Publiziert am: 20.03.2020

«Täglich neu beurteilen»

CORONA UND DIE FOLGEN – Emanuel Tschannen ist Rechtsanwalt und Eigentümer der Elfenau Schweiz AG in Zürich. Der 44-jährige gebürtige Berner berät Unternehmer und KMU in Fragen des Arbeits-, Vertrags- und Gesell­schafts­rechts – in Zeiten der Corona-Krise sind seine Auskünfte gefragter denn je.

Schweizerische Gewerbezeitung: Was sind die wichtigsten Herausforderungen, denen sich Arbeitgeber aufgrund der Corona-Krise gegenĂĽbergestellt sehen?

Emanuel Tschannen: Erste Priorität hat bei den meisten Unternehmen derzeit die Aufrechterhaltung der Produktionsfähigkeit, was eine fort-laufende Planung der verfügbaren Liquidität sowie Arbeitskräfte erfordert. Was unter normalen Bedin­gungen einfach scheint, ist derzeit anspruchsvoll: In den letzten Tagen mussten viele Entscheide auf Basis unvollständiger Informationen, quasi aus dem Nebel heraus, getroffen werden. Viele Unternehmen sind zudem von Umsatzrückgängen, Stornierungen und faktischen Betriebsschliessungen betroffen. Hier stellt sich die Frage, wie Kosten ein-gespart bzw. aufgefangen werden können.

Welche Verantwortung hat der Arbeitgeber gegenĂĽber seinen Mitarbeitern in Sachen Gesundheitsschutz?

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Gesundheit seiner Mitarbeitenden im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu schützen. Besonders schutzbedürftig sind offiziell Mitarbeitende über 65 Jahre sowie gesundheitlich vorbelastete Personen. Nach meinem Dafürhalten sind bereits Mitarbeitende über 50 Jahre speziell zu schützen. Auch Schwangere und stillende Mütter gilt es zu schützen.

Geschieht dies nicht, verletzt der Arbeitgeber vertragliche und gesetzliche Pflichten. Daraus kann im Einzelfall ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmenden resultieren.

Haben Arbeitnehmer – dort, wo das überhaupt möglich ist – ein Anrecht darauf, ihre Arbeit im «Home-Office» zu leisten?

Bis Freitag, den 13. März 2020, hätte ich diese Frage mit Nein beantwortet. Seit dem 17. März 2020 haben besonders schutzbedürftige Mitarbeitende in der Tat Anspruch auf Home-Office bzw. bezahlten Urlaub.

Was muss der Arbeitgeber tun, damit Home-Office geregelt funktioniert?

Kinder wissen, dass die Änderung von Spielregeln während des Spiels zu Streit führt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind deshalb gut beraten, die für das Home-Office geltenden «Spielregeln» vor Spielbeginn zu definieren. Zu denken ist insbesondere an die Erreichbarkeit, die Zeiterfassung, die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen sowie den Auslagenersatz für Informatikmittel und Raumkosten. In der aktuellen Situation sich überschlagender Ereignisse empfehle ich, die verbindlichen Spielregeln spätestens innert Monatsfrist in einem Zusatz zum Arbeitsvertrag verbindlich zu regeln.

Die einer «freiwilligen Selbst­quarantäne» gilt der Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn. Steht das nicht im Widerspruch zur Aufforderung durch die Behörden, dass Menschen Selbstverantwortung übernehmen?

Doch, das tut es in der Tat. Gesundheitsschutz und Broterwerb sollten nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Aus meiner Sicht schob der Bundesrat den schwarzen Peter etwas voreilig den Arbeitgebern zu, die nun individuelle Lösungen ermöglichen sollen. Diese können die Karte aber der Arbeitslosenkasse weiterreichen, zumindest dann, wenn sie Kurzarbeit angemeldet haben oder dies planen.

Wie steht es um die Lohnfortzahlungspflicht bei Selbstverschulden, wenn z. B. ein Angestellter trotz Warnung in ein vom Coronavirus stark betroffenes Gebiet, etwa die Lombardei, reist?

Die WHO hat COVID-19 zur Pandemie erklärt und gemäss BAG und EDA besteht weltweit ein erhebliches Ansteckungsrisiko. Daher würde ich heute nicht nur die Reise in die Lombardei als Selbstverschulden qualifizieren, sondern die Nichteinhaltung der Gesundheitsempfehlungen des BAG insgesamt: Wer jetzt in den Ausgang geht und Party macht, handelt unverantwortlich und hat den daraus resultierenden Schaden im Falle einer Infektion selbst zu tragen.

Schränken die Behörden die Bewegungsfreiheit ein, so kann das auch die Arbeitswege erschweren. Wie sollen Unter­nehmer damit umgehen?

Der Bundesrat und das BAG empfehlen in der Tat, den öffentlichen Verkehr möglichst zu meiden. Was das konkret für Auswirkungen haben wird, werden wir erleben. Aus rechtlicher Sicht fällt der Arbeitsweg in die Risikosphäre des Arbeitnehmers und nicht in jene des Arbeitgebers. Dieser kann betroffenen Arbeitnehmenden kulanterweise flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen. Dazu verpflichtet ist er aber nicht. Nicht zu vergessen ist, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber den geltenden Arbeitsvertrag jederzeit einvernehmlich anpassen und beispielsweise eine befristete Reduktion des Pensums vereinbaren können.

Wie sollen die Mitarbeiter, wie die Kunden ĂĽber betriebsinterne Corona-Infektionen oder die Aktivierung eines betriebseigenen Pandemieplans informiert werden?

Das ist eine heikle Frage, weil hier unterschiedliche Interessen gegeneinander abzuwägen sind. Auf keinen Fall sollten Unwahrheiten oder Halbwahrheiten kommuniziert werden. Auch die Namen betroffener Mitarbeitender sollten nicht kommuniziert werden. Intern würde ich eine Infektion nur dort kommunizieren, wo ein legitimes Informationsbedürfnis von Direktbetroffenen besteht. Wichtiger als die Kommunikation des Einzelfalls scheinen mir die Ableitungen daraus: Sind die anderen Mitarbeitenden gefährdet oder nicht? Welche Massnahmen wurden zu ihrem Schutz getroffen? In Bezug auf Kunden müssen betroffene Unternehmen nur dann informieren, wenn sie eine entsprechende vertragliche Verpflichtung eingegangen sind. Das kann beispielsweise bei Zulieferern der Pharmabranche durchaus der Fall sein.

Welche Instrumente können zur Planung der Arbeit in einer Pandemie-Situation eingesetzt werden?

Hier masse ich mir keine Belehrung der Unternehmen an. Taugliche Instrumente sind meines Erachtens elektronische Personalplanungstools, welche Planung und Zeiterfassung kombinieren.

Welche Haltung sollen Unter­nehmer gegenüber ihren Kunden einnehmen, um diese, sich selbst und die gemeinsame Geschäftsbeziehung zu schützen?

Im physischen Umgang mit Dritten hat die Umsetzung der Empfehlungen des BAG Priorität. Aus vertragsrechtlicher Sicht empfehle ich zu prüfen, ob in den einschlägigen Lieferverträgen höhere Gewalt (oder «Force Majeure» bzw. «Hardship») geregelt ist. In dem Fall gehen Leistungspflichten allenfalls unter oder ruhen bis zu einer Entspannung der Lage. Gestützt darauf, kann mit dem Vertragspartner eine für beide Parteien stimmige Lösung verhandelt werden.

Was muss ein Arbeitgeber beachten, der Kurzarbeit beantragen will?

Kurzarbeit bedarf der Zustimmung der betroffenen Mitarbeitenden sowie eines Arbeitsausfalls von insgesamt mindestens zehn Prozent des Betriebs bzw. Betriebsteils. Der Betrieb muss ĂĽber eine nachvollziehbare Zeiterfassung verfĂĽgen. Wird Gleitzeit gearbeitet, muss diese mit den Mitarbeitenden schriftlich vereinbart sein.

Was droht Unternehmen, die zu Unrecht – etwa weil ihre Schwierigkeiten nicht durch das Virus ausgelöst wurden – Kurzarbeitsentschädigungen zu beziehen versuchen?

Wer zu Unrecht Leistungen bezieht, macht sich strafbar. Die erhaltenen Entschädigungen sind zurückzu­zahlen.

Wie kann zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Behörden ein Klima des Vertrauens aufrechterhalten werden?

Wir befinden uns nicht nur juristisch in einer «ausserordentlichen Lage»: Die Lage ist für alle neu, von Unsicherheit geprägt und muss täglich neu beurteilt werden. Daher empfehle ich Flexibilität und die Bereitschaft zu kreativen Lösungen. Arbeitgeber beispielsweise sollten kulant sein, aber auch die Grenzen der Leistungspflicht und -fähigkeit aufzeigen. Arbeitnehmer wiederum sollten ihren Teil zur Bewältigung der Krise beitragen und sich nicht instrumentalisieren lassen. Der Staat muss die von seinen Anordnungen betroffenen Unternehmen unbürokratisch und rasch unterstützen. Das beinhaltet auch die Entwicklung von Lösungen für Selbstständige und Kleinstunternehmer, die keine Kurzarbeit abrechnen können.

Interview: Gerhard Enggist

www.elfenau.com

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