und den OdA entwickelten Anforderungs­profile von rund 250 beruflichen Grundbildungen ein geeignetes Instrument. «Damit können die schulischen Anforderungen der Berufe mit den Eignungen und Neigungen des jeweiligen Schülers verglichen werden», erklärt Schweizer. 

Corinne Remund

DAS FOrDERT DER SGV

Bund darf Wirtschaft nicht steuern

Der sgv hat zusammen mit den Organisationen der Arbeitswelt OdA den Bildungspolitischen Bericht sgv formuliert. Darin stellt er folgende Forderungen:

n  OdA müssen in der Verbund­partnerschaft als gleichberechtigte Partner anerkannt werden.

n  Bund muss OdA Freiräume und Entscheidungskompetenzen lassen.

n  Auch in der Höheren Berufsbildung HBB muss die Wirtschaft den Lead haben.

n  Integrationsmodelle und Kompetenznachweise: Arbeitsmarktfähigkeit und nicht die politische Agenda des Bundes sind entscheidend.

n  Es braucht Titel, die das Niveau der höheren Berufsbildung HBB international verständlich dokumentieren.

n  Anerkennung der Gleichwertigkeit und Gleichbehandlung von ­beruflicher und akademischer ­Bildung.

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