Publiziert am: 29.04.2022

«Gute Filme, nicht mehr Geld»

LEX NETFLIX – «Der Eigenwirtschaftlichkeitsgrad eines Schweizer Kinofilms liegt bei einem Prozent», sagt Matthias Müller, das Gesicht des Widerstands gegen die neue Filmsteuer. «Angesichts dieser Zahlen braucht es bei bestem Willen nicht mehr Subventionen.»

Schweizerische Gewerbezeitung: Wann und wo haben Sie letztmals einen Schweizer Film gesehen?

Matthias Müller: Ich habe kürzlich die Serie «Neumatt» geschaut. Netflix hat die Lizenzierungsrechte erworben, weshalb die Serie auch auf Netflix zu sehen sein wird. Das ist für mich ein Beweis dafür, dass das Schweizer Filmschaffen bereits heute international mithalten kann. Es braucht mithin kein neues Filmgesetz, das eine Filmsteuer und eine EU-Filmquote einführen will. Was wir brauchen und wollen, sind gute Filme!

Aber ist es nicht erfreulich, dass dem Schweizer Film durch die «Lex Netflix» mehr Geld zufliessen soll?

Das Schweizer Filmschaffen wird bereits heute mit weit über 120 Mio. Franken pro Jahr subventioniert. Allein Bund, Kantone und Gemeinden fördern mit unseren Steuergeldern den Schweizer Film jährlich mit rund 84 Mio. Franken (+50 Prozent seit 2010). Auch die SRG steckt – wohlgemerkt mit unseren Gebührengeldern – rund 50 Mio. Franken pro Jahr in den nationalen Filmtopf. Es geht nicht an, dass wir Konsumenten via unsere Abonnements nun ein drittes Mal zur Kasse gebeten werden. Vielmehr müssen die bestehenden Fördermittel, die mittels Steuergelder erbracht werden, sorgfältiger eingesetzt werden.

Nur wenige Beispiele mögen dies veranschaulichen: Durchschnittlich schauen nur gerade 2600 Personen einen Schweizer Film im Kino. Pro Kinoeintritt bekommen unsere Filmschaffenden eine (subventionierte) Hunderternote. Der Eigenwirtschaftlichkeitsgrad eines Schweizer Kinofilms liegt bei einem Prozent. Angesichts dieser Zahlen braucht es bei bestem Willen nicht mehr Subventionen.

Der Blick auf das europäische Umland offenbart zudem, dass die Schweiz einmal mehr völlig über das Ziel hinausschiesst. Die Befürworter des konsumentenfeindlichen Filmgesetzes argumentieren, die Filmsteuer sei ihrer Höhe nach (4 Prozent) absolut moderat ausgefallen; Länder wie Frankreich (bis 25 Prozent) und Italien (bis 10 Prozent) würden viel höhere Filmsteuersätze verlangen. Zudem würde die Mehrheit der EU-Länder vergleichbare Pflichten kennen. Das ist klar irreführend bzw. falsch. Frankreich und Italien liegen auf Platz 1 und 2, was die Höhe der Filmsteuer angeht. Gemäss den Berichten des Bundesamtes für Kultur kennt mehr als die Hälfte der europäischen Länder überhaupt keine Filmsteuer, darunter Grossbritannien, Österreich, Finnland, Schweden und Norwegen – Länder, die qualitativ hochstehende und hochattraktive Filme und Serien produzieren. Die übrigen Länder in Europa kennen im Übrigen viel tiefere Filmsteuersätze; der Durchschnitt liegt bei ca. 2 Prozent.

Der Vergleich mit den Verhältnissen im europäischen Umland zeigt, dass die neue 4-Prozent-Filmsteuer für Filme in der Schweiz völlig unverhältnismässig und zum Schaden von uns Konsumenten ist.

Sie bezeichnen das neue Filmgesetz als «konsumentenfeindlich und grob unfair». Wie begründen Sie diese Einschätzung?

Mit dem neuen Filmgesetz werden nicht nur ausländische, sondern inländische Streaminganbieter – betroffen sind Swisscom, Sunrise/UPC etc. – gezwungen, insgesamt 20 bis 30 Mio. Franken pro Jahr an die Schweizer Filmschaffenden abzuliefern. Für uns liegt es auf der Hand, dass die Streaminganbieter diese enormen Kosten auf uns Konsumentinnen und Konsumenten abwälzen werden. Die Folge: Wir zahlen höhere Abo-Gebühren. Das ist unfair! Der Schweizer Film wird – wie bereits erwähnt – schon heute mit einem dreistelligen Millionen-Betrag pro Jahr subventioniert.

Die Befürworter des Filmgesetzes sagen, bei einem Nein «verschwindet die Schweiz von unseren Bildschirmen». Was sagen Sie zu dieser Behauptung?

Das ist falsch. Sogar Bundesrat Alain Berset hat bei der Pressekonferenz zum Filmgesetz dieser Behauptung widersprochen. Der Schweizer Film lebt, weil wir ihn mit 120 Millionen Franken pro Jahr subventionieren. Alle Jahre wieder stechen ein bis zwei Filme durch besondere Qualität und Kreativität heraus. Darauf dürfen wir stolz sein. Es braucht kein neues Filmgesetz zulasten von uns Konsumentinnen und Konsumenten.

Die vorgesehene Investitionsverpflichtung von mindestens vier Prozent pro Jahr komme einer «Filmsteuer» gleich. Wie kommen Sie zu diesem Urteil?

Die hiesigen und ausländischen Streaminganbieter werden gezwungen, vier Prozent ihres in der Schweiz erwirtschafteten Bruttoumsatzes den Schweizer Filmschaffenden abzuliefern. Anders als heute haben sie keine freie Wahl mehr; sie können sich der Investitionsverpflichtung nicht entziehen. Wenn sie nicht investieren, müssen sie dem Bundesamt für Kultur (BAK) eine entsprechende Ersatzabgabe zahlen. Das BAK entscheidet sodann, wo dieses Geld zwangsinvestiert wird. Mit dem revidierten Filmgesetz werden also private Mittel zwangsweise entzogen und umverteilt. Deshalb handelt es sich um eine neue Filmsteuer.

Das Referendum gegen die «Lex Netflix» wird von den Jungparteien der FDP, SVP, Die Mitte und glp unterstützt: Weshalb wehren sich vor allem junge Menschen gegen die Vorlage?

Wir Jungen haben ein beschränktes Medienbudget. Wenn wir uns entscheiden, mit unserem eigenen Geld bspw. Netflix zu abonnieren, dann wollen wir nicht, dass uns vorgeschrieben wird, welche Filme wir zu schauen haben. Auch wollen wir nicht, dass unsere Abo-Gebühren steigen, weil ein Teil davon neu an die Filmschaffenden abgeliefert werden muss – notabene für ein Angebot, das wir so gar nicht wünschen. Wer Schweizer Filme schauen möchte, kann dies rund um die Uhr und gratis auf Play Suisse tun; der SRG-Streamingdienst zeigt ausschliesslich Schweizer Produktionen.

Auch der Verband Schweizer Privatfernsehen, SUISSEDIGITAL und das Konsumentenforum kämpfen an Ihrer Seite gegen das Filmgesetz. Welches sind ihre Argumente?

Wir sind froh, dass das Referendumskomitee breit aufgestellt ist. Der Verband Schweizer Privatfernsehen ist dabei, weil auch die Schweizer Privatsender mit dem neuen Filmgesetz unter die Räder kommen; auch sie müssen neu pro Jahr sehr viel mehr Geld den Schweizer Filmschaffenden abliefern. SUISSEDIGITAL unterstützt uns, weil das neue Filmgesetz auch Kabelnetzbetreiber wie Swisscom zur Kasse bittet; deren Aufgabe aber ist die Sicherstellung intakter Kabelnetze, und sicher nicht die Quersubventionierung von Filmschaffenden. Das Konsumentenforum bekämpft das neue Filmgesetz, weil das Gesetz im Endeffekt uns Konsumentinnen und Konsumenten abzockt.

Sie sagen, erfolgreiche Schweizer Privatsender würden mit dem Filmgesetz geschwächt. Weshalb diese Befürchtung?

Schweizer Privatsender konnten bislang auf ihren Sendern Werbung schalten für den Schweizer Film und so ihre Investitionsverpflichtung erfüllen. Mit dem neuen Filmgesetz ist das nur noch sehr beschränkt möglich. Man zwingt neu erfolgreiche Schweizer Privatunternehmen dazu, den Schweizer Filmschaffenden Geld abzuliefern. Das ist ungerecht! Unsere Unternehmen stecken in einem schwierigen Umfeld, die Margen sind tief. Es ist völlig falsch, wenn man diese nun zwingt, Millionenbeträge in den Schweizer Filmtopf zu zahlen. Das Geld fehlt den Unternehmen dann für eigene Produktionen.

Interview: Gerhard Enggist

www.filmgesetznein.ch

abstimmungsbESCHWERDE EINGEREICHT

Falsche Angaben im Abstimmungsbüchlein

Das Referendumskomitee gegen das Filmgesetz wirft dem Bundesrat vor, er mache in der Abstimmungsbroschüre zur «Lex Netflix» falsche Angaben. Das Referendumskomitee um Matthias Müller – er ist auch Präsident der Jungfreisinnigen (vgl. Interview) – hat deshalb eine Abstimmungsbeschwerde eingereicht. Kritisiert wird vor allem eine Karte auf Seite 13 des Abstimmungsbüchleins, welche die europäischen Länder mit einer Investitions- oder Abgabepflicht für Streamingdienste abbildet. Die Redaktion der SRF-«Arena» hatte die Karte untersucht, Unstimmigkeiten festgestellt und damit bei Kulturminister Alain Berset, der mit den Vorwürfen erst während der Sendung konfrontiert wurde, für eine gröbere Verstimmung gesorgt.

«Im Falle eines äusserst knappen Ausgangs der Abstimmung vom 15. Mai könnte unsere Beschwerde allenfalls einen Unterschied machen», begründet Müller gegenüber der Gewerbezeitung die Intervention des Referendumskomitees. Inzwischen hat die Bundeskanzlei online präzisierende Angaben zur umstrittenen Karte publiziert. En

Lesen Sie dazu auch

Weiterführende Artikel

Meist Gelesen