Publiziert am: 07.03.2014

Furcht vor Kontingenten

MASSENEINWANDERUNG – Welche Auswirkungen hat das Votum vom 9. Februar 2014 auf die Marktöffnung der Schweizer Wirtschaft, die jeden zweiten Franken im Ausland generiert?

Mit dem Ja zur Initiative «Gegen die Masseneinwanderung» gerät die Schweizer Wirtschaft in die turbulenten Gewässer der Ungewissheit. Welche oberen Grenzen und welche Kontingente entsprechen den Forderungen des neuen Verfassungsartikels? Wie sieht die Zukunft des bilateralen Weges aus? Und, ganz grundsätzlich: Welche Auswirkungen hat das Votum vom 9. Februar 2014 auf die Marktöffnung unserer Wirtschaft, die einen von zwei Franken im Ausland generiert?

Viele Fragen – kaum Antworten

So viele Fragen, auf die es zurzeit keine Antworten gibt. Ein zusätzliches Problem: Das Abkommen über den freien Personenverkehr mit Kroatien, das bis auf Weiteres aufgeschoben ist. Um etwas mehr Klarheit zu erhalten, wird man bis Ende Juni warten müssen, wenn der Bundesrat seine Vorschläge in Sachen Quoten präsentieren will. Ein Gesetzesentwurf soll bis Ende Jahr folgen. Die Inkraftsetzung der neuen Rechtsgrundlagen muss bis spätestens am 9. Februar 2017, drei Jahre nach der Abstimmung, erfolgen.

In diesem nebulösen Kontext ist nur eines sicher: Die durch das Votum vom 9. Februar ausgelöste Schockwelle wird in erster Linie die KMU treffen. Eine im Frühjahr 2012 vom Schweizerischen Gewerbeverband sgv bei einer repräsentativen Auswahl von Westschweizer Unternehmen durchgeführte Umfrage zeigte, dass die Hälfte von ihnen mindestens einen EU-Staatsangehörigen beschäftigt. Eine überwältigende Mehrheit der befragten KMU sprach sich für die Personenfreizügigkeit aus, denn diese erleichterte – ohne administrative Hindernisse – den Zugriff auf die von ihnen benötigten Arbeitskräfte.

BĂĽrokratisierung droht

Das Abstimmungsresultat vom 9. Februar ist auch Ankündigung eines Paradigmawechsels. Indem er jährliche Kontingente festlegt, wird der Bund in die freie Funktionsweise des Arbeitsmarktes eingreifen. Man wechselt also von einem offenen, flexiblen und effizienten Markt zu einem Planungssystem, wo die Entscheidungsautonomie der Unternehmer mit den willkürlichen Quoten und dem Eifer der Beamten kollidiert.

Ein bürokratischer Hürdenlauf zeichnet sich ab. Dies umso mehr, weil die Initiative eine bislang unbekannte Höchstzahl festlegt, in die sowohl Grenzgänger als auch Asylbewerber einbezogen sind, und die für Unternehmen mehrere administrative Barrieren vorsieht. Letztere müssen nicht nur darauf achten, dass sie die jährlichen Kontingente respektieren, sondern auch, dass sie die Kriterien des Inländer-Vorrangs und des Familiennachzugs einhalten.

Die Belegschaftszahlen der eidgenössischen und kantonalen Verwaltungen dürften geradezu explodieren. Aktuell werden von den zuständigen Stellen jährlich rund 13 000 Gesuche von Nicht-EU-Bürgern behandelt. Gemäss Schätzungen des Bundesrates könnte das von der SVP-Initiative geforderte umfassende Kontingentierungssystem diese Zahl auf über 200 000 ansteigen lassen.

Abgestrafte KMU

Die Festlegung der jährlichen Kontingente wird im Rahmen von Verhandlungen zwischen den Bundesbehörden (Amt für Migration), den kantonalen Verwaltungen, den So­zialpartnern und den Unternehmen erfolgen. (Un-)Schöne Ringkämpfe sind vorprogrammiert. Die gewerblichen KMU laufen jedoch Gefahr, die grossen Verlierer dieser Feilscherei zu werden. Denn es sind zweifellos die Branchen mit starker Mehrwert-Generierung, die ihre Vorteile aus diesem Spiel ziehen werden, weil sie hochqualifizierte Mitarbeiter ansprechen und mit einer Verlagerung ins Ausland drohen können.

Die Abstimmung vom 9. Februar könnte auch zum Totengeläut für die flankierenden Massnahmen werden, die seit 2004 den Kampf gegen Lohndumping ermöglichen. Die Aufkündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens dürfte in der Folge ebenfallls das Ende für das Bundesgesetz über entsandte Arbeiter, den Eckpfeiler des Dispositivs, bedeuten. Dies wiederum würde zur Auflösung der tripartiten Kommissionen – in denen die Vertreter der KMU sit-
zen – führen, die mit der Kontrolle des Arbeitsmarkts beauftragt sind.

Bundesrat muss Mittelweg finden

Man sieht – nach dem 9. Februar steht es mit den Vorzeichen für die KMU nicht zum Besten. Die Personenfreizügigkeit, der Schlüssel zum erfolgreichen Schweizer Modell, wird durch Kontingente eingeschränkt, die mit bürokratischen Scherereien einhergehen. Was geschieht mit der Baubranche, der Restauration und der Hotellerie, deren Mitarbeitende mehrheitlich aus dem Ausland stammen?

Der Ball liegt nun beim Bundesrat, der – will er den Interessen der KMU Rechnung tragen – einen ausbalancierten Mittelweg finden muss zwischen der Respektierung des Volkswillens vom 9. Februar, der Fest­legung grosszügiger Quoten und der Minimalisierung des administrativen Aufwands.

Marco Taddei, Vizedirektor sgv

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