Publiziert am: 13.05.2022

«Aus freien Stücken»

FABIO REGAZZI – «Unternehmer sind klug genug, zu wissen, was in ihrem Interesse und in jenem der Umwelt ist», sagt der wiedergewählte Präsident des Schwei­ze­rischen Gewerbe­ver­bands. Die neue Strategie des grössten Dachverbands der Schweizer Wirt­schaft definiert dessen Ziele für die Jahre 2022 bis 2026.

Schweizerische Gewerbezeitung: Vor wenigen Tagen wurden Sie vom Schweizerischen Gewerbekongress als Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv bestätigt. Wie haben Sie Ihre erste Amtszeit in Erinnerung?

Fabio Regazzi: Es war eine sehr intensive Zeit, geprägt insbesondere von den Folgen der Corona-Pandemie. Der Gewerbeverband hat sich in dieser schwierigen Zeit einmal mehr als unverzichtbar für das Funktionieren der Schweizer Wirtschaft erwiesen. Dank unserer starken Stimme – und auch dank des Drucks, den wir beständig ausgeübt haben –, ist es den meisten KMU gelungen, die Krise zu überstehen. So gesehen bin ich stolz, diesen Verband gegen aussen repräsentieren zu dürfen.

Schauen wir nach vorne: Der Gewerbekongress hat die Strategie und die Politischen Zielsetzungen des sgv fĂĽr die Jahre 2022 bis 2026 verabschiedet. Weshalb ist diese Strategie fĂĽr den sgv wichtig?

Die Strategie dient uns als Orientierungshilfe. Sie erinnert uns daran, weshalb wir was tun. Sie hilft uns, in den Niederungen des täglichen Politgeschäfts die wichtigen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Kurz und gut: Die Strategie ist dazu da, damit wir im Alltag den roten Faden nicht aus den Augen verlieren, an dem wir unser Handeln ausrichten wollen.

Stichwort «Roter Faden»: Wo findet sich dieser in der sgv-Strategie ganz konkret?

Unsere Vision ist eine freie, offene Wirtschaft, in welcher die von uns vertretenen mehr als 500 000 KMU eigenverantwortlich ihren Geschäftsmodellen nachgehen – so weit wie möglich ohne Einmischung des Staates. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich der sgv auf sein Kerngeschäft, den Regulierungskostenabbau. Diesen würde ich als den eigentlichen «Roten Faden» bezeichnen, an dem wir unsere Tätigkeiten ausrichten.

Und weshalb ist dieser Abbau von Regulierungen so wichtig?

Die Regulierungsdichte nimmt auf allen Ebenen leider nach wie vor zu. Dies führt bei KMU zu wesentlich höheren administrativen Lasten als bei grossen Unternehmen. Entsprechend setzen die Senkung bestehender und die strikte Kontrolle künftiger Regulierungskosten unternehmerische Kräfte frei. Und das wiederum entspricht einem wirtschaftlichen Wachstumsprogramm, auf das die KMU in schwierigen Zeiten wie heute besonders dringend angewiesen sind. Und genau deshalb setzt sich der sgv nach Kräften für die Einführung einer Regulierungskostenbremse ein.

Welche Ziele wollen Sie mit der Strategie in der Wirtschaftspolitik erreichen?

Voraussetzung und Treiber für das Erfolgsmodell Schweiz ist die in der Verfassung verankerte Wirtschaftsfreiheit. Deren Einschränkung durch immer einseitiger werdende und bevormundende Gebote und Verbote und die Einschränkung des freien Wettbewerbs durch Marktverzerrungen sind derzeit die stärksten Probleme. Diese Herausforderungen wirken sich sowohl auf die Vitalität des Schweizer Binnenmarkts als auch auf die internationale Positionierung unseres Landes aus.

Eines steht fest: Die Vielfalt der KMU ist einer der wichtigsten TrĂĽmpfe der Schweiz. Damit diese Vielfalt jedoch zur Ressource wird, braucht es eine Ordnungspolitik mit den vier Elementen Wirtschaftsfreiheit, tiefe Regulierungsdichte, freier Wettbewerb und Eigentumsgarantie.

Was bedeutet die fĂĽr die Ziele des sgv bis ins Jahr 2026 konkret?

Um den Produktionsstandort Schweiz zu stärken, setzt sich der sgv im Verhältnis zur EU für einen guten Marktzugang sowie die Weiterführung und den Ausbau der Freihandels- und Bilateralen Abkommen ein. In der Aussenwirtschaftspolitik setzt der sgv auf Freihandel und auf eine aktive internationale Positionierung der Schweiz. Zudem verlangen wir den Abbau der ungleich langen Spiesse zulasten der KMU, etwa im Umgang mit Staatsunternehmen in (teil-) monopolisierten Märkten. Wir bekämpfen Konsum- und Werbeverbote sowie übertriebene Präventionsmassnahmen, Konsumlenkungssteuern und Bevormundungskampagnen. Und nicht zuletzt bekennt sich der sgv zu einem vielfältigen Finanzplatz, der die Wirtschaft mit qualitativ hochwertigen Produkten und Finanzierungen versorgt. Dazu – und hier sind wir wieder beim «Roten Faden» – ist eine differenzierte Regulierung nötig, die ihre nationalen Ausgestaltungsräume konsequent ausnutzt und auf jeglichen «Swiss Finish» verzichtet.

Erstmals erscheint in der neuen sgv-Strategie auch der Begriff der Nachhaltigkeit. Lassen Sie sich hier einfach vom modischen Megatrend leiten, oder stehen da konkrete Vorstellungen dahinter?

Hier einfach dem Trend hinterher zu hecheln, wäre etwas billig. Wir haben sehr wohl eine konkrete Vorstellung, was Nachhaltigkeit bedeutet. Für den sgv umfasst sie die Elemente Ökonomie, Ökologie und Soziales – und die Verbindung dieser drei Dimensionen zu einem Ganzen. Dieses Verständnis von Nachhaltigkeit ist mehr als nur eine Balance von Schutz und Nutzung. Es ist die Grundlage für Geschäftsmodelle, Wertschöpfungsketten und Innovation. Dabei verstehen wir Nachhaltigkeit als einen dynamischen Prozess: Sie entwickelt sich mit der Wirtschaft und Gesellschaft – Schritt für Schritt.

Sie sind selbst Unternehmer, und Sie haben eben erst ĂĽber 1500 Solarmodule der neuesten Generation mit einer erwarteten Jahresproduktion von ĂĽber 600 000 kWh auf dem Dach Ihres Firmensitzes in Gordola installiert. Ist das Ihre Vor-stellung von Nachhaltigkeit?

Es ist ein Teil davon, ja. Nachhaltigkeit umfasst die Politikbereiche Energie, Klima, Umwelt und Ressourcen. Als Unternehmer sind wir gefordert, unseren Teil im Kampf gegen die Klimaerwärmung zu leisten – ganz schlicht auch aus Eigeninteresse. Mit einer jährlichen Stromproduktion, die dem Bedarf von über 200 Haushalten entspricht, wird die Regazzi-Gruppe in der Lage sein, mehr als die Hälfte unseres Bedarfs zu decken und damit bereits das Ziel der Energiestrategie 2050 zu übertreffen. Aus freien Stücken – nicht, weil der Staat uns dazu zwingt.

Ähnlich geht übrigens mein Vorgänger als sgv-Präsident, Jean-François Rime, in seinem Sägewerk in Bulle vor. Auch er setzt massiv auf Solarenergie – freiwillig.

Eben: Der sgv setzt nach wie vor auf freiwillige Massnahmen …

… weil Unternehmer klug genug sind, zu wissen, was in ihrem Interesse und in jenem der Umwelt ist. Der sgv fordert deshalb unter anderem den Ausbau der freiwilligen Massnahmen der Wirtschaft, insbesondere der Zielvereinbarungs- und Kompensationsprogramme in der Erhöhung der Energie-, Klima-, Umwelt-, und Ressourceneffizienz der KMU.

Sie akzeptieren also, dass den Unternehmern im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels eine besondere Verantwortung zukommt?

Selbstverständlich – doch das ist nicht neu. Die vom sgv mitbegründete Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW) ist ein gutes Beispiel dafür. Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 hat die EnAW es mehr als 4000 Unternehmen ermöglicht, gleichzeitig ihren CO2-Ausstoss zu senken als auch ihre Kosten zu minimieren – freiwillig, unkompliziert und effizient.

Wie sieht für den sgv Nachhaltigkeit im Bereich Mobilität aus?

Die Mobilität – und mit ihr die Raumentwicklung – sind Schlüsselgrössen für die Standortqualität der Schweiz und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Der Güter- und Personentransport auf der Strasse in der Schweiz ist systemrelevant für Wirtschaft und Bevölkerung. Die Strasse ist der wichtigste Verkehrsträger, sie stellt die Versorgung und Entsorgung in der Schweiz sicher. Nachdem in den vergangenen 15 Jahren erfolgreich Infrastrukturprojekte realisiert werden konnten, geht es in den kommenden Jahren darum, die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur sicherzustellen.

Für den sgv bleibt es dabei: Die freie Wahl des Transportmittels muss gewährleistet sein. Doch die Stärken aller Transportmöglichkeiten müssen künftig – auch mittels vermehrtem Einbezug der neuen Möglichkeiten der Digitalisierung – noch besser miteinander verbunden werden.

Letzte Frage: Vor welchen Herausforderungen stehen Sie als sgv-Präsident derzeit?

Mit dem altersbedingten Rücktritt des verdienten, seit 2008 amtierenden sgv-Direktors Hans-Ulrich Bigler per Mitte 2023 stellt sich die Frage der Nachfolge an der operativen Spitze. Zusammen mit dem neu aufgestellten Vorstand werden wir das Nötige rechtzeitig in die Wege leiten, um eine Fortsetzung der äusserst erfolgreichen Arbeit der letzten Jahre sicherzustellen. Darüber hinaus werde ich mich dafür einsetzen, dass die neue Strategie des Verbands ihre Wirkung zugunsten der KMU auch tatsächlich entfaltet. Und nicht zuletzt stehen im kommenden Jahr bereits wieder nationale Wahlen an. Hier wird es darum gehen, wirtschaftsfreundliche Kandidatinnen und Kandidaten, welche die KMU auch in Tat und Wahrheit aktiv unterstützen, von jenen zu unterscheiden, die blosse Sonntagsreden zugunsten der KMU halten.

Interview: Gerhard Enggist

www.sgv-usam.ch/strategie

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