Publiziert am: 22.11.2019

Die Meinung

Rettet Ständerat die Sozialpartnerschaft?

Die Sozialpartnerschaft: Sie ist ein wichtiger Bestandteil des Erfolgsrezepts auf dem Werkplatz Schweiz (vgl. das Interview mit Casimir Platzer). In den vergangenen 20 Jahren hat die Anzahl der Gesamtarbeitsverträge, vor allem aber auch die Anzahl der vom Bundesrat für allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge (ave GAV) markant zugenommen. Dies müsste von den Gewerkschaften eigentlich als Vertrauensbeweis aufgefasst werden.

Ein Urteil des Bundesgerichts zum kantonalen Mindestlohn in Neuenburg hat die Ausgangslage im Jahr 2017 verändert. 2011 hatte die Stimmbevölkerung des Kantons Neuenburg einem kantonalen Mindestlohn zugestimmt. Im Rahmen der Umsetzung dieses Volksverdikts änderte der Grosse Rat das kantonale Gesetz und legte einen minimalen Stundenlohn fest. Das Problem dabei: Dieser Mindestlohn übersteigt die in allgemeinverbindlich erklärten und damit landesweit für die entsprechenden Branchen gültigen Gesamtarbeitsverträgen (ave GAV) festgelegten Mindestlöhne. Diese Übersteuerung eines sozialpartnerschaftlich ausgehandelten Kompromisses durch einen gesetzlich festgelegten kantonalen Mindestlohn darf nicht unwidersprochen bleiben.

Zahlreiche Branchenverbände und Mitglieder des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv sowie Privatpersonen erhoben gegen diese neuen Minimallohnbestimmungen Beschwerde vor Bundesgericht. Insbesondere wurde gerügt, dass national gültige, allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge (ave GAV) durch einen kantonal festgesetzten Mindestlohn übersteuert werden könnten und der ave GAV keinen Vorrang mehr geniesse. Das Bundesgericht lehnte die Beschwerde ab – mit einer rein sozialpolitisch motivierten Argumentation.

Mit grossem Unverständnis hat der sgv diesen Entscheid zur Kenntnis genommen. Das Urteil schwächt die während Jahrzehnten entwickelte und bewährte Sozialpartnerschaft in der Schweiz nicht nur, sondern stellt diese letztlich auch in Frage. Es ist völlig unsinnig, dass durch die Sozialpartner ausgehandelte, an die Branchen angepasste Gesamtarbeitsverträge durch die Hintertür zu Makulatur gemacht werden. Einseitige kantonale Eingriffe, die nun einzelne Bestimmungen der ave GAV aushebeln, untergraben die Allgemeinverbindlicherklärungen des Bundesrats. Darüber hinaus bringen sie die GAV als komplexe Gesamtpakete aus dem Gleichgewicht. Derartige kantonale Eingriffe führen zu einer Fragmentierung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen – und letztlich dazu, dass Sozialpartner vermehrt auf GAV verzichten werden. Verhandlungen könnten zunehmend ergebnislos verlaufen; das Ende der bewährten und erfolgreichen Sozialpartnerschaft wäre ernsthaft zu befürchten.

Es geht heute darum, den Normalzustand und damit die Rechtssicherheit wiederherzustellen. Und genau dies will die Motion «Stärkung der Sozialpartnerschaft bei allgemeinverbindlich erklärten Landes-Gesamtarbeitsverträgen» des Urner Ständerats Isidor Baumann. Die Kompetenzen der Kantone werden dadurch nicht eingeschränkt. Der Vorstoss fordert lediglich die Wiederherstellung des Zustandes vor 2017, vor dem unglücklichen Urteil des Bundesgerichts also. Aus diesen Gründen verdient die Motion Zustimmung. Die vorberatende Kommission des Ständerats unterstützt dieses Begehren. Jetzt ist es in der Wintersession an der kleinen Kammer, die Motion zu unterstützen und mitzuhelfen, die bewährte Sozialpartnerschaft wieder zu stärken. Nicht nur die KMU sind darauf dringend angewiesen.

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